Hamburg. 49-Jähriger steht vor Gericht. Er soll den Unfall verursacht und keinen Führerschein gehabt haben. Was das 87-jährige Opfer erzählt.
„Plötzlich kam ein kleiner Lastwagen um die Ecke. Und dann hat er uns umgefahren.“ Wenn Anna D. (alle Namen geändert) an den Verkehrsunfall zurückdenkt, bei dem die 87-Jährige und ihr zwei Jahre älterer Ehemann in der Hamburger Innenstadt von einem Fahrzeug erfasst wurden, dann kommt ihr vor allem diese Sequenz in Erinnerung. Unmittelbar nach der Kollision lag die Seniorin schwer verletzt unter dem Fahrzeug.
Auf ihren Gehstock gestützt hat die Hamburgerin sich zum Zeugenstuhl im Prozess vor dem Amtsgericht bewegt. Anna D. ist eine zierliche Frau mit weißem Haar, die mit leiser Stimme erzählt, was ihr vor zweieinhalb Jahren auf der Mönckebergstraße widerfahren sei. Auch damals, an jenem 11. August 2021, war sie mit ihrer Gehhilfe unterwegs – und in Begleitung ihres Mannes. Das Ehepaar wollte zu einem Eiscafé. Doch stattdessen kamen sie mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus. Der Mann, der für den Unfall und die gravierenden Folgen verantwortlich sein soll, muss sich seit Mittwoch in einem Prozess vor dem Amtsgericht verantworten.
Prozess Hamburg: Angeklagtem wird unter anderem Unfallflucht vorgeworfen
Dem Hamburger wird Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige Körperverletzung sowie Unfallflucht zur Last gelegt. Der 49-Jährige soll an jenem Augustmorgen von der Bergstraße in die Mönckebergstraße abgebogen sein und dabei die damals 84 Jahre alte Frau und ihren seinerzeit 86 Jahre alten Mann übersehen und mit seinem Wagen erfasst haben.
Anna D. erlitt bei dem Unfall in Sichtweite des Hamburger Rathauses demnach einen Wirbelbruch, ein Hämatom am Auge, und ihre Schulter wurde ausgerenkt. Ihr Ehemann trug den Ermittlungen zufolge eine Kopfplatzwunde, Hautabschürfungen und ein Schädel-Hirn-Trauma davon. Amir R. habe damals keinen Führerschein der Klasse B besessen, heißt es in der Anklage. Er habe das Ehepaar mit seinem Fahrzeug frontal erfasst, den Unfall bemerkt und sich dennoch vom Geschehensort entfernt, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Verteidiger: Der Falsche sitzt auf der Anklagebank
Selbst äußert sich der Angeklagte, ein kräftiger Mann mit Bart und Brille, nicht zu den Vorwürfen. Was seine Verteidiger indes vortragen, läuft darauf hinaus, dass Amir R. den Unfall nicht verursacht habe – und somit der Falsche auf der Anklagebank sitze. Ihr Mandant habe den weißen Kastenwagen zwar für seine Firma, ein kleines Transportunternehmen, angemietet. Mehrere Angestellte seien damals für Touren in der Innenstadt zuständig gewesen.
Die Verteidigung kritisiert, wie die Polizei seinerzeit ermittelt habe. So habe es bei der sogenannten Wahllichtbildvorlage – also wenn Zeugen Fotos von mehreren Menschen gezeigt werden, um mögliche Verdächtige zu ermitteln – Mängel gegeben. „Die Polizei wollte unbedingt einen Ermittlungserfolg präsentieren“, meinen die Verteidiger.
„Ich habe mich gewundert, wann der Fahrer mal bremsen würde“
Bei der Polizei hatte Anna D. erzählt, dass sie und ihr Mann, bevor sie die Mönckebergstraße betreten haben, nach rechts und links geschaut hätten. „Die Straße war leer.“ Erst dann hätten sie sich in Bewegung gesetzt, als der Autofahrer plötzlich um die Ecke gekommen sei. Der Wagen sei „recht zügig“ unterwegs gewesen. „Ich habe mich gewundert, wann der Fahrer mal bremsen würde.“
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Heute sagt sie, dass der Wagen „ohne abzubremsen“ auf sie zugefahren sei und sie und ihren Mann „umgefahren“ habe. Sie sei dabei vor allem am Arm erwischt worden und unter dem Wagen gelandet. Plötzlich hätten sie mehrere Menschen um sie geschart, um ihr zu helfen. Und dann habe einer der Passanten gesagt: „Ach, der ist ja weg.“ Gemeint war der Unfallfahrer, der davongefahren sei. Eine Frau habe nun mitgeteilt, dass sie sich das Kennzeichen gemerkt habe.
Dies jedoch offenbar unvollständig. Eine 24-Jährige, die damals Zeugin des Unfalls wurde, notierte sich die Buchstaben HH für Hamburg sowie vier Ziffern. Sie sei durch einen Knall auf das Geschehen aufmerksam geworden, schildert die junge Frau jetzt im Prozess. Dann habe sie einen Transporter gesehen und mehrere Leute, die in dessen Richtung gelaufen seien. „Eine Dame lag auf dem Boden, halb unter dem Auto. Und ein Herr war gerade dabei aufzustehen“, erinnert sie sich. Dieser Mann habe an der Stirn geblutet.
Prozess Hamburg: Zeugen meinen, der Fahrer müsse den Unfall bemerkt haben
Nach Ansicht der Zeugin muss der Unfallfahrer bemerkt haben, dass er Menschen zumindest touchiert, wenn nicht sogar verletzt hatte. Der Mann habe angehalten, sei ausgestiegen, habe sich an den Kopf gefasst, offenbar in einer Geste des Erschütterung. „Dann stieg er wieder ein und fuhr weg.“ Ein weiterer damaliger Beobachter hat die Szenerie ähnlich in Erinnerung. Bei der Polizei hatte er außerdem erzählt, dass der Fahrer, bevor es zum Unfall kam, „ungehemmt“ gefahren sei.
Anna D. wurde nach der Kollision eine Woche auf der Intensivstation eines Krankenhauses behandelt, kam dann auf die normale Station und schließlich nach Hause. Augenscheinlich sind ihre Verletzungen mittlerweile recht gut verheilt. Nur ihre Schulter schmerze noch etwas, erzählt die 87-Jährige. Aber sie lebt weiterhin in ihrer eigenen Wohnung und kommt allein zurecht. Notgedrungen. Ihr Mann ist inzwischen verstorben. Der Prozess wird fortgesetzt.