Hamburg. Angeklagter zweigte Geld der Passagiere aufs eigene Konto ab. „Ich war spielsüchtig“, sagt er. An manchen Tagen verspielte er 20.000 Euro.

Nachts, wenn viele seiner Kollegen schliefen, begann für Jonathan L. (Name geändert) eine besonders aktive Zeit. Dann saß er im Casino oder am Computer und spielte. Es war die Hoffnung auf den hohen Gewinn, das große Glück, das ihm viel Geld in die Taschen spülen sollte. Doch statt den ganz großen Coup zu landen, verlor der 35-Jährige alles. Sein Geld – und vor allem seinen Arbeitsplatz bei einem Unternehmen für Kreuzfahrten. Denn dort, wo andere ihren Urlaub buchen, hatte Jonathan L. seine Schlüsselstellung in der Buchhaltung ausgenutzt – und fleißig fremde Gelder auf sein Konto umgebucht.

Jetzt im Prozess vor dem Amtsgericht, wo dem Mann gewerbsmäßiger Betrug sowie Untreue vorgeworfen wird, räumt der Angeklagte alle Vorwürfe unumwunden ein. Insgesamt habe der 35-Jährige durch unrechtmäßige Überweisungen rund 595.900 Euro für sich abgezweigt, hält die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor. Als Leiter der Debitorenbuchhaltung und damit zuständig unter anderem für Forderungen von Kunden und Gutschriften an sie, habe er durch Manipulationen hohe Summen zu Unrecht eingestrichen. Anstatt auf die Konten der Kunden floss das Geld demnach an ihn.

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Um den Betrug zu verschleiern, habe er darüber hinaus die Kontrollen nach dem Vier-Augen-Prinzip ausgehebelt, so die Vorwürfe weiter. Indem er im Buchungssystem sein Kürzel durch die von Mitarbeitern ersetzte, konnte er als Chef der Abteilung nun quasi seine eigenen Buchungen „kontrollieren“ beziehungsweise durchwinken. Über rund anderthalb Jahre, von Januar 2019 bis August 2020, soll Jonathan L., der die Personalverantwortung für 80 Mitarbeiter hatte, so vorgegangen sein. Dann kam die fristlose Kündigung, weil seine Machenschaften aufflogen.

Prozess
Dem Angeklagten wird im Prozess vor dem Amtsgericht gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen.   © Bettina Mittelacher | Bettina Mittelacher

„Ich war in eine Parallelwelt abgetaucht“, sagt der Angeklagte über die Zeit, in der er bei dem Kreuzfahrt-Unternehmen immer wieder Betrügereien beging. „Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was die Spielwelt und was die andere Welt war.“ Er spricht von einer „langjährigen Suchterkrankung“, unter der er leide, und mehreren Therapien, die er deshalb durchlaufen habe. „2019 hatte ich einen Rückfall.“

99 Prozent des Geldes, das er für sich abzweigte, habe er beim Glücksspiel verloren. Wegen seiner exzessiven Spielleidenschaft, durch die er an manchen Tagen 10.000 oder sogar 20.000 Euro verzockt habe, habe er sich irgendwann „nicht mehr anders zu helfen gewusst“, als sich das Geld zu Unrecht über seinen Arbeitgeber zu überweisen. Seine Taten seien „mit viel Angst und Reue verbunden“, erzählt Jonathan L. Er sei „in einen Strudel geraten“.

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So führte ihn eine seiner Reisen unter anderem nach Las Vegas, das Mekka des Glücksspiels, wo Casinos rund um die Uhr geöffnet sind und überall die Versuchung lockt. Oder er ging in Hamburg oder Berlin ins Casino. Und während des Corona-Lockdowns blieb immer noch die Möglichkeit, online beim Spielen sein Glück zu versuchen.

Die Manipulationen von Kontodaten sei für ihn als Chef der speziellen Abteilung in der Finanzbuchhaltung relativ einfach gewesen, erklärt der Angeklagte. Zahlreiche Buchungen habe er sich selber ausgedacht. „Es ging relativ schnell, dass aus monatlichen Zahlungen wöchentliche wurden“, ordnet er seine Taten ein. Für die jeweiligen Umbuchungen habe er nur rund ein bis zwei Minuten gebraucht. „Ich habe gehofft, dass ich irgendwann beim Spielen einen Gewinn habe und das Geld zurückzahlen kann“, sagt der schmale Mann mit leiser Stimme. „Aber das passierte nicht.“ Schließlich habe er gemerkt, dass er „da allein nicht mehr rauskomme“, und sich 2021 in eine stationäre Therapie begeben.

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Auch danach suchte sich Jonathan L. professionell weiter Hilfe, teilweise ambulant. Er habe das Ziel, jetzt „suchtfrei zu bleiben“. Dabei helfe ihm, dass er seit drei Jahren eine verständnisvolle Partnerin habe, die ihn in allem unterstütze und mit der er sich ein neues Leben aufbauen könne. Auch einen neuen Arbeitsplatz suche er. Und mit dem Abzahlen der Schulden habe er begonnen. Rund 25.000 Euro hat er mittlerweile zurücküberwiesen. Bis er alle Schulden abgestottert haben wird, ist es noch ein sehr weiter Weg.

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Die Staatsanwaltschaft fordert für den Angeklagten zweieinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Das Gericht bleibt unter diesem Antrag und verhängt wegen Betruges und Untreue in 89 Fällen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Zudem ordnet das Gericht die Einziehung in Wertersatz in Höhe von rund 595.900 an. Die Wurzel allen Übels bei den Taten des Angeklagten, fasst der Richter zusammen, sei „die Spielsucht“.