Hamburg. Anorexia nervosa kann schwerste gesundheitliche Folgen haben. Auf welche Warnsignale Eltern achten und was sie tun sollten.

Wenn Dr. Claudia Haupt und Dr. Charlotte Schulz vor ihren Magersucht-Patientinnen stehen, sehen sie: Haut und Knochen. Aber diese Mädchen nähmen ihr Spiegelbild meist ganz anders wahr: Sie hielten sich für zu dick. „Dieses stark verzerrte Körperbild tritt oftmals erst unter einer bestimmten Gewichtsgrenze auf“, sagt die Blankeneser Kinderärztin Haupt im Podcast „Die KinderDocs“.

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Magersucht: Was sie so gefährlich macht und was man tun kann

Die KinderDocs - der Eltern-Ratgeber-Podcast

Magersucht oder Anorexia nervosa, so der Fachausdruck dieser schweren Essstörung, beginne meist mit oder in der Pubertät – und oftmals unscheinbar. Was mit dem Interesse für eine gesunde Ernährung beginne, münde häufig in einen strengen Ernährungsplan, die Kinder und Jugendlichen verzichteten etwa auf Zucker und Fette, nähmen im Verlauf nicht mehr an gemeinsamen Mahlzeiten teil, begännen sehr viel Sport zu treiben – und erhielten schnell ein Ergebnis, das sie als Erfolg verbuchten: Gewichtsverlust.

Magersucht bei Kindern und Jugendlichen kann schwerste Folgen haben

Doch die unerwünschten Folgen eines starken Gewichtsverlustes seien teilweise verheerend – und nicht immer sichtbar: Wachstumsstörungen, Osteoporose, niedriger Puls bis hin zu gefährlichen Herz-Rhythmus-Störungen, Müdigkeit, sehr trockene Haut, schütteres Haar, Verdauungsprobleme, Wassereinlagerungen im Herzbeutel, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnislücken. Bei den Mädchen – sie machen die große Mehrzahl der Fälle aus – bleibt meist die Regelblutung aus. Auch die Schilddrüsenfunktion, die den Grundumsatz des Körpers steuert, wird gedrosselt.

Charlotte Schulz versucht es den Jugendlichen in ihrer Praxis in Hoheluft-Ost mit einem Vergleich zu erklären: „Ich sage ihnen: Weißt du, dein Körper geht jetzt in so einer Art Winterschlaf. Der nutzt die wenige Energie, die ihm noch zugeführt wird, für die absolut überlebenswichtigen Dinge, alles andere ist unwichtig und wird komplett vernachlässigt.“ Umso erstaunlicher sei, was diese Kinder und Jugendlichen oftmals körperlich und geistig noch zu leisten imstande sind. „Es sind ja häufig gerade sehr intelligente und disziplinierte Jugendliche betroffen, die in anderen Bereichen ihres Lebens Höchstleistungen vollbringen“, sagt Schulz.

Magersucht begleitet ein Drittel der Betroffenen ein Leben lang

Ähnlich schwerwiegend seien die psychischen Auswirkungen und die für das Sozialleben. Ein lustvolles Essen mit Freunden oder mit der Familie etwa sei nicht mehr möglich. Schulz: „Das Thema dominiert die Gedanken, die Freundschaften, den Alltag, und irgendwann verliert man eben die Kontrolle, beziehungsweise die Krankheit übernimmt.“

Ein bis zwei von 100 Kindern und Jugendlichen sind von Magersucht betroffen – sehr viel für eine chronische Erkrankung, die Magersucht ja ist. Denn nur etwa ein Drittel der Betroffenen bekomme die Krankheit schnell in den Griff. Ein weiteres Drittel brauche dafür Jahre. Und ein Drittel begleite diese schwere Essstörung ein Leben lang. Im schlimmsten Fall kann sie zum Tod führen.

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Potenziell gefährdet sind sehr viele. Ein Fünftel aller Elf- bis 17-Jährigen weist Symptome einer Essstörung auf, warnt Claudia Haupt, bei den 14- bis 17-jährigen Mädchen sei es sogar ein Drittel: „Das ist schon extrem viel, verglichen mit früheren Zahlen.“

Schulz appelliert an die Eltern: „Wenn Sie Sorge über eine Essstörung bei Ihren Kindern haben: Bestehen Sie auf dem Arztbesuch, so wie Sie es bei einem gebrochenen Bein tun würden!“ Eltern allein seien mit der Dimension dieser psychosomatischen, also Körper und Geist gleichermaßen betreffenden, Krankheit zwangsläufig überfordert.

Magersucht: Psychotherapie bei der Behandlung unabdingbar

Gleichzeitig sollte man sich unbedingt um einen Termin bei Kinder- und Jugend-Psychotherapeuten bemühen. Haupt: „Ohne sie kommen wir nicht vom Tritt. Aber wir können in der Praxis vieles tun und müssen das auch oft lange auffangen.“

Wie Eltern von Betroffenen die Therapie unterstützen können, was Magersucht mit Depression zu tun hat und wie Kommentare auf Social Media die Krankheit befördern können, auch darüber reden die KinderDocs in der aktuellen Podcast-Folge.