Hamburg. SPD spricht sich für Koalition mit CDU, FDP und Volt aus. Die Grünen wären als stärkste Kraft außen vor – und äußern sich empört.
Vor fünf Wochen berichtete das Abendblatt über den „Geheimplan“ Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP im Bezirk Hamburg-Nord. Jetzt, gut zwei Monate nach den Bezirksversammlungswahlen, steht der Machtwechsel im traditionell rot-grünen zweitgrößten Bezirk der Stadt unmittelbar bevor. Der Kreisvorstand der SPD hat einstimmig beschlossen, Koalitionsverhandlungen mit CDU, FDP und zusätzlich der neuen Partei Volt aufzunehmen. Die Grünen, nach wie vor stärkste Kraft in Nord, wären ausgebootet.
Rechnerisch wäre eine Fortsetzung des grün-roten Bündnisses möglich gewesen. Die Grünen, die 27,9 Prozent erreichten, kommen auf 15 Sitze und hätten zusammen mit den zwölf Sitzen der SPD (23,4 Prozent) eine Mehrheit von 27 Abgeordneten in der 51-köpfigen Bezirksversammlung. Aber die Sozialdemokraten haben eine zweite Option: Auch mit der CDU (19,3 Prozent, zehn Sitze) und der FDP (7,2 Prozent, vier Sitze) ergibt sich eine knappe Mehrheit von 26 Sitzen einer Deutschland-Koalition, die nun noch um die drei Abgeordneten von Volt (6,1 Prozent) verbreitert werden soll.
Hamburg-Nord: SPD führte Sondierungsgespräche mit den Grünen, CDU, FDP und Volt
„Die Gespräche der vergangenen Wochen haben deutlich gemacht, dass unsere Vorstellungen in einer Zusammenarbeit mit CDU, FDP und Volt am besten realisierbar sind. Auf dieser Grundlage haben wir uns entschieden, in den kommenden Wochen mit den drei Parteien über eine Koalition und Politik für die kommenden fünf Jahre zu verhandeln“, heißt es in einer Erklärung der SPD-Kreisvorsitzenden Lena Otto und Alexander Kleinow sowie der Bezirks-Fraktionschefin Tina Winter.
Wie berichtet, hatte sich die SPD in den Sondierungsgesprächen deutlich kritisch gegenüber dem (Noch-)Koalitionspartner von den Grünen gezeigt. Stichpunkte sind die aus SPD-Sicht nicht ausreichende Bürgerbeteiligung im Bezirk und die von Grünen dominierte Verkehrspolitik, die den Autofahrern mit dem Anwohnerparken und dem Parkplatzabbau das Leben schwer macht. „Ein fairer Mobilitätsmix, der niemanden gegeneinander ausspielt, sowie eine breite Bürgerbeteiligung, die die Wünsche und Anliegen der Menschen aus dem Bezirk aufgreift und mit in die Entscheidungsprozesse einbezieht, waren hierbei (in den Sondierungsgesprächen, die Red.) zentrale Themen für die SPD“, erklären die Spitzengenossen aus Nord in bewusster Abgrenzung zu den Grünen.
Michael Werner-Boelz (Grüne) soll als Bezirksamtsleiter abgelöst werden
„Um diese Ziele zu verwirklichen, möchten wir eine Bezirksamtsleitung finden, die eine solche Politik effektiv umsetzt und die Bezirksverwaltung kompetent führen kann“, sagen Otto, Kleinow und Winter. Das ist der entscheidende Satz der Erklärung, denn darum geht es den Sozialdemokraten vor allem: die Ablösung des von ihnen nicht geschätzten Bezirksamtsleiters Michael Werner-Boelz (Grüne), seit dem Erdrutschsieg der Grünen bei der Wahl 2019 im Amt. Die SPD hatte dem Verwaltungschef mehrfach politische Alleingänge vorgeworfen.
Werner-Boelz‘ Amtszeit endet Anfang 2026, doch jetzt spricht viel dafür, dass das neue Bündnis bereits vorher einen neuen Bezirksamtsleiter oder eine Bezirksamtsleiterin mit seiner Mehrheit wählt. Den Sozialdemokraten steht als stärkster Fraktion traditionell das Vorschlagsrecht zu. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die SPD die Chance, das Bezirksamt „zurückzuerobern“, entgehen lässt. Nach Abendblatt-Informationen hat die CDU bereits signalisiert, dass sie bereit wäre, einem SPD-Mann oder einer SPD-Frau die Bezirksamtsleitung anzuvertrauen.
Bürgerschaftswahl 2025: Entscheidung in Hamburg-Nord eröffnet interessante Perspektiven
„Ich begrüße dieses Votum der SPD. Auch wir als CDU wollen Michael Werner-Boelz ablösen – der grüne Bezirksamtsleiter hat in den vergangenen Jahren massiven Schaden angerichtet“, sagt der CDU-Kreisvorsitzende Christoph Ploß. „Der ideologischen Politik der grünen Partei, die vor allem von sinnloser Parkplatzvernichtung, immer neuen Parkgebühren und dem Verbot neuer Einfamilienhäuser geprägt war, haben die Wähler eine klare Absage erteilt. Für eine Koalition, die diese ideologische Politik ändert, stehen wir bereit“, so Ploß. Die CDU will am 29. August über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entscheiden.
Sollte es zum Machtwechsel in Hamburg-Nord kommen – und derzeit spricht alles dafür –, ergeben sich interessante Perspektiven auch mit Blick auf die Bürgerschaftswahl am 2. März 2025. Die CDU, Opposition in der Bürgerschaft, wäre mit dem Eintritt in ein Bündnis mit der SPD auf Bezirksebene aufgewertet. Das Signal der Sozialdemokraten an die auf Landesebene mitregierenden Grünen: „Wir können auch anders!“
- Drei Siege für Hamburgs Grüne, je zwei für SPD und CDU
- Bezirkswahlen in Hamburg: Was sie fürs Rathaus bedeuten – die Analyse
- Bezirkswahl 2024: CDU spricht sich nach Wahlsieg für „Wandsbek-Koalition“ aus
Hamburg-Nord: Grüne kritisieren Postenbeschaffung für SPD
Die Grünen zeigten sich am Sonntag zerknirscht über die Absage der SPD an eine Fortführung der Zusammenarbeit in Nord. Es gehe den Sozialdemokraten nicht um „konkrete Politik“ für den Bezirk. „Vielmehr soll ausschließlich einem Genossen der Posten der Bezirksamtsleitung verschafft werden.“ Die Themen der langen Zusammenarbeit würden somit infrage gestellt, heißt es in einer Erklärung von Fraktion und Partei. „Dass die SPD es für nötig hält, eine Viererkonstellation einzugehen, zeigt, dass sie sich der knappen Mehrheit von nur einer Stimme bei Rot-Schwarz-Gelb nicht sicher ist.“
Dennoch bedeutet der Schwenk der SPD auf Bezirksebene nicht schon einen Kurswechsel für die Bürgerschaftswahl 2025. Übrigens ist auch im größten Bezirk Wandsbek ein Zusammengehen von SPD und CDU möglich, nachdem sich Rot-Grün nur noch mit der FDP fortsetzen ließe. Aber: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und führende Politiker von SPD und Grünen haben sich für eine Fortsetzung des seit 2015 bestehenden Bündnisses im Rathaus ausgesprochen.
Und auch die Grünen sind der SPD auf Bezirksebene schon einmal „untreu“ geworden: In Eimsbüttel, wie Hamburg-Nord traditionell Rot-Grün oder Grün-Rot, schlossen die Grünen 2019 ein Bündnis mit der CDU. Zwei Jahre später kündigte die Ökopartei die Koalition wegen wachsender Differenzen auf. Ein Grund: Zweimal verfehlte die Kandidatin der Grünen für den Posten der Bezirksamtsleiterin, Katja Husen, die Mehrheit in der Bezirksversammlung. Es gab „U-Boote“ bei Grünen oder CDU. Ein solches Debakel will das sich abzeichnende Bündnis in Hamburg-Nord vermeiden. Auch deswegen soll die Mehrheit unter Einschluss der Volt-Partei verbreitert werden.