Hamburg. In Krisenzeiten sind Ruhe und Besonnenheit besonders wichtig. Anders lässt sich die Eskalationsspirale nicht stoppen.
Knapp drei Wochen liegen die faschistoiden Terrorattacken der Hamas nun zurück – und inzwischen muss man konstatieren: Das zynische Kalkül der gottlosen „Gotteskrieger“ ist aufgegangen.
Der demokratische Staat Israel ist traumatisiert und gezwungen zu reagieren. Diese Reaktion aber, schon jetzt im Luftkrieg erkennbar und erst recht mit der erwarteten Bodenoffensive, dürfte genau die Bilder liefern, die die Terroristen bezwecken wollten.
Angriff der Hamas: Auf Hass dürfen wir nicht mit Hass reagieren
Sie sehnen sich nach Fotos toter Zivilisten im Gazastreifen und nach Videos mit leidenden Palästinensern, um mit ihnen in einen noch größeren Kampf zu ziehen. Sie wollen einen Krieg heraufbeschwören zwischen der arabischen Welt und dem Westen, zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten, aber auch im Herzen der westlichen Demokratien.
Sie träumen von einem Kampf der Kulturen. Die wütenden Heißsporne, die im Namen Allahs in Sydney, New York oder Hamburg vermeintlich für die Sache der Palästinenser auf die Straße gehen, sind in Wahrheit eine fünfte Kolonne der Hamas.
Und doch hilft es in dieser aufgeheizten Lage nicht, mit noch mehr Emotionen, Wut und Empörung auf diese Demonstrationen, aber auch auf die Äußerungen oder besser fehlenden Äußerungen der Islamverbände zu reagieren.
Es muss möglich bleiben, kritische Fragen zu stellen
Wer derzeit die Einlassungen deutscher Politiker und Medien verfolgt, darf und muss sich wundern: Wenn UN-Generalsekretär António Guterres an die Verhältnismäßigkeit erinnert, an die sich laut Völkerrecht auch angegriffene Staaten halten müssen, steht er im Fokus der Kritik. Und wenn sich der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, in einem Live-Interview unglücklich äußert, erntet er gleich einen Shitstorm. Bei aller nötigen Solidarität mit Israel: Debatten leben von Rede und Gegenrede, Diskussionen von einem offenen Denken.
Doch das Reiz-Reaktions-Schema ist ein Problem unserer gegenwärtigen Politik. Sie muss nicht nur immer schneller auf Aussagen und Aktionen reagieren, sie muss es auch immer lauter tun, um überhaupt durchzudringen. Und sie traut sich nicht, den vorgefertigten Mainstream zu verlassen. Alles schlimmer macht die Moralisierung der Politik. Sie hat Gefühle zum Kern des Handelns gemacht und die abwägende Vernunft ersetzt.
Blutbad in Israel: Derzeitige Weltlage erfordert weniger heiße Herzen und mehr kühlen Verstand
Die grenzenlos naive Einwanderungspolitik der Kanzlerin Merkel hätte man mit Vernunft schon 2015 ablehnen können. Nach dem Blutbad in Israel scheint die Kritik daran plötzlich politischer Konsens zu sein. Allerdings kann auch da verstören, wie schnell der Wind dreht und der Mainstream seine Strömung ändert: Über Nacht schlug bei manchem der Refugees-Welcome-Jubel in einen Generalverdacht gegen alle Muslime um.
Die derzeitige Weltlage erfordert mehr als heiße Herzen, sie benötigt kühlen Verstand: Es geht nicht mehr um Beifall in den sozialen Netzwerken oder den Zuwachs in einer der unzähligen Umfragen – es geht um nicht weniger als die Frage von Krieg und Frieden. Von Helmut Schmidt, dem Kanzler in schweren Zeiten, gibt es den schönen Satz: „Wenn anderen heiß wird, werd ich kalt. Wenn andere kalt werden, werd ich eiskalt.“
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Emotionen bringen uns nicht mehr weiter. Das gilt auf den Straßen in St. Georg ebenso wie in der Weltpolitik. Hamas will die Eskalation, wir wollen sie nicht. Es muss darum gehen, die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Wir dürfen vor den Feinden des Friedens und der Versöhnung nicht zurückweichen, aber dürfen Augenmaß und Recht nicht verlieren.