Hamburg. Rund 4800 Schülerinnen und Schüler gelten in Hamburg rechnerisch als hochintelligent. CDU fordert verbindliche Tests zu deren Erkennung.
Hochbegabte Schülerinnen und Schüler standen lange nicht im Blickpunkt der Schulentwicklung. Das pädagogische Interesse galt viel stärker der Förderung der Kinder und Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Gründen Lerndefizite aufweisen. Dabei zählen hochbegabte Schülerinnen und Schüler nicht automatisch zu den leistungsstärksten. Im Gegenteil: Weil diese Schülergruppe im regulären Schulunterricht häufig unterfordert ist, verliert sie die Motivation zum Lernen und schottet sich sogar ab. Ein Problem im Umgang mit Hochbegabung an Schulen ist, diese überhaupt zu erkennen.
Rund 2,2 Prozent aller Schülerinnen und Schüler gelten nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand als hochbegabt. Für Hamburg bedeutet das, dass die Diagnose rechnerisch auf 4814 der 218.804 Jungen und Mädchen an den allgemeinbildenden Schulen zutreffen könnte. Im Laufe der vergangenen Jahre ist die Bedeutung des Themas Hochbegabung an den Hamburger Schulen deutlich gewachsen. An allen staatlichen Gymnasien und Stadtteilschulen gibt es mindestens eine „Fachkraft für Begabtenförderung“ (FBF), deren Aufgabe es unter anderem ist, die Konzepte zur Förderung auch von Hochbegabten zu erarbeiten und weiterzuentwickeln. Auch viele Grundschulen verfügen über eine FBF.
Wie viele hochbegabte Schüler erkannt und gefördert werden, weiß der Senat nicht
Allerdings: Laut Senat verfolgt Hamburg „einen weiten Begabungsbegriff, der die Gruppe der hochbegabten Schülerinnen und Schüler einschließt“. Das Schulgesetz sieht die Begabungsförderung als eine Regelaufgabe aller Schulen vor, die sich auf „die leistungsstarken, besonders begabten und hochbegabten Schülerinnen und Schüler“ erstreckt. Zentrales Projekt der so verstandenen Begabungsförderung ist die Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“ (LemaS), an der aktuell 43 Schulen in Hamburg teilnehmen: 13 Gymnasien, elf Stadtteil- und 19 Grundschulen. Im Rahmen des bis 2027 laufenden zehnjährigen Programms geht es vor allem um die Entwicklung von Förderkonzepten für leistungsstarke, besonders und hochbegabte Jungen und Mädchen sowie die Potenzialerkennung und -förderung im MINT- und im sprachlichen Unterricht.
Doch wie viele hochbegabte Schülerinnen und Schüler tatsächlich erkannt und gefördert werden, ist offensichtlich nicht klar. „Die Definition der Hochbegabung orientiert sich an den Ergebnissen einer Intelligenztestung (IQ-Definition). Da die Bestimmung der Intelligenzwerte zu einem sensiblen Persönlichkeitsmerkmal gehört, werden diese im Kontext der Schule nicht regelhaft erhoben, sondern anlassbezogen im Rahmen der Fachberatung“, heißt es in der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein, Birgit Stöver und Silke Seif.
Die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein fordert verbindliche Tests
„Die Beratungsstelle Besondere Begabungen arbeitet anlassbezogen mit allen vorschulischen und schulischen Fachkräften sowie mit Fachärzten und pädagogisch-psychologischen Fachkräften im Rahmen der Beratung zur Feststellung einer Hochbegabung zusammen“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage. Die Zusammenarbeit erfolge auf Wunsch der Eltern oder der Schule mit Einverständnis der Eltern. Die Kooperation umfasst laut Senat „den Austausch von Informationen über das Lern- und Leistungsverhalten der Schülerinnen und Schüler, den Austausch von Leistungs- und Gesundheitsdaten sowie die gemeinsame Beratung am ,runden Tisch‘, an dem mehrperspektivisch ... die aktuelle Situation einschließlich der diagnostischen Einschätzung besprochen und Fördermöglichkeiten erörtert werden“.
Der CDU-Abgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein reicht das nicht. „Der rot-grüne Senat verlässt sich in den Schulen bei der Identifizierung Hochbegabter weiter allein auf die individuelle Einschätzung der Lehrer. Das mag in manchen Fällen funktionieren, ersetzt aber nicht verbindliche Tests zur Erkennung von Hochbegabung. Die müssen jetzt endlich eingeführt werden, damit die Hochbegabtenförderung auf verbindlicher und wissenschaftlich valider Grundlage starten kann“, sagt die frühere FDP-Spitzenkandidatin, die Mitte Juli zur CDU übergewechselt war.
2,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen gelten als hochbegabt
Das wird in der Schulbehörde anders gesehen. „Gegen eine flächendeckende Testung sprechen nicht nur die Gründe des Datenschutzes; es ist nach dem aktuellen Stand der Forschung zur Begabungs- und Begabtenförderung auch nicht sinnvoll, eine regelhafte, flächendeckende Intelligenztestung vorzunehmen“, sagte Behördensprecher Peter Albrecht.
Die konkreten Angebote zur Förderung leistungsstarker, besonders begabter und hochbegabter Schülerinnen und Schüler umfassen sogenannte Enrichment-Kurse außerhalb des regulären Unterrichts. Dazu zählen Angebote im Bereich der MINT-Fächer sowie des kreativen Schreibens und der Geisteswissenschaften. In Zusammenarbeit mit dem Gut Karlshöhe (Bramfeld) findet in den Märzferien 2025 ein Forschercamp statt. Zu Beginn der Sommerferien bietet die JuniorAkademie im schleswig-holsteinischen St. Peter-Ording zweiwöchige Kurse für besonders begabte Schülerinnen und Schüler der Klassen acht bis zehn auch aus Hamburg an. Laut Senatsantwort haben an den Enrichment-Angeboten und der JuniorAkademie im Laufe des Schuljahres 2023/24 in 115 Kursen 1965 Schülerinnen und Schüler teilgenommen.
Senat hat keine Informationen über Programme zur Hochbegabtenförderung an Kitas
Die „digitale Drehtür“ ist eine bundesweite webbasierte Plattform, auf der Förderangebote für leistungsstarke, besonders und hochbegabte Schüler aller Jahrgangsstufen veröffentlicht werden. Das Hamburger Projekt PriMa fördert mathematisch interessierte und begabte Schülerinnen und Schüler ab Klasse drei. Daneben gibt es eine Reihe von Wettbewerben, die ausdrücklich der Spitzenförderung dienen wie die Mathematik-Olympiade, Jugend forscht und die Internationalen Physik-, Chemie- und Biologie-Olympiaden.
Während der Senat über Konzepte und Angebote zur Begabtenförderung an Schulen umfangreich Auskunft gibt, entpuppen sich die Kindertagesstätten als Leerstelle. Auf die CDU-Frage, an welchen Kitas Programme zur Hochbegabtenförderung umgesetzt werden, teilte der Senat mit: „Die für Kindertagesbetreuung zuständige Behörde (die Sozialbehörde, die Red.) verfügt über keine zentral erhobenen Informationen zur Beantwortung dieser Frage.“
Weiter heißt es immerhin: „Die (städtische, die Red.) Elbkinder-Vereinigung Hamburger Kitas setzt keine Programme zur Hochbegabtenförderung ein.“ Die pädagogischen Fachkräfte der Elbkinder würden jedes einzelne Kind sorgfältig betrachten, „um so jedes Kind nach seinen Möglichkeiten herauszufordern und dadurch seine Entwicklung und Begabung individuell bestmöglich zu fördern“.
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Anna von Treuenfels-Frowein kritisiert das Nichtwissen des Senats scharf. „Es ist unverantwortlich, dass der Senat keine Kenntnis davon hat, an welchen Kitas Programme zur Hochbegabtenförderung eingesetzt werden. Wie soll frühe Förderung in der Schule beginnen, wenn die Zuständigen nicht wissen, was vor der Grundschule mit hochbegabten Kindern passiert ist oder nicht?“, fragt die CDU-Abgeordnete und fügt hinzu: „Wer am Anfang der Hochbegabten-Identifizierung und -Förderung so nachlässig vorgeht, wird auch mit den zahlreichen später ansetzenden Maßnahmen zu wenig erreichen.“