Hamburg. Felix Magath fordert Kanzlerlizenz, Senatoren eine bessere Kommunikation. Was sich Bürgermeister Tschentscher von Olaf Scholz wünscht.
Die Frage ist eigentlich ganz einfach, aber Felix Magath muss trotzdem länger überlegen. „Was würden Sie 2024 anstoßen oder anders machen, wenn Sie Bundeskanzler wären?“ Die Ampel ist in der Krise, auf die Politik wird geschimpft, und die Regierung scheint kein Gegenmittel zu finden.
Aber was würden Hamburgs Prominente und Politiker, die sich am Mittwochvormittag im Hotel Vier Jahreszeiten beim Neujahrsempfang des Abendblatts trafen, denn wirklich konkret anfassen, wenn sie als Bundeskanzler die Möglichkeit dazu hätten?
Hamburgs Bürgermeister Tschentscher würde als Kanzler besser kommunizieren
Magath rührt in seiner Maronensuppe – und denkt nach. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, der an den Tisch kommt, ist da schneller: „Ich würde die Strategie der Bundesregierung mit all ihren unterschiedlichen Themen ganz einfach klarer und besser erklären“, sagt der SPD-Politiker, der im anschließenden Gespräch von Magath wissen will, ob der HSV denn dieses Jahr wirklich aufsteige?
Der Bundeskanzler und die Kommunikation. Unabgesprochen ist es eines der Hauptthemen beim diesjährigen Neujahrsempfang. Auch Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sagt in einem Satz, was Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) in vielen Sätzen äußert.
Auch nahezu alle Senatsmitglieder kritisieren Scholz-Kommunikation
„Ich würde meine Politik anders erklären“, sagt Schlotzhauer, die ihre Antwort aber nicht weiter ausführen will. Anders Tjarks. „Der Bundeskanzler muss mehr und besser kommunizieren“, sagt er. „Er muss auch einmal den Menschen erklären, dass in diesem Land auch vieles gut läuft.“ Dabei zählt der Grünen-Politiker viele Dinge (von der Energiewende bis zur rückläufigen Inflation) auf. „All das muss man den Bürgern aber auch kommunizieren.“
Das sieht Ex-Trainer Magath ein wenig anders. Noch immer denkt er nach, rührt in der zweiten Suppe und sagt erst einmal nur, dass es in Deutschland so viele Probleme gebe, dass er gar nicht weiß, wo er anfangen würde.
Towers-Chef wünscht sich kostenfreien Nahverkehr
Marvin Willoughby, der Geschäftsführer der Hamburg Towers, ist da ein wenig lösungsorientierter. „Ich würde den Nahverkehr kostenfrei für alle anbieten“, sagt der mit 2,02 Metern wahrscheinlich größte Gast im pickepackevollen Vier Jahreszeiten. Sein Argument: Auch er selbst sei ein passionierter Autofahrer, der durch das 49-Euro-Ticket auf die Bahn umgestiegen sei.
Mit der Bahn ist am Mittwoch kaum einer zum Neujahrsempfang gekommen. Nicht wegen der 49 Euro, sondern wegen des Bahnstreiks. Sogar Magath ist aus dem fernen München mit dem Auto angereist, sagt er – und denkt weiter über die Bundeskanzlerfrage nach.
Auch Fegebank fordert weniger Ampel-Streit
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank ist dagegen ähnlich schnell mit einer Antwort wie ihr „Chef“ – und hat auch die gleiche Antwort: „Die Kommunikation der Ampel ist für mich gerade die größte Baustelle.“
Doch die Grünen-Politikerin ist noch etwas ausführlicher als Tschentscher. Ihre Empfehlung an die Kollegen und Kolleginnen in Berlin: „Weniger Streit nach außen tragen – es ist kaum zu vermeiden, dass es intern mal knallt, aber der fortgesetzte Dauerstreit wird immer mehr zum Abturner und trägt dazu bei, dass die Unzufriedenheit mit der Ampel wächst.“
Düstere Prognose für 2030: „... dann gehen hier die Lichter aus“
Erst einmal in Fahrt, fallen der Wissenschaftssenatorin – anders als Magath – immer weitere Punkte ein. Zukunftsinvestitionen in die Bereiche Verkehr, soziale Infrastruktur sowie besonders in die Forschung. „Da sehe ich eine große Gefahr, dass wir in Europa, aber auch weltweit zurückfallen“, sagt Fegebank. Wenn man hier nicht für die 2030er-Jahre investiere, „dann befürchte ich, gehen hier die Lichter aus“.
So düster sieht Gerrit Braun die Lage nicht. Der Miniatur-Wunderland-Grüner hält den grundsätzlichen Weg der Regierung sogar für richtig, „aber es braucht mehr Worte, mehr Erklärungen, mehr Sich-dem-Gegenwind-Stellen“, findet er. „Das Schweigen muss jetzt mal vorbei sein.“ Er plädiert für „mehr Emotion und weniger Sachlichkeit“ an der Regierungsspitze.
Magath und Tschentscher gehen von Doppelaufstieg aus
Emotional wird Magath, der noch immer nach einer Kanzler-Antwort sucht, erst, als er dem Bürgermeister erklärt, warum in dieser Saison der HSV und der FC St. Pauli aufsteigen. Magath (ohne Krawatte) zu Tschentscher (mit Krawatte): „Aber Hamburg muss den Sport viel mehr unterstützen.“
Zu nahezu 100 Prozent einig ist sich die Politik, dass die aktuelle Regierung um Bundeskanzler Olaf Scholz ein wenig Unterstützung in Sachen Kommunikation bräuchte. „Ich muss ehrlich sagen: Die Art und Weise der Kommunikation ist mir, gerade in unserer Krisenlage, absolut unverständlich“, sagt Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel, der als SPD-Fraktionschef mit dem damaligen Bürgermeister Scholz bereits zusammengearbeitet hat.
Viele Dinge, die die Koalition anschiebe oder beschließe, seien schon vermittelbar – „aber man muss sie auch erklären, und da fehlt mir mehr und mehr das Verständnis“. Angesichts der vielen Probleme und Krisen müsse man laut Dressel offen sagen: Es wird nicht ohne Zumutungen gehen. Wenn man die Maßnahmen aber nicht „sauber erkläre“, breche die Bereitschaft und Zustimmung der Bevölkerung weg. Und auf dem Spiel stehe nicht nur die Ampel-Koalition, sondern die Akzeptanz des demokratischen Gemeinwesens.
Scholz müsse auch mal Fehler einräumen, um Vertrauen zurückzugewinnen, und – natürlich – besser kommunizieren. Wenn er ohne vorbereitete Reden frei spreche, wie beispielsweise auf Parteitagen, dann könne er begeistern, meint Dressel und empfiehlt: „Im neuen Jahr öfter mal das Papier mit der vorbereiteten Rede weglassen.“
Innensenator Grote: Vieles wird schlechtergeredet, als es ist
Achtung, Überraschung: Auch Innensenator Andy Grote schließt sich der Meinung seiner Senatskollegen und -kolleginnen an: Es sei schwer, das Gemeinsame in der Gesellschaft zu stärken, wenn man sich in der Koalition nicht einig sei. Vieles werde derzeit aber schlechtergeredet, als es ist. „Im Moment sind Kommunikation und Orientierung wichtig.“
Doch es gibt auch Gäste auf dem Neujahrsempfang, die nicht nur die Kommunikation als Bundeskanzler ändern würden. Patrick Esume, Football-Experte und Gründer der European League of Football: „Wenn ich Kanzler wäre, dann würde ich Sport viel mehr als Integrationstool benutzen“, sagt Esume. „Nur der Sport schafft es in beeindruckender Art und Weise, verschiedene Kulturen zusammenzubringen.“
Magath ist lieber in Hamburg als in seiner Wahlheimat München
Ziemlich beeindruckend ist auch, dass Magath auch nach der dritten Suppe noch über die Frage am Überlegen ist, aber gleichzeitig dem Bürgermeister erklärt, warum die Münchner zwar viel erfolgreicher als die Hamburger seien, er aber viel lieber in Hamburg als in seiner Wahlheimat München sei.
Starpianist Joja Wendt ist da sehr viel pragmatischer. Er würde als Bundeskanzler ein gängiges Prinzip ändern und „nicht mehr nur Entscheidungen treffen, weil sie mehrheitsfähig sind, sondern weil sie sinnvoll sind“. Und sinnvolle Ideen müsse man eben besser verkaufen.
Verfassungsschützer Voß will die AfD nicht stärken
Auf den Punkt ist auch die Antwort von Verfassungsschutzchef Torsten Voß. Als Kanzler würde er alles daransetzen, dass sich die drei Regierungsparteien doch zusammenraufen, damit man der AfD nicht die Wähler in die Hände treibt.
Das sieht Philipp Strichartz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, genauso: „Die Ampel-Regierung muss die Sorgen und Nöte der Bürger viel ernster nehmen, auch wenn sie eine Partei am Rande des Spektrums wählen. Man darf es der AfD nicht durchgehen lassen, wenn sie behauptet, angeblich die einzige Partei zu sein, die sich für Recht und Ordnung einsetzt.“
Schulte-Markwort hofft auf eine Ruckrede
Ähnlich sieht es Hamburgs Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort, der – ähnlich wie Hamburgs CDU-Chef Dennis Thering („Die gegenwärtige Spaltung muss schnell überwunden werden“) – die große Sorge hat, „dass wir mit Radikalisierungstendenzen, die wir gerade in Deutschland sehen, nicht mehr fertig werden“.
Schulte-Markwort meint etwa Vorfälle wie die Blockade einer Fähre mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bord durch eine wütende Menschengruppe. „Es gab eine Zeit, als ein Bundespräsident sagte: ‚Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.‘ Genau das brauchen wir.“
Auch HVV-Chefin Anna-Theresa Korbutt „fehlt in der Ampel-Koalition eine Führungspersönlichkeit“. Und weiter: „Die Ampel-Koalition hat keine Vision. Sie müsste klären: Was ist unser Ziel, wo sollte Deutschland in fünf Jahren stehen?“ Korbutt sagt, sie würde viel stärker in öffentliche Mobilität investieren und in Technologien, die Deutschland voranbringen.
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Malte Siegert, Vorsitzender des Nabu Hamburg, würde als Kanzler seine Partner genau überdenken. „Es ist vor allem die FDP, die in dieser Koalition immer wieder Probleme macht“, sagt er. Für ihn käme auch ein Koalitionswechsel in Betracht.
So weit will Stefanie von Berg (Grüne), Bezirksamtsleiterin Altona, nicht gehen. Ihre Kanzlerforderung: „Es ist die Aufgabe von Olaf Scholz, mehr Führung zu zeigen und von seiner Richtlinienkompetenz auch mal Gebrauch zu machen.“
Einig beim Neujahrsempfang: Kommunikation vom Kanzler schlecht
Andreas Breitner (SPD), Direktor des Verbands Norddeutscher Wohnungsunternehmen, würde auf die Karte Optimismus setzen: „Als Kanzler würde ich vor allem Zuversicht verbreiten und alles dafür tun, die Demokratie zu stärken. Die Menschen müssen Licht am Horizont sehen. Dann macht es auch nichts, einmal einzugestehen, dass nicht alles gut läuft.“
Und Magath? Der hat dann doch noch eine kreative Idee am Ende des Vormittags: Die Bundeskanzlerlizenz müsse her. „Wenn ich als Fußballlehrer eine Lizenz brauche, um elf gesunde, junge Männer zu trainieren, dann sollte ein Bundeskanzler auch eine Lizenz haben, um 80 Millionen Deutsche zu regieren.“
Ende gut, Suppe gut.