Fassungslosigkeit in Eppendorf: Bei einem Unfall starben unbeteiligt Günter Amendt, Angela Kurrer sowie Dietmar und Sibylle Mues.
Hamburg. Kerzen brennen. In Gedenken an die vier Leben, die binnen Sekunden so sinnlos ausgelöscht wurden. Niedergelegte Rosen, Nelken und Osterglocken leuchten bunt - doch sie erinnern an einen schwarzen Sonnabend. "Das Auto kam einfach angeflogen und krachte mit voller Wucht auf die Fußgänger", sagt Augenzeugin Barbara Prinz, 50. Sie gehört zu den etwa 40 Trauernden, die sich gestern Nachmittag an der Kreuzung Eppendorfer Landstraße/Lehmweg versammelten.
Auch 24 Stunden später sei dieser Unfall unfassbar, sagen sie. Eine Tragödie, die Spuren hinterlassen hat. Im Gedächtnis der unfreiwilligen Beobachter und am Unglücksort. Blut ist in die Steinplatten des Gehwegs eingezogen, die Holzbank vor der BackWerk-Filiale liegt in Trümmern und lässt die Wucht des aufprallenden Wagens erahnen. Eine 25-jährige Jura-Studentin, die nur wenige Meter von der Unfallstelle entfernt wohnt, gedenkt der Opfer: "Es ist ein Drama. Wahrscheinlich wollten sie nur kurz den Wochenend-Einkauf erledigen - doch sie kamen nie zurück." Die Wahrheit klingt schrecklich banal: Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort.
Rückblick: Es ist 16.44 Uhr an diesem frühlingshaften Sonnabend, als das Leben mitten in Eppendorf plötzlich angehalten wird. Von der Eppendorfer Landstraße rast ein silberfarbener Fiat Punto heran. Der 38-jährige Fahrer, der offenbar unter Drogen (Marihuana) steht, wie die Polizei noch am selben Abend in einem Schnelltest nachweisen wird, ignoriert die rote Ampel, gibt Gas und rauscht in den rechten hinteren Kotflügel eines VW Golf Cabriolets, das vom Eppendorfer Baum kommend Richtung Lenhartzstraße unterwegs ist.
Mit welcher Geschwindigkeit der Immobilienkaufmann aus Lokstedt auf die Kreuzung fuhr, wird noch untersucht. "Er fuhr aber auf jeden Fall deutlich schneller als erlaubt", sagte Polizeisprecher Andreas Schöpflin gestern. Durch das hohe Tempo ist der Aufprall so heftig, dass der Fiat sofort ins Schleudern gerät und sich mehrfach überschlägt, ehe er aus der Höhe in eine Gruppe von Fußgängern und Radfahrern kracht. Eine junge Mutter schreit und legt schützend die Hand über das Baby auf ihrem Arm.
Der berühmte Soziologe und Aufklärer Günter Amendt ("Sexfront"), der mit zahlreichen anderen Passanten an der Fußgängerampel Eppendorfer Baum/Lehmweg auf grünes Licht wartet, hat keine Chance. Der 71-Jährige wird unter dem rund 1,2 Tonnen schweren Wagen eingeklemmt und von dem Wrack erdrückt - er stirbt noch an der Unfallstelle.
+++ Günter Amendt: Der berühmte Soziologe +++
Der Wissenschaftler war offenbar mit seinem engen Freund, dem 65-jährigen Fernseh- und Theaterschauspieler Dietmar Mues, und dessen Ehefrau Sibylle unterwegs. Der Wagen reißt auch das Ehepaar zu Boden, beide gehören zu den Todesopfern. Die 60-jährige Sibylle Mues, die als Lehrerin an der Eppendorfer Grundschule Marie Beschütz unterrichtet, kann am Unfallort zunächst zwar noch wiederbelebt werden, erliegt dann jedoch im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Für die Hamburger Bildhauerin Angela Kurrer, die Stiefmutter des Schauspielers Dominic Raacke, der im Fernsehen als Berliner "Tatort"-Kommissar Till Ritter ermittelt, kommt jede Hilfe zu spät.
+++ Dietmar Mues: Der bekannte Schauspieler +++
Noch ehe der erste Rettungswagen den Unfallort erreicht, kümmern sich Ersthelfer - darunter vier UKE-Ärzte, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks zufällig an der belebten Kreuzung aufhalten - um die Schwerverletzten. Der Unfallfahrer selbst ist nur leicht verletzt, er wird von der Feuerwehr aus seinem Autowrack geschnitten. Gegen den 38-jährigen Lokstedter ermittelt die Polizei nun wegen Körperverletzung mit Todesfolge in vier Fällen.
+++ Angela Kurrer: Die engagierte Bildhauerin +++
Die Insassen des getroffenen VW Golf Cabriolets, der Schauspieler Peter Striebeck ("Unsere Hagenbecks"), der morgen 73 Jahre alt wird, und seine Ehefrau Ulla, die am Steuer saß, kommen glücklicherweise leicht verletzt mit einem Schrecken davon.
Feuerwehr und Polizei sind mit einem Großaufgebot im Einsatz: Mehr als 70 Feuerwehrleute und vier Notärzte kümmern sich um die Opfer. Neben den vier Menschen, die ihren Verletzungen erliegen, gibt es acht Verletzte. Die Polizei ist mit 19 Peterwagenbesatzungen und dem Polizeihubschrauber vor Ort. Notfallseelsorger und Mitglieder des Kriseninterventionsteams kümmern sich um die unter Schock stehenden Augenzeugen und um die trauernden Angehörigen.
Im Freundeskreis der Opfer herrschen Fassungslosigkeit und Trauer: "Vergangene Woche saß ich noch mit Dietmar Mues zusammen. Er war voller Tatendrang, hat mir von neuen Projekten erzählt", sagte Michael Lang, Intendant der Komödie Winterhuder Fährhaus, gestern dem Abendblatt. Dass sowohl Dietmar Mues als auch Peter Striebeck, die einander sehr gut kannten und auch schon gemeinsam auf der Bühne standen, in denselben Unfall verwickelt worden seien, sei "unglaublich". Wie überhaupt die Tragweite des gesamten Unglücks.
Das betonen auch die Trauernden, die jetzt - Stunden, nachdem die Sperrung der Kreuzung aufgehoben wurde - an der Unfallstelle innehalten. Darunter ist auch Jörg Vennewald, Lebenspartner der Schauspielerin Rhea Harder ("Notruf Hafenkante"). Der Aufnahmeleiter war am Sonnabend zwar nicht selbst vor Ort, hörte aber die kreisenden Hubschrauber und die Sirenen der Krankenwagen. "Rhea war gestern mit den Kindern spazieren, und sie sind nur durch Zufall nicht an dieser Kreuzung vorbeigegangen", sagt der zweifache Vater. Nach einer solchen Tragödie lebe man plötzlich bewusster. "Weil einem brutal vor Augen geführt wird, wie schnell alles vorbei sein kann."
Auch die Eppendorferin Ulla Paeper nimmt Anteil, obwohl sie den Unfall nicht miterlebt hat. "Es hätte jeden treffen können, das macht mich so nachdenklich und machtlos", sagt die 35-Jährige, die drei gelbe Tulpen niedergelegt hat. Als sie die umstehenden Menschen sieht, die einander weinend in den Armen liegen, sagt sie: "Ich bin froh, dass ich das gestern nicht mitansehen musste. Diese Bilder brennen sich doch auf ewig in das Gedächtnis ein."
Kritisch äußert sich eine Mutter, die am Eppendorfer Weg wohnt. "Wir sind hier sehr traurig und gleichzeitig wütend, schließlich brauchten wir hier dringend eine verkehrsberuhigte Zone", sagt die 42-jährige Werberin. "Vielleicht trägt dieser traurige Tag zumindest dazu bei, dass hier Raser künftig endlich ausgebremst werden."