Hamburg. Soll Jagdhund nicht angeleint haben. Halter bekam ihn nicht unter Kontrolle. In Hamburgs Nordosten gab es einige Zwischenfälle.

Die Schreie waren kaum zu ertragen. Schwer verletzt lag der Rehbock am Rande eines Feldes, von einem Hund angegriffen und nicht mehr imstande zu laufen. Er gab jammervolle Geräusche von sich. Wenig später war ein Jäger zur Stelle, der das Tier von seinem Leid erlöste.

Gut anderthalb Jahre später haben die Geschehnisse vom 14. Dezember 2022 jetzt ein juristisches Nachspiel. In einem Prozess vor dem Amtsgericht muss sich wegen Jagdwilderei der Halter jenes Hundes verantworten, der das Reh attackiert haben soll. Dem 73-Jährigen wird vorgeworfen, er habe im Revier Bergstedt seine Weimaraner-Hündin jedenfalls ohne reißfeste Leine oder sogar unangeleint laufen gelassen, sodass der Hund das Reh hetzen und erheblich verletzen konnte. Dem Jagdpächter ist dabei laut Anklage ein Schaden von mehr als 290 Euro entstanden.

Prozess Hamburg: Reh attackiert und Radfahrerin umgerissen?

Ein halbes Jahr später soll die Hündin ebenfalls nur so locker an der Leine geführt worden sein, dass sie eine Radfahrerin anspringen konnte. Die Frau fiel demnach mit ihrem Rad um und verletzte sich. Dem Halter sei bekannt gewesen, dass sein Tier eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit anderer darstelle, so die Anklage weiter. Denn schon vorher habe es vergleichbare Vorfälle gegeben.

Prozess
Dem Angeklagten (links, mit seinem Verteidiger) wird Jagdwilderei vorgeworfen. © Bettina Mittelacher | Bettina Mittelacher

Dass seine Weimaraner-Hündin den Rehbock angegriffen hat, räumt der Angeklagte vor Gericht ein. Er habe sie an der Leine geführt, erzählt der 73-Jährige, doch die Leine sei gerissen. Als der Rehbock seinen Weg im grünen Hamburger Nordosten kreuzte, „lief der Hund wie ein Berserker hinter dem Reh her“, erzählt Uwe V. (Name geändert). Das Wild sei am Hinterlauf und am Hals verletzt gewesen.

Er habe dann den Jagdpächter angerufen, der sich darum gekümmert habe, dass das Tier von seinem Leid erlöst wurde. Den finanziellen Schaden des Pächters habe er umgehend beglichen, erzählt der Rentner weiter. „Hinterher kam dann die Anzeige.“ Das scheint Uwe V. als persönliche Schikane zu empfinden. Er „schätze den guten Mann nicht. Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit.“ Der Jagdpächter versuche, ihm eins auszuwischen, meint der Angeklagte.

Eine Fünfjährige habe „bitterlich geweint“, als der Hund ihr zu nahe kam

Heute jedenfalls gehe sein Hund ausschließlich an der Leine, sagt Uwe V., als der Richter auf einen dicken Aktenordner zeigt, in dem Berichte über Vorfälle gesammelt sind, die alle dem Hamburger beziehungsweise seiner Hündin zugeschrieben werden. So jage das Tier unter anderem Hasen, und es habe wiederholt Zwischenfälle gegeben, bei denen Pferde und Reiter beunruhigt wurden. Seit Ende 2021 besteht für den Hund Leinenpflicht, nachdem das Tier zudem wiederholt auf Passanten, auch auf Kinder, zugelaufen sei. Unter anderem habe sich eine Fünfjährige bedroht gefühlt und „bitterlich geweint“, heißt es in der Akte.

Wäre die Auflage mit der Leinenpflicht konsequent umgesetzt worden, hätte es weder zu dem Vorfall in Bergstedt mit dem gehetzten Reh kommen dürfen noch zu der Begegnung, die im vergangenen Sommer für eine Radfahrerin unschön endete, als sie von dem Hund angesprungen wurde. Es seien in der Gegend viele Radfahrer unterwegs, und „die erschrecken einen“, wenn sie von hinten kommen, sagt der Angeklagte dazu, und es klingt empört. Es gehöre sich, dass die Radler ihre Klingel benutzen und einen vorwarnen, bevor sie einen Spaziergänger überholTen, findet Uwe V. Das treffe auch auf jene Hamburgerin zu, gegen die sein Hund geraten sei, als er offenbar vor Schreck einen Sprung zur Seite machte. „Dadurch muss sie gestürzt sein. Ich war aufgeregt und habe deshalb nicht getan, was sich gehört: nämlich fragen, ob sie sich verletzt habe.“ Stattdessen habe er wissen wollen, warum sie nicht geklingelt habe?

Prozess Hamburg: „Das war nicht der erste Vorfall. Ich habe das schon vorausgesehen“

Jetzt im Prozess entschuldigt sich der 73-Jährige für dieses Versäumnis. „Der Anstand gebietet es“, so der Angeklagte, dass er sich hätte erkundigen müssen, wie es der Frau nach ihrem Sturz geht. Und genau das wirft die Zeugin dem Hundehalter auch vor. „Hätte er mir aufgeholfen und sich entschuldigt, wäre das für mich erledigt gewesen“, sagt die Hamburgerin. „Aber er beschimpfte mich, warum ich nicht geklingelt hätte.“

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Auch der Mann, in dessen Jagdgebiet der Rehbock von dem Hund angefallen wurde, hat eher keine guten Erfahrungen mit Uwe V. gemacht. Er sei von einer Frau per Telefon benachrichtigt worden, dass ein Hund ein Reh verletzt hatte, erzählt der Jagdpächter. Daraufhin habe er dafür gesorgt, dass „das Tierleid beendet wird“. Die Anruferin habe ebenfalls mitgeteilt, dass der Hund nicht an der Leine gewesen sei. Daraufhin habe er Uwe V. zu verstehen gegeben, „dass es so nicht weitergehen kann. Es war nicht der erste Vorfall.“ Er habe es schon „vorausgesehen“, dass etwas passieren würde, weil Uwe V. angeblich seinen Hund regelmäßig unangeleint laufen lasse.

„Ich sprach ihn an, dass er seinen Hund unter Kontrolle bringen müsse.“ Eine Ausbildung für das Tier sei unbedingt angesagt – gerade auch deshalb, weil Weimaraner Jagdhunde seien, betont der Zeuge. Unter Jägern gelte der Weimaraner „als Sportwagen“. Der Prozess wird fortgesetzt.