Hamburg. Neues Gesetz erlaubt Ava, ihren Namen und ihr eingetragenes Geschlecht einfacher zu ändern. Das reicht noch nicht, findet die Hamburgerin.

  • Seit 1. November gilt das neue Selbstbestimmungsgesetz.
  • Ava ist trans und konnte nun ihren Namen und ihr eingetragenes Geschlecht im Standesamt Hamburg-Mitte ändern.
  • Hamburg ist ihre Wahlheimat, an ihre Geburtsstadt hat sie keine guten Erinnerungen.

Ein bisschen aufgeregt, ein kleines Gefühl von Endgültigkeit: Für Ava ist der Tag heute ein besonderer. Denn heute hat sie ihre Vornamen und ihr eingetragenes Geschlecht im Standesamt Hamburg-Mitte geändert. Am 1. November ist das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten, das der Bundestag im August verabschiedet hat. Damit können nun trans*, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen ihren Vornamen sowie ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister einfacher ändern.

„Noch ist aber nichts offiziell, die Papiere müssen erst nach Chemnitz geschickt und dort bestätigt werden“. Denn in Chemnitz wurde die 40-Jährige geboren. Dort liegt ihre Geburtsurkunde, und nur dort kann auch ihr Personenstand sowie der Name offiziell geändert werden. Auf die Bestätigung wird sie wohl noch etwas warten müssen. „Theoretisch könnte das Amt in Chemnitz auch noch alles ablehnen oder sich unendlich viel Zeit lassen“, so die Wahlhamburgerin.

Selbstbestimmungsgesetz: Hamburgerin Ava hat Namen und Geschlecht ändern lassen

Nach turbulenten Jahren und vielen Umzügen verschlug es Ava vor sieben Jahren in die Hansestadt. Dort lebt sie heute – normalerweise in einer WG, aktuell aber allein – in Wilhelmsburg. „In Hamburg habe ich das erste Mal verstanden, was die Leute meinen, wenn sie von einer Heimat sprechen“, so die Hamburgerin. Hier fühlt sie sich wohl, nicht zuletzt, weil sie in der Stadt eine „links-grüne Insel“ sieht: „Ich habe ein extrem hohes Sicherheitsgefühl in der Stadt. Das ist auf jeden Fall nicht überall so.“

Obwohl sich Ava sehr sicher in Hamburg fühle, sei auch die Hansestadt nicht ganz frei von Diskriminierung. So müsse sie auch hier übergriffigen Fragen und starrenden Blicke etwa in der S-Bahn standhalten. Von Kopf bis Fuß gemustert zu werden und abfällige Reaktionen kommen immer wieder vor. „Aber ich habe wirklich viel Glück, Schlimmeres ist mir nie passiert. Und ich glaube, dass ich aufgrund meines Alters auch ganz gut darüberstehen kann“, so die 40-Jährige. Am Schlimmsten für sie sei es, wenn in solchen Situationen niemand einschreite und ihr beistehe: „Das enttäuscht mich dann viel mehr als dumme Sprüche von irgendwelchen Kids“.

Alltag in der Schulzeit: Ava wurde gemobbt und im Dixiklo eingesperrt

In ihre Geburtsstadt fährt sie selten. Dort herrsche ein ganz anderes, schlechteres Klima, sagt sie. In Chemnitz hatte sie sich bereits als Jugendliche als schwul geoutet. „Aber das konnte meine Mutter nicht akzeptieren! ‚Wenn, dann bist du höchstens bi‘, hat sie damals gesagt. Das habe ich dann einfach so übernommen“, so die freiberufliche Schlagzeugerin.

Später verstand sie für sich, dass sie eigentlich lesbisch ist. Der Kontakt zu Cis-Männern, so erklärt sie, diente der Erklärung ihrer eigenen Weiblichkeit und der Unterdrückung der eigenen, tatsächlichen Identität.

Ava Transgender Selbstbestimmungsgesetz
Ava lebt seit sieben Jahren in Hamburg, die Hansestadt nennt sie ihre Heimat. © privat | Privat

Sie kämpft sich durch eine Schulzeit, die geprägt ist von offener Homophobie, Sich-Verstellen und Demütigungen. In der Realschulzeit sperren ihre Mobber sie in Dixiklos ein. Und auch später in ihrer Abiturzeit lebt sie mit Männern in einem Haus, die in Springerstiefeln und mit Baseballschlägern zum „Schwule klatschen“ nach Chemnitz fahren. Alles Teil ihres Alltags.

Ava: „Es gab so viele Anzeichen, die ich erst spät verstanden habe“

In ihren Beziehungen mit Frauen gibt sie sich hypermaskulin: „Mein Ex-Freundin fragte mich einmal, ob ich lieber eine Frau wäre. Da habe ich abfällig geantwortet und das ganz klar abgewehrt“, erzählt Ava fast schmunzelnd. Sie habe damals vieles nicht verstehen können, habe Kindheitserinnerungen einfach verdrängt. Aber je mehr sie sich mit sich selbst und ihrer Identität auseinandergesetzt habe, desto mehr Erinnerungen und damit mehr Verständnis für sich selbst kamen in ihr hoch.

„Wenn ich jetzt so an manches zurückdenke, sehe ich, dass es eigentlich total offensichtlich war. Warum sollte ein kleiner ‚Junge‘ wohl den Badeanzug seiner Schwester anziehen? Es gab so viele Anzeichen, die ich erst spät verstanden habe“, erinnert sich die heute 40-Jährige.

Der erste wirkliche Moment des Verstehens kam ihr durch eine Bühnenrolle. Sie ist freiberufliche Schlagzeugerin und sollte sich vor nun anderthalb Jahren ein Kostüm für einen Bandauftritt überlegen. Ihr war klar: Es sollte die Rolle einer Frau werden. Mit einer Freundin machte sie sich direkt an die Vorbereitungen: Make-up, Outfit, Silikonbrüste, das volle Programm. „Als ich dann so hinterm Schlagzeug saß merkte ich: Hey, das fühlt sich gar nicht nach einem Kostüm an.“

Bis zu drei Jahre Wartezeit für geschlechtsangleichende OP

Ihre Transition – englisch für ‚Übergang‘ – beginnt. Eine emotionale Zeit, in der es ihr oft nicht gut ging. Teilweise aufgrund der Nebenwirkungen der Testosteronblocker, die sie bekommt. Aber auch aufgrund der Erinnerungen und des damit einhergehenden Verständnisses ihrer selbst. Im Dezember war eigentlich eine geschlechtsangleichende OP in Spanien geplant, das lehnte die Krankenkasse allerdings bisher ab.

„In Deutschland beträgt die Wartezeit für diese OP bis zu drei Jahre, in Spanien geht das viel schneller“, erklärt Ava. „Die OP sollte ein Geschenk an mich selbst sein“. Nun hofft sie, dass sie nicht noch drei Jahre auf die Operation in Deutschland warten muss. Denn das würde weiterhin eine Einnahme der Testosteronblocker und damit teils sehr starke Nebenwirkungen bedeuten.

Bis Novemberbeginn galt noch das von vielen als diskriminierend empfundene „Transsexuellengesetz“. Mit einer Änderung des Geschlechtseintrags und des Namens waren bis dahin lange Wartezeiten, hohe Kosten, sowie zwei psychologische Gutachten und teils stigmatisierende und intime Fragen verbunden. Das hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz – kurz SBGG – nun ein Ende.

„Es fehlt an Akzeptanz gegenüber intergeschlechtlichen Kindern“

Und Diskriminierung, ist die mit dem neuen Gesetz nun auch beendet? Wohl kaum, meint Ava: „Das SBGG ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, aber noch weit weg von perfekt“. Das Verfahren bleibe weiterhin sehr bürokratisch, und auch beim Thema geschlechtsangleichende Operationen würden Transpersonen weiterhin Steine in den Weg gelegt.

Cornelia Kost – Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit e.V. (dgti) – sieht ebenfalls verbesserungswürdige Punkte an dem neuen Gesetz. Obwohl auch Kinder mit Zustimmung der Sorgeberechtigten ihren Geschlechtseintrag ändern können, fehle es immer noch an Akzeptanz, insbesondere gegenüber intergeschlechtlichen Kindern.

Intergeschlechtliche Menschen haben von Geburt an Geschlechtsmerkmale, die sich nicht eindeutig männlich oder weiblich zuordnen lassen. Immer noch würden diese Kinder in einem nicht zustimmungsfähigen Alter geschlechtszuweisend operiert. Das könne „schlimme Konsequenzen“ für die Betroffenen haben, denen das eigene Geschlecht nicht zugestanden würde, so Kost.

Selbstbestimmungsgesetz als „historische Chance“

Trotz einiger Paragrafen, die in mehreren Richtungen auslegbar sowie ausbaufähig seien, sieht die Hamburger Psychotherapeutin eine „historische Chance für die geschlechtliche Vielfalt“ in dem neuen Gesetz. „Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein historischer Fortschritt auf gleichem Niveau mit der Ehe für alle“, so Kost.

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Dass es sich alles in allem um eine klare Verbesserung zum Transsexuellengesetz handelt, ist auch für Ava klar. Die freiberufliche Schlagzeugerin war davon noch nicht direkt betroffen. Kurz nachdem sie das Verfahren für eine Namens- und Personenstandsänderung begonnen hatte, war das SBGG bereits beschlossen worden. „Ich hatte den ersten TSG-Antrag ausgefüllt, da kam schon das neue Gesetz“, lacht Ava. Gerechnet hatte Ava damit eigentlich nicht mehr.

Selbstbestimmungsgesetz: Jetzt muss Ava noch auf die Bestätigung warten

Eine Woche nach Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes nimmt Ava das Angebot der offenen Sprechstunde des Standesamts Hamburg-Mitte an. Das Angebot ist prinzipiell eine tolle Idee, findet sie. Nur schade, dass es innerhalb Hamburgs nicht für alle Standesämter eine solche einheitliche Regelung gibt.

„Insgesamt war aber alles total unproblematisch, im Standesamt waren wirklich alle sehr freundlich und bemüht“. Nun heißt es für die offene Hamburgerin nur noch: Warten, bis Chemnitz die Papiere bestätigt. Und sie dann ganz sie selbst sein kann.