Im Prozess um einen tödlichen Schuss bei einer Festnahme in Hamburg hat ein Rechtsmediziner dem angeklagten Polizisten (52)eine Reflex-Handlung bescheinigt. Scharfe Kritik an den Ermittlungen übte die Anwältin des sechsjährigen Sohnes des Opfers. Die Verteidigerin sprach von „Pleiten, Pech und Pannen“.

Hamburg. Der Mann fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, ganz offensichtlich. Der Blick wirkt ein wenig gequält, die Haltung verkrampft. Kein Wunder, eine Schusswaffe ist auf ihn gerichtet, von hinten, ein Entkommen scheint unmöglich. Und doch besteht keinerlei Gefahr. Denn die Schusswaffe ist weiß und aus Kunststoff. Als harmlose Attrappe ruht sie in der Hand von Professor Klaus Püschel, hoch geachteter Leiter des Instituts für Rechtsmedizin. Und in diesem konkreten Fall Darsteller bei einem Ortstermin für einen Strafprozess vor dem Amtsgericht gegen den Polizisten Hans-Peter A., dem fahrlässige Tötung vorgeworfen wird. Und so wie Professor Püschel den Angeklagten mimt, wird auch das Opfer nur gespielt.

Die Szene, die hier nachgestellt wird, ist am 26. Juni 2007 traurige Realität geworden: Polizisten observieren zwei Männer in einem Wagen an der Börsenbrücke, die sich verdächtig benehmen. Es sind mutmaßliche Kreditkartenbetrüger. Die Beamten wollen die Männer überprüfen und festnehmen. Als Polizist Hans-Peter A. (52) beim Zugriff eine Tür des Autos öffnen will, löst sich ein Schuss aus seiner Waffe und trifft den 27 Jahre alten Tibor C. tödlich.

Soweit ist die Faktenlage eindeutig. Doch die rechtliche Bewertung ist strittig. Laut Anklage handelt es sich um fahrlässige Tötung, weil der Zivilfahnder seinen Finger bei dem Zugriff verbotswidrig am Abzug hatte. Doch aus Sicht der Verteidigung war es ein tragischer Unglücksfall. Der tödliche Verlauf sei für den Angeklagten „so nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar“ gewesen, hatte der Verteidiger des Polizisten, Walter Wellinghausen, gesagt. Zu dem umstrittenen Griff an die Waffe sei es gekommen, als der Beamte die Fahrertür des Autos öffnen wollte und seine Pistole dabei von der rechte in die linke Hand wechselte.

Einen der strittigen Punkte in dem Fall sollte jetzt der Ortstermin klären. Dieser war nötig geworden, nachdem ein Sachverständiger im Prozess ausgesagt hatte, dass der Fahrersitz, auf dem das Opfer gesessen hatte, verstellt worden sei. Diese nachträgliche Veränderung mache es ihm unmöglich, den genauen Schusswinkel und damit den genauen Standort des Polizisten zu bestimmen. Der Gutachter sagte, es sei „sehr ungewöhnlich“, einen derartigen Eingriff in den Tatort vorzunehmen. Aus Sicht der Nebenklage ist dies nur ein Kritikpunkt von vielen: „Pleiten, Pech und Pannen“, sagt Anwältin Astrid Denecke, die den sechs Jahre alten Sohn des Opfers vertritt. In dem Prozess habe es „skandalöse Ermittlungspannen“ gegeben. So sei es unter anderem nicht möglich gewesen, Schmauchspuren an den Händen des verdächtigen Polizisten festzustellen, weil er sich vorher die Hände habe waschen dürfen. „Der Angeklagte wollte verhindern, dass Schmauchspuren gesichtet werden“, vermutet Anwältin Denecke. Aus ihrer Sicht ist dies ein Hinweis, dass der Polizist nicht, wie von ihm behauptet, mit der linken, sondern mit der rechten Hand geschossen habe. „Denn sonst wäre es in seinem Interesse gewesen, die Spuren zu sichern.“

Doch ob Hans-Peter A. nun mit links oder rechts geschossen hat, ist nach Überzeugung von Rechtsmediziner Püschel, der im Anschluss an den Ortstermin ein Gutachten erstellte, nicht eindeutig festzustellen. Jedoch gebe es „viele Anhaltspunkte“, dass sich der Schuss versehentlich und aus einem Reflex gelöst habe. Beim Wechsel der Waffe und gleichzeitigem Greifen an die Fahrertür war der Wagen laut Zeugen nach vorn geruckelt. Dadurch habe sich durch einen normalen Muskelreflex die Greifbewegung von der rechten auf die linke Hand übertragen, so der Gutachter. Bei anderen Festnahmen habe es vergleichbare Vorfälle gegeben. „Für mich ist das ganz logisch“, so Püschel. Der Prozess wird fortgesetzt.