Hamburg. Fünf Kinder, eine Spielzeugpistole und die Folgen: Der Großeinsatz in Blankenese erschüttert das Sicherheitsgefühl der Menschen.

Wäre es nicht so bitter, es wäre schon fast lustig: Blankenese ist nun international bekannt. Die fünf Kinder, die am Mittwoch an der Stadtteilschule mit einer Waffe herumfuchtelten und damit einen Amokalarm auslösten, haben es in in- und ausländische Medien geschafft. Wer in dem bis Mittwochmorgen beschaulichen Vorort wohnt oder Kinder auf einer der Schulen dort hat, bekam viele Nachrichten besorgter Freunde und Verwandter. Der Autor dieser Zeilen etwa musste Anfragen aus Spanien, Belgien und Österreich beantworten.

Und was wäre passiert, wenn fünf Kinder vor 25 Jahren einen ähnlichen Bockmist gebaut hätten? Wahrscheinlich hätte es einen kurzen Polizeieinsatz gegeben, vielleicht sogar eine Meldung auf einer hinteren Seite in der Lokalzeitung. Der Vorfall wäre danach als Dumme-Jungen-Streich schnell vergessen worden.

Eine dauererregte Medienwelt im In- und Ausland stürzt sich auf Blankenese

Heute stürzt sich eine dauererregte Medienwelt im In- und Ausland auf die Meldung: Je größer die Marke, desto schriller die Tonalität, je unklarer die Lage, desto dramatischer die Bilder. Gezeigt wird, wie „schwer bewaffnete Polizisten den Schulleiter in Sicherheit“ bringen, ein TV-Sender interviewt eine Mutter in Angst, die aber auch nichts weiß, und ein überregionales Qualitätsmedium startet sogar einen Livestream. Wohlgemerkt zu einer reinen Verdachtslage. Verletzte oder gar Tote sind gottlob nicht zu beklagen.

Wem ist da ein Vorwurf zu machen? Der Lehrerin, weil sie die Spielzeugwaffe für eine echte hielt? Vermutlich nicht. Nach den Amokläufen von Winnenden und Erfurt ist das lange Unvorstellbare leider vorstellbar. Hat die Polizei überreagiert? Womöglich. Aber sie muss das Unmögliche für möglich halten: Die irre Geiselnahme am Flughafen Fuhlsbüttel liegt erst wenige Tage, der Angriff auf friedliche Demonstranten, die ihre Solidarität mit Israel zeigten, erst wenige Wochen zurück.

Wie bei einem Unfall wendet kaum einer den Blick ab

Haben die Medien also übertrieben? Einige sicher. Und doch haben sie letztlich das Interesse ihres Publikums bedient. Die Auswahl der Nachrichten findet nicht mehr in den Redaktionen, sondern auf den Endgeräten statt: Erzählt wird, was unterhält. Nachrichten wie Netflix. Wir leben längst in einer Zeit der Schaulustigenberichterstattung. Wie bei einem Unfall wendet kaum noch einer den Blick ab.

Aber das macht etwas mit der Gesellschaft und dem Grundvertrauen der Menschen. Die Nachrichten der vergangenen Monate haben die Bürger und ihr Sicherheitsgefühl erschüttert. Es herrscht wieder Krieg in Europa, im Jahre 2023 verüben Terroristen einen Pogrom und werden dafür noch beklatscht. Das Bekannte, das Alltägliche, das Gewöhnliche wird brüchig, wo sich das Unerwartete, das Ex­treme, das Monströse in den Mittelpunkt drängt. Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen blicken viele auf die Welt. Und fühlen sich plötzlich in einem der sichersten Länder nicht mehr sicher.

Es sind gute Zeiten für Populisten und ihre leeren Versprechen – und schwierige Zeiten für die Vernunft. Wenn die Angst wächst, verlieren Argumente ihre Kraft. Die Gesellschaft befindet sich am Rande des Nervenzusammenbruchs – und muss dringend cooler, oder, um ein Modewort zu benutzen, resilienter werden.

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Das Beispiel aus Blankenese zeigt, dass die Welt nicht unbedingt schlechter wird, sondern eher, dass wir dem Schlechten zu viel Raum und Aufmerksamkeit schenken. Es geht darum, die Nerven zu bewahren, die Lage nicht weiter zu dramatisieren, das Positive zu sehen und für das Bessere zu kämpfen. Die Welt mag aus den Fugen geraten sein. Aber es wird nicht besser, wenn alle noch an dem zerren und reißen, was die Welt im Innersten zusammenhält.