Hamburg. Noch vor der Schulzeit fiel auf, dass Mason sich schnell langweilte. Die Erzieherinnen in der Kita vermuteten Autismus. IQ-Test bringt Klarheit.

  • Mason aus Hamburg ist vermutlich eines der schlauesten Kinder Deutschlands
  • Schon vor der Zeit in der Kita und in der Kita hat er erstaunliche Fähigkeiten
  • In Hamburg wollte kein Gymnasium Mason im Alter von sechs Jahren aufnehmen

Masons Geschichte beginnt vor etwa sechs Jahren in einem Supermarkt in Hamburg-Bramfeld. Als Mason ein Schild mit dem Wort „Angebot“ sieht, sagt er zu seiner Mutter: „Da steht ein A, wie Apfel.“ Mason sitzt damals noch im Buggy, er ist zu dem Zeitpunkt zwei Jahre alt. Es ist das erste Mal, dass seiner Mutter Tessa Mora ganz bewusst auffällt, dass ihr Sohn besonders ist. Anfangs denkt sie noch, dass er vielleicht etwas weiter ist als andere. Ziemlich clever einfach. Dass er hochbegabt sein könnte, daran denkt sie zunächst nicht.

Im Gegenteil: Denn in der Kita, in die Mason mit einem Jahr kommt, verhält er sich eher auffällig. Er sortiert Bauklötze und Autos nach Farben und Größe, ist unaufmerksam und unruhig, zappelt viel rum. Die Erzieherinnen äußern die Vermutung, dass Mason Autist sein könnte oder ADHS hat, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Man empfiehlt der Familie, den Zweijährigen testen zu lassen. Und ihren Sohn mal richtig zu erziehen!

Hochbegabt: Mason aus Hamburg ist vermutlich eines der schlaueste Kinder Deutschlands

Zu dem Zeitpunkt ahnt noch niemand, dass Mason vermutlich eins der schlauesten Kinder Deutschlands ist. Als er schließlich getestet wird, stellen die Psychologen eine sogenannte Höchstbegabung fest. Sein IQ (Intelligenzquotient) ist fast so hoch wie von Einstein und liegt am obersten Ende der messbaren Skala. In der Wissenschaft gelten Menschen wie Mason als Genies.

Mit vier Jahren kommt Mason in die Schule und mit sechs auf das Gymnasium. Allerdings nicht in Hamburg. Denn in der Hansestadt nimmt ihn kein Gymnasium auf. Tessa Mora muss mit ihrem Sohn nach Neumünster umziehen.

Hochbegabtes Kind aus Hamburg: Mason besucht mit acht Jahren schon die siebte Klasse

Über hochbegabte Kinder ist schon viel geschrieben worden. Über Kinder, die im Krabbelalter Buchstaben erkennen und zählen können, sobald sie ihre ersten Schritte machen. Kinder, die sofort in ganzen Sätzen sprechen und sich alles merken, was sie gehört haben. Auch Mason ist so ein Kind. Als er mit zwei Jahren zu sprechen beginnt, verwendet er bereits komplette Sätze.

„Das reicht nicht“, ist der dritte Satz, den er sagt, den er beherrscht. Und in den nächsten Jahren immer wiederholt. Wenn ihm eine Erklärung nicht ausreicht, wenn er meint, dass es dazu noch mehr zu sagen gibt. Zum Thema Treibsand zum Beispiel oder zum Wasserkreislauf. Ihm reichen keine kindgerechten Erklärungen aus Büchern, keine simplen Erläuterungen von Erwachsenen. Er will alles ganz genau wissen, bis ins kleinste Detail erklärt bekommen. Seine Lieblingssendung wird „Terra X“.

Hochbegabte Kinder
Mason Mora liebt es, draußen zu spielen. Auf den ersten Blick ist er ein ganz normaler Junge, doch sein IQ ist fast so hoch wie der von Einstein. © privat | Privat

Doch in dieser Geschichte soll es nicht nur darum gehen. Sondern auch darum, wie schwer es Kinder wie Mason in unserem Schulsystem haben. Wie unzureichend getestet wird und wie starr die Vorgaben sind. Und wie Kinder daran zu zerbrechen drohen.

Versagt unser Schulsystem bei hochbegabten Kindern? Das sagt die Mutter des kleinen Mason

Früher hat Tessa Mora manchmal gesagt, dass sie sich eine glückliche Schulzeit für Mason wünscht. Einfach nur glücklich. Jetzt sagt sie das nicht mehr, sie weiß, dass das kaum noch möglich ist. „Jetzt wünsche ich mir nur noch, dass er die Schulzeit gut übersteht. Und gesund bleibt“, sagt die 42-Jährige.

Hochbegabte Kinder
Mason mit seiner Mutter Tessa Mora. Weil kein Gymnasium in Hamburg ihn aufnehmen wollte, zogen die beiden nach Neumünster, dann nach Mönchengladbach. © privat | Privat

Sie musste in den vergangenen vier Jahren miterleben, wie Mason immer frustrierter wurde, unglücklicher, manchmal fast schon depressiv. Sie sieht die ersten Anzeichen bei Mason, noch bevor ihr Kind sie selbst in Worte fassen kann. Erst kommt die Unruhe, dann die Lustlosigkeit, schließlich die Appetitlosigkeit. Dann weiß Tessa, dass es bald so weit ist. Dass Mason krank wird und nicht mehr zur Schule gehen kann. Dass er nicht mehr zum Sport will, kaum noch das Haus verlassen kann.

Input in der Schule reicht nicht: Was bei Mason passiert, wenn die Langeweile kommt

So wie es schon mehrmals passiert ist. In der Kita, der Vorschule, der Grundschule, dann auf dem Gymnasium. Immer dann, wenn die Langeweile kommt, wenn er nicht gefordert wird, gefördert. „Dann kommt die Verweigerung“, sagt Tessa Mora. Obwohl Verweigerung vielleicht nicht das richtige Wort sei, weil es so negativ klingt, so destruktiv. Doch das sei Mason nicht. „Er möchte einfach nur lernen“, sagt seine Mutter.

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Es klingt so einfach, doch für die Familie ist es die größte Herausforderung. Denn der Input in der Schule reicht Mason meistens nicht aus. „Sobald er sich langweilt, wird er unruhig und macht nicht mehr mit“, so Tessa Mora.

„Das reicht mir nicht.“ Das war einer der ersten Sätze, die Mason gesprochen hat, und er nutzt ihn bis heute. Manchmal spricht er ihn aus, manchmal kommuniziert er die Botschaft dahinter nonverbal.

Hochbegabte Kinder: In Hamburg gibt es etwa 4500 Kinder von ihnen

Mason mag eine Ausnahme sein, aber er ist kein Einzelfall. Etwa 300.000 Kinder in Deutschland gelten als hoch- beziehungsweise höchstbegabt wie Mason, weil sie mit einem IQ von über 130 beziehungsweise mehr als 145 Punkten weit über dem bundesweiten Durchschnitt von 100 liegen. Schätzungsweise 4500 von ihnen leben laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK e. V.) in Hamburg.

Tessa Mora ist inzwischen im Vorstand der DGhK und weiß, dass Mason und seine Schulprobleme keine Ausnahme sind. Sie sind für viele Kinder mit Hoch- und Höchstbegabung die Regel. Denn auch wenn es an allen staatlichen Gymnasien und Stadtteilschulen mindestens eine „Fachkraft für Begabtenförderung“ (FBF) gibt, deren Aufgabe es unter anderem ist, die Konzepte zur Förderung auch von Hochbegabten zu erarbeiten und weiterzuentwickeln – „Wir erleben immer wieder, dass diese Schülergruppe im regulären Schulunterricht häufig unterfordert ist, die Motivation verliert und sich abschottet“, sagt Tessa Mora und gibt damit wieder, was sie und andere Eltern erleben.

Unterfordert: Mason musste Bilder anmalen, obwohl er schon längst rechnen konnte

Wenn Tessa Mora über das Thema Schule spricht, geht es nicht wie bei anderen Eltern so oft um Schulbrote oder Mappenfarben, nicht um Lieblingslehrer oder vergessene Sportbeutel. Es geht um Vierjährige, die ohne Ausnahmegenehmigung nicht in die Vorschule dürfen, die Äpfel anmalen müssen, obwohl sie bereits zählen und rechnen können. Die nicht zweimal hintereinander eine Klasse überspringen dürfen, obwohl sie den Stoff könnten, aber noch keine Schreibschrift beherrschen.

Es geht um Eltern, die sich erklären und rechtfertigen müssen, die belächelt und belehrt werden. Die zum Teil nur mit Anwälten ihren Wunsch nach mehrfachen Klassensprüngen in kurzen Zeiträumen durchsetzen können. Und die umziehen, immer und immer wieder. So wie die Moras.

Hochbegabte Kinder
Tessa Mora unterstützt ihren hochbegabten Sohn Mason, wo sie kann. Sie hat ihren Job gekündigt, damit sie sich um ihn kümmern kann. © privat | Privat

Die Moras, das sind Mason und Mutter Tessa. Der Vater bleibt in Hamburg. Die Familie hat dort ein Haus, das sie nicht aufgeben will. Mutter und Sohn werden künftig zwischen Hamburg und ihrem Zweitwohnsitz pendeln.

Starres Schulsystem: In Hamburg wollte kein Gymnasium Mason im Alter von sechs Jahren aufnehmen

Rückblickend, so scheint es Tessa Mora manchmal, befindet sie sich in einem immerwährenden Kampf mit Erziehern und Kitas, Schulleitern und Lehrern, Behörden und Bürokratie. Ein langer Weg voller Missverständnisse, Fehldiagnosen, Vorurteile und bürokratischer Hürden. Die Zeit hat an Mason gezehrt, und an ihr auch. Wegen der Umzüge musste sie mehrmals ihren Job wechseln und vor ein paar Monaten kündigen, um sich um Mason zu kümmern.

Mason, der mit drei Jahren das erste Mal selbst merkte, dass er „anders“ ist, wie er es damals nennt. Der mit vier in die Vorschule gekommen ist und nach drei Monaten von dort in die erste Klasse sprang. Der mit sechs Jahren auf Empfehlung von Psychologen aufs Gymnasium gehen sollte und das zunächst nicht durfte.

„Mit einem Anwalt konnten wir zwar durchsetzen, dass Mason laut Behörde zwar auf das Gymasium darf – doch keine Schule hat ihn aufgenommen“

Tessa Mora,
Mutter von Mason

„Mit einem Anwalt konnten wir zwar durchsetzen, dass Mason laut Behörde zwar auf das Gymasium darf – doch keine Schule hat ihn aufgenommen“, sagt Tessa Mora und erzählt, wie sie schließlich mit Mason nach Neumünster gezogen ist, damit er dort auf ein Gymnasium gehen kann. Zwei Monate lang geht alles gut, dann wiederholt sich alles. Er fühlt sich unterfordert, will nicht mehr essen, nicht mehr das Haus verlassen. Im Februar wird er dauerhaft krankgeschrieben.

Wenn Unterforderung zu Depressionen führt: „Ich will nie wieder zur Schule gehen“

Es ist wie ein immerwährender Kreislauf, kaum zu durchbrechen, so scheint es. „Je öfter wir neu anfangen müssen, umso schwieriger wird es“, sagt Tessa Mora. Sie will nicht resignieren, nicht aufgeben, schließlich geht es um ihr Kind. Um seine Zukunft, seine Gesundheit.

Es passiert immer wieder, dass andere sie belächeln, wenn sie das erste Mal von Masons Hochbegabung erzählt. Ein Erzieher hat mal zu ihr gesagt, dass alle Eltern von „schwierigen Kindern“ meinen würden, diese seien hochbegabt. Tessa Mora hat gelernt, damit zu leben, die Vorurteile der Gesellschaft zu akzeptieren – wenn es nur um sie geht. Aber nicht, wenn es um Mason geht. „Ich will nie wieder zur Schule gehen“, hat er ihr irgendwann gesagt. Für ihn war das keine Drohung, sondern eine Tatsache.

Es gab Momente, da wollten sie nach Dänemark auswandern, weil es dort keine Schulpflicht gibt. Dann hätten sie Mason zu Hause unterrichtet, gefördert und gefordert. Doch dann stellte sich heraus, dass die Hürden zu groß sind. Die neue Sprache, neue Jobs. Vorschriften, Bürokratie.

Erst Neumünster, jetzt Mönchengladbach: Mutter und Sohn ziehen mehrmals um

Vor wenigen Monaten sind sie erneut umgezogen, damit Mason auf eine Privatschule in Nordrhein-Westfalen gehen kann. Die Klassen dort sind kleiner, ein Lehrer kümmert sich maximal um vier Kinder. Mason ist mit acht Jahren jetzt in der 7. Klasse. Das Schulgeld kostet etwa 1200 Euro. Monatlich.

Über Geld spricht man nicht, heißt es. Doch Tessa Mora will, muss auch darüber sprechen. Damit sich etwas ändert. „Es kann nicht sein, dass die Krankenkassen die Kosten für eine Autismus-Testung übernehmen – aber nicht für einen Test auf Hochbegabung“, sagt sie. 350 bis 400 Euro kostet so ein Test, Mason wurde bereits mehrmals getestet. Beim letzten Mal lag sein IQ am Ende des messbaren Wertes.

„Wir wissen, woran wir sind, andere Eltern nicht. Denn viele Eltern von hochbegabten Kindern können sich keine kostenintensiven Tests leisten. Da steht dann eine Vermutung im Raum, wird aber nie bestätigt.“

Tessa Mora,
Mutter eines hochbegabten Kindes

„Wir wissen, woran wir sind, andere Eltern nicht. Denn viele Eltern von hochbegabten Kindern können sich keine kostenintensiven Tests leisten. Da steht dann eine Vermutung im Raum, wird aber nie bestätigt“, sagt Tessa Mora. Es ist einer von vielen Punkten, der sie frustriert und ärgert. Genauso wie die Tatsache, dass Schulen für ein hochbegabtes Kind keine zusätzlichen Fördergelder bekommen – so wie beispielsweise für Kinder mit Autismus.

Enorme Kosten: Ein Test auf Hochbegabung kostet 400 Euro, die Privatschule 1200 Euro

„Dabei brauchen auch hochbegabte Kinder mehr Aufmerksamkeit und anderes Lehrmaterial. Doch weil die Schulen dafür keine zusätzlichen Mittel bekommen, wehren sie sich oft gegen die Aufnahme und sind nicht dafür ausgestattet. Weder personell noch materiell.“ Manchmal kommt es ihr so vor, als ob in unserem Schulsystem nur Geld für Defizite von Schülern ausgegeben werde – aber nicht für die Förderung.

Aus diesem Grund hat die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Kultusministerien der Länder in einem Brandbrief zum Handeln aufgefordert. Erforderlich sei vor allem mehr Flexibilität im Schulsystem. Dazu zählten beispielsweise das Recht auf Früheinschulung, die Erlaubnis von mehrfachen Klassensprüngen in kurzen Zeiträumen, der Erwerb von Abschlussprüfungen ohne Altersgrenze und die Möglichkeit einer individuellen Beschulung.

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Hochbegabt: So schlau wie Einstein – Masons Freunde sind fast alle hochbegabt

Tessa Mora glaubt nicht, dass sich dadurch noch etwas für Mason ändern wird. Aber sie hofft, dass es irgendwann andere hochbegabte Kinder geben wird, die es leichter haben als ihr Sohn.

Früher sind sie jedes Wochenende nach Hause gefahren, jetzt ist die Strecke zu weit dafür, mehr als 500 Kilometer ist es pro Weg. Sie haben sich in Mönchengladbach eine Wohnung am Wald gesucht, damit sie dort viel Zeit verbringen können. Mason liebt es, draußen zu toben. Und Tischtennis zu spielen. Und Pokémon-Karten. So wie viele Jungs in seinem Alter.

Die meisten Freunde von ihm leben in Hamburg. Fast alle sind hochbegabt.