Angriff im HVV-Bus: Das Opfer sprach die Täter wegen zu lauter Musik an. Sie schlugen sofort zu, traten dem Bewusstlosen gegen den Schädel.
Hamburg. Unter dem Krankenhausbett stehen seine schwarzen Nike-Schuhe, eine Reisetasche liegt auf dem Boden. Auf dem Tropfhalter über ihm hängt ein gelb-schwarzes Billabong-Käppi - eine Mütze, die junge Hip-Hop-Fans gerne tragen. "Das haben mir die Polizisten wieder mitgebracht", sagt Marcel F. und versucht ein Grinsen: Rücken und Brust schmerzen aber noch bei jeder Bewegung, den linken Arm kann er nur wenige Zentimeter hochheben. Das Gesicht des 19-jährigen Jungen ist blutig zerschrammt, geschwollen. "Unglaubliches Glück" soll er gehabt haben, sagen die Ärzte.
+++ Das sagen Politiker zum Fall +++
Sonnabendfrüh hatte er im Metrobus 2 zwei Jugendliche angesprochen, weil sie laut Handy-Musik hörten. Was dann geschah, zeigen Bilder aus der Videokamera, die in fast jedem der Busse des Hamburger Verkehrsverbundes installiert sind. Wer sie gesehen hat, ist erschrocken, berichten Polizisten: über diesen plötzlichen Gewaltausbruch, wegen der hemmungslosen Brutalität der Schläger: Mit voller Wucht traten sie auf ihr am Boden liegendes Opfer ein. Ließen sich mit den Knien auf den Kopf des 19-Jährigen fallen. Immer wieder. Eine Attacke von wenigen Minuten Dauer - Passanten und Busfahrer griffen ein, die Täter flüchteten. Sie werden von der Kripo jetzt wegen versuchter Tötung gesucht.
An all das kann sich Marcel nicht mehr erinnern. Nur an den ersten Schlag und die Aggressivität im Gesicht der Schläger: "Die wollten Stress, einer ist aufgesprungen, hat sofort geschlagen - dann war ich weg." Die dumpfen Schläge auf den Kopf, die Tritte. Nichts hat er mehr gemerkt. Hat nicht mitbekommen, wie Sanitäter ihn an der Haltstelle Schützenstraße beatmet haben, wie er ins Krankenhaus Altona gekommen ist. Wie die Ärzte um sein Leben fürchteten. Gegen 16 Uhr am Sonnabend war er kurz aufgewacht, registrierte seine Brüder an seinem Bett im siebten Stock der Neurologie.
Und im nebligen Grau des kurzen Bewusstseins bekam er mit, wie er in der Nacht immer wieder von Ärzten geweckt wurde. Sie hoben seine Augenlider hoch, um Hirnblutungen rechtzeitig entdecken zu können. Es sind aber nur Bildfetzen, von denen er berichten kann. Die eigentliche Erinnerung setzt erst am Freitagabend ein. Mit einem Kollegen war er in einer Kneipe auf dem Kiez, im "injection" an der Großen Freiheit. "Party machen", wie er sagt. Ein paar Bierchen haben sie getrunken. Desperados mit Tequila-Geschmack. Am frühen Morgen sind die beiden jungen Männer dann in unterschiedliche Richtungen nach Hause gefahren. Marcel erst mit der S-Bahn nach Altona, dort stieg er dann in den Metrobus 2, um weiter nach Lurup zu fahren.
"Das ist eigentlich keine auffällige Linie", sagt Kay Goetze von der Pinneberger Verkehrsgesellschaft, die im Westen der Stadt sechs Metrobuslinien betreibt. "Der Ton ist allgemein zwar rauer geworden in den vergangenen Jahren, Streit unter Fahrgästen kommt schon mal vor - aber so etwas Extremes hatten wir dort noch nicht", sagt Goetze.
Auch Marcel stieg unbekümmert in den Bus. Wie so oft. Erst im August ist er von Ostfriesland nach Hamburg gezogen. Seine Mutter starb vor vier Jahren, an der Elbe wohnen Brüder und Großeltern; und auch sein Vater, der die Mutter vor vielen Jahren verlassen hatte. In einem Supermarkt fand er einen Ausbildungsplatz als Verkäufer. "Ein liebenswerter Junge und absoluter Familienmensch", beschreibt ihn Bettina Wagner (56), wo er bis vor Kurzem zur Untermiete gewohnt hatte.
Vielleicht war er aber auch zu unbekümmert, als er kurz vor der Haltestelle Schützenstraße die beiden Jugendlichen hinter ihm im Bus bat, die Musik leiser zu stellen. Heute würde er so etwas nicht mehr machen, sagt er und versucht sich im Bett ein weniger höher ins Kissen zu legen. Er ist zwar mit einem Schädel-Hirn-Trauma davongekommen, muss aber zur Beobachtung noch im Krankenhaus bleiben. Auch die Schwellungen und Prellungen bereiten ihm noch heftige Schmerzen. Aber den Besuch empfängt er gerne. Man merkt, dass er davon erzählen will, was ihm geschehen ist. Von dieser "erbarmungslosen Brutalität" wegen einer Nichtigkeit, die ihn jetzt erst so richtig erschrocken macht. Nein, sagt er, Bus oder S-Bahn-Fahren wird für ihn wohl nie wieder so sein wie früher. "Da werde ich mich wohl häufiger umgucken - oder nachts lieber nicht mehr allein fahren."