Hamburg. Während die Schulbehörde Tätigkeiten jenseits des Unterrichts für nicht messbar hält, fordert die Linke eine Erfassung der Stunden.
- Hamburger Debatte um die tatsächliche Arbeitszeit von Lehrern
- Die Linke fordert eine Erfassung der Stunden, aus Sicht der Schulbehörde sei das schwierig
- Das sagt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu der Debatte
Es könnte ganz einfach sein: Alle Lehrerinnen und Lehrer erfassen ihre Arbeitszeit – nicht nur die Unterrichtsstunden, sondern auch die Phasen der Vor- und Nachbereitung sowie der Korrekturen von Klassenarbeiten und weitere Tätigkeiten in der Schulorganisation und der pädagogisch-fachlichen Planung. Das könnte den lange geführten und jetzt neu entflammten Streit über die Lehrerarbeitszeit auf eine sachlichere Grundlage stellen. Während die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) davon ausgeht, dass viele Lehrkräfte mehr als die vorgesehenen 46,57 Arbeitsstunden pro Unterrichtswoche arbeiten, hält die Schulbehörde die bereitgestellten und in den zurückliegenden Jahren erheblich ausgeweiteten Ressourcen, also Lehrerstellen, für „auskömmlich“. Derzeit spricht nicht viel dafür, dass es zu einer verpflichtenden Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte kommen wird.
Dabei hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem sogenannten Stechuhr-Urteil den Mitgliedsstaaten bereits 2019 auferlegt, die Arbeitgeber zu verpflichten, ein verlässliches System zur Messung der täglich geleisteten Arbeitszeit einzuführen. Allerdings hat der EuGH keinen Zeitrahmen vorgegeben, innerhalb dessen die Vorgabe umgesetzt werden muss. Doch dass die Arbeitszeiterfassung jedenfalls grundsätzlich kommen wird, ist klar, seit das Bundesarbeitsgericht 2022 das EuGH-Urteil für Deutschland konkretisierte. Allerdings gibt es Ausnahmen: Die Erfassung der Arbeitszeit kann laut EU-Arbeitszeitrichtlinie unterbleiben, wenn die Tätigkeiten nicht messbar und/oder nicht im Voraus festgelegt sind oder von den Beschäftigten selbst festgelegt werden können.
Schule Hamburg: Debatte um die Arbeitszeit von Lehrern
„Ob eine Messung der realen Arbeitszeiten auch unter den besonderen Bedingungen des Lehrerberufs zielführend ist, ist rechtlich noch zu klären“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Die Kultusministerkonferenz der 16 Länder fordert denn auch, die Lehrkräfte von der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auszunehmen. Zwar seien die erteilten Unterrichtsstunden messbar, aber die Dauer der außerunterrichtlichen Aufgaben wie Vor- und Nachbereitung, Konferenzen oder Elterngespräche seien nicht vorhersehbar und überprüfbar.
Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft, will das nicht gelten lassen. „Die Regelung der Erfassung der Arbeitszeit ist doch nicht umsonst verabschiedet worden. Und die Schulbehörde setzt sie ja auch um – und zwar in allen Bereichen, in denen keine Lehrerinnen und Lehrer tätig sind.
Doch ausgerechnet bei den Kernaufgaben lässt sie es bleiben, klammert sich lieber am Planungsmodell der Lehrerarbeitszeitverordnung fest. Dieses Verhalten ignoriert die Überlastung und die dringenden Reformen in der Zeitgestaltung des Schulalltags“, kritisiert Boeddinghaus, die sich in einer Kleinen Anfrage nach dem Stand der Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung für die Lehrkräfte erkundigt hatte.
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Hamburger Lehrerarbeitszeitmodell ist bundesweit einmalig, bildet aber nicht die reale Arbeitszeit ab
Der Senat hatte in seiner Antwort auf die Boeddinghaus-Anfrage in der Tat auf die Lehrerarbeitszeitverordnung (LAZVO) verwiesen. „Bundesweit gibt es kein vergleichbares Modell, das in dieser Transparenz die Arbeitszeit für Lehrkräfte regelt. In anderen Bundesländern wird die Arbeitszeit der Lehrkräfte in einem sogenannten Deputatsmodell durch eine feste Zahl von Unterrichtsstunden pro Woche bestimmt“, heißt es in der Senatsantwort. Nach dem LAZVO wird die Arbeitszeit der Lehrkräfte in drei Bereiche eingeteilt: 75 Prozent für den Unterricht sowie Vor- und Nachbereitung, zehn Prozent für Konferenzen, Aufsichten, Vertretungsstunden und Fortbildungen sowie 15 Prozent für Schulorganisation (Abteilungsleitungen, Förder- und Ganztagskoordination).
Für die 15 Prozent der Arbeitszeit aller Lehrkräfte für schulorganisatorische Aufgaben rechnet der Senat in seiner Antwort vor: „In einer durchschnittlichen Stadtteilschule mit 90 Lehrkräften entspricht das 630 Wochenarbeitsstunden und bedeutet rechnerisch, dass an jedem Schultag von 8 bis 16 Uhr durchgängig fast 16 Lehrkräfte für organisatorische Aufgaben vom Unterricht freigestellt sind.“ Der Haken: Die Arbeitszeitverordnung ist ein Planungsmodell. Das heißt, es gibt die Aufteilung des Stundensolls vor, bildet aber nicht das Ist der realen Arbeitszeit ab.
Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Boeddinghaus fordert eine exakte Erfassung der Arbeitszeiten
Dennoch bestehe „aus Sicht der für Bildung zuständigen Behörde kein Handlungsbedarf hinsichtlich der in der Lehrerarbeitszeitverordnung getroffenen Festlegung der Arbeitszeitanteile, die nicht exakt messbar sind und im Übrigen von den Lehrkräften weitgehend frei gestaltet werden können“. Seit der Einführung des Lehrerarbeitszeitmodells vor mehr als 20 Jahren durch den damaligen Schulsenator Rudolf Lange (FDP) zu Zeiten des CDU-Schill-FDP-Senats gibt es eine zum Teil erbittert geführte Debatte, ob die pauschalierenden Annahmen hinsichtlich der außerunterrichtlichen Tätigkeiten der Lehrkräfte realistisch, also auskömmlich oder viel zu niedrig angesetzt sind.
Bemerkenswerterweise hat das bei vielen Hamburger Schulpraktikern umstrittene Arbeitszeitmodell alle Regierungswechsel der vergangenen zwei Jahrzehnte im Rathaus von Schwarz-Grün über die SPD-Alleinregierung bis hin zu Rot-Grün praktisch unverändert überdauert. Ein zentraler Grund für die Beharrlichkeit: Auch aus Sicht der jeweiligen Senate und der Schulbehörde würde das exakte Nachmessen der tatsächlichen Arbeitszeit der Lehrer vermutlich zu einer Debatte über die Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte führen, die dann umso schwerer abgelehnt werden könnte.
Schule Hamburg: Zahl der Lehrerstellen ist deutlich angehoben worden
Dass Forderungen nach mehr Lehrerstellen bereits jetzt erhoben werden, zeigt das Positionspapier des „Bündnisses für zukunftsfähige Schulen in Hamburg“ für die Bürgerschaftswahl 2025. Der Zusammenschluss von Lehrer-, Eltern- und Schülerkammer sowie Gewerkschaften und Verbänden fordert unter anderem, „nicht nur die Zeit vor der Klasse als sogenannte Kernaufgabe zu beschreiben und mit Arbeitszeit abzubilden, sondern zu gleichen Teilen auch die Zeit für die eigene und systemische Professionalisierung und Weiterentwicklung als Kernaufgabe anzuerkennen und im Berufsbild und somit auch in der Arbeitszeit abzubilden“. Das allein dürfte einen erheblichen Stellenmehrbedarf auslösen.
Zur Wahrheit gehört, dass die Zahl der Lehrerstellen in den zurückliegenden Jahren deutlich angehoben wurde. Allein durch die im Schulstrukturfrieden festgelegte Verkleinerung der Klassengrößen, die auch zu einer Entlastung der Lehrkräfte geführt hat, sowie den Ganztagsschulausbau und die Einführung der schulischen Inklusion sind mehr als 1000 zusätzliche Stellen geschaffen worden. Da die Zahl der Schülerinnen und Schüler von Jahr zu Jahr wächst, wächst auch die Zahl der Lehrkräfte mit, ohne dass es zu einer Absenkung der Standards kommt. Im Schuljahr 2024/25 unterrichten an den staatlichen allgemeinbildenden Schulen rund 21.000 Lehrkräfte auf 15.911 Stellen – 303 Stellen mehr als im vorangegangenen Schuljahr.
Schule Hamburg: Laut der Behörde können „gewisse Anpassungen am Lehrerarbeitszeitmodell sinnvoll“ sein
Andererseits ist es unabweisbar, dass sich die Aufgaben der Lehrkräfte in den vergangenen 20 Jahren ebenso verändert haben wie die Zusammensetzung der Schülerschaft. Dass die Aufgaben jenseits der reinen Wissensvermittlung mehr Bedeutung erlangt haben, zeigt die jüngste Ankündigung von Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD), Schulsozialarbeit flächendeckend an den allgemeinbildenden Schulen einzuführen. In einem ersten Schritt werden dafür mehr als 100 Stellen für Sozialpädagogen und Sozialarbeiter geschaffen. „Unabhängig von der Frage nach der Messung der realen Arbeitszeiten kann es sinnvoll sein, erneut gewisse Anpassungen am Lehrerarbeitszeitmodell vorzunehmen, da sich Schule und damit auch die Aufgaben von Lehrkräften fortlaufend ändern“, sagt Behördensprecher Albrecht vorsichtig.
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„Für mich liegt es auf der Hand: Die Schulbehörde muss dringend die Lehrerarbeitszeitverordnung reformieren und an die Wirklichkeit anpassen“, sagt Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus. „Wenn die Zeitbemessungen der Schulbehörde in ihrer Planung tatsächlich korrekt und auskömmlich wären, sollte es doch auch kein Problem sein, die wirklich geleistete Arbeitszeit zu erfassen“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete.