Hamburg. Antisemitismusbeauftragter: „Jüdisches Leben macht sich unsichtbar, Menschen ändern ihre Namen“. Juden treffen Maßnahmen.
Die von der Polizei registrierte Zahl der als rechtswidrig eingeordneten Sympathiebekundungen für die Terrororganisation Hamas ist in Hamburg nach dem Überfall auf Israel vom 7. Oktober deutlich gestiegen. Das jedenfalls lässt eine Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bürgerschaftsfraktion vermuten, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt.
Danach wurden allein in den zehn Tagen nach dem Angriff auf Israel am 7. Oktober in Hamburg 24 Verfahren der „politisch motivierten Kriminalität“ erfasst bzw. eingeleitet, die mit dem Hamas-Überfall in Verbindung stehen. „Öffentliche Sympathiebekundungen für die Terroristen offenbaren einen unerträglichen Antisemitismus und Hass auf den Staat Israel“, heißt es im von den Grünen selbst formulierten Vorspann der Kleinen Anfrage. „Bedingt durch die besondere historische Verantwortung Deutschlands muss diesem öffentlich demonstrierten Hass mit Entschlossenheit entgegengetreten werden. Alle in diesem Zusammenhang stehenden Straftaten müssen konsequent verfolgt werden.“
Israel-Krieg: Sympathie für den Hamas-Terror auch in Hamburg
Zum Vergleich: Für das gesamte Jahr 2021 wurden laut dem Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel insgesamt 69 als antisemitisch eingeordnete Delikte verzeichnet, 2020 waren es 54. Die Zahl für 2022 lag bei 73 Fällen, wie die Polizei Hamburg auf Anfrage mitteilte.
Allerdings sind exakte Vergleiche schwierig, da sich die jetzt zwischen dem 7. und dem 17. Oktober registrierten Fälle im Zusammenhang mit dem Krieg in Israel auf unterschiedliche Delikte aufteilen. So wurden u. a. vier Fälle von Volksverhetzung registriert, jeweils viermal Sachbeschädigung und dreimal „Belohnung und Billigung von Straftaten“. Hinzu kommen Fälle von Bedrohung, Beleidigung, Körperverletzung und Durchführung verbotener oder nicht angemeldeter Versammlungen.
Antisemitismus in Hamburg: „Jüdisches Leben macht sich unsichtbar“
„Die Zahl der antisemitischen Übergriffe ist vermutlich sogar noch stärker gestiegen, es gibt da eine hohe Dunkelziffer“, sagte der Hamburger Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel dem Abendblatt am Donnerstag. „Dabei macht sich jüdisches Leben in der Stadt gerade unsichtbar. Unsere Einrichtungen sind weitgehend geschlossen und die Leute ändern ihre Namen bei Lieferdiensten oder Taxi-Apps, wenn sie ihnen zu israelisch klingen, weil sie Übergriffe befürchten“, so Hensel.
„Die Sicherheitsbehörden machen in Hamburg aber einen guten Job, und auch das politische Bewusstsein für das Thema ist da. Interessant wird es allerdings, wenn jetzt die Schule wieder beginnt. In den Schulen kommen sehr viele Gruppen zusammen, da sind die Lehrerinnen und Lehrer sehr gefragt, damit es keine Übergriffe gibt.“
Jüdische Gemeinde Hamburg über Leben nach Hamas-Angriff: „Mitglieder sind angespannt“
David Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hamburg, sagte dem Abendblatt, die Mitglieder der Gemeinde seien „angesichts der Situation angespannt“. Sie bewegten sich bedachtsamer und vorsichtiger in der Stadt. „Panik gibt es aber nicht“, so Rubinstein. „Wir sind als jüdische Gemeinde in einem engen und sehr guten Austausch mit den Sicherheitsbehörden, aber natürlich weiß jeder: 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht auf dieser Welt. Als weitere Vorsichtsmaßnahme haben wir den jüdischen Friedhof in Ohlsdorf jetzt für die Allgemeinheit gesperrt, nur noch Gemeindemitglieder haben nach Anmeldung Zugang.“
In Hamburg existieren zwei jüdische Friedhöfe, ein nicht mehr genutzter in Altona und einer in Ohlsdorf, der auch als Jüdischer Friedhof Ilandkoppel bezeichnet wird. Der 1883 eröffnete Friedhof liegt neben dem städtischen Friedhof Ohlsdorf und erstreckt sich laut Jüdischer Gemeinde über elf Hektar und umfasst etwa 18.000 Gräber. Er ist der einzige Friedhof in Hamburg, an dem noch nach jüdischem Ritus bestattet wird.
Grüne Hamburg: „Bejubeln von Terror muss konsequent geahndet werden“
Die Grünen werteten die Zahlen der Polizei zu den zwischen 7. und 17. Oktober eingeleiteten Verfahren eher positiv, denn sie zeigten, dass in Hamburg konsequent gegen solche Straftaten vorgegangen werde. „Das Bejubeln von Terror, Raketenbeschuss und zahlreichen Toten auf offener Straße muss konsequent geahndet werden“, sagte Grünen-Justizpolitikerin Lena Zagst. „Von daher ist es äußerst wichtig, dass unsere Behörden die aktuelle Entwicklung genau im Blick haben und bei antisemitischen Straften sofort einschreiten. Das zeigt auch die Zahl der seit dem 7. Oktober eingeleiteten und mit dem Terrorangriff auf Israel im Zusammenhang stehenden Verfahren.“
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Vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung Deutschlands und Hamburgs müsse sichergestellt werden, „dass Jüdinnen und Juden in Hamburg vor antisemitischen Straftaten geschützt sind und in Sicherheit und Freiheit leben können“, so Zagst. „Der enge Austausch aller Strafverfolgungsbehörden, der Justizbehörde und dem Antisemitismusbeauftragten der Stadt gewährleistet hier ein engmaschiges Netzwerk, das in dieser außergewöhnlichen Lage die Sicherheit erhöht.“
Antisemitismus nach Hamas-Angriff: Auch in Schleswig-Holstein immer mehr Fälle
Auch bei der „Aufklärung der Einsatzkräfte“ sei schnell gehandelt worden, so die Grünen-Politikerin. „Durch kurzfristige Sensibilisierung hinsichtlich verbotener Hamas-Symboliken wird ein gezieltes und systematisches Vorgehen gegen antisemitischen Hass ermöglicht.“
Auch in Schleswig-Holstein ist die Zahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle laut einem DPA-Bericht deutlich gestiegen. Die Zahl der Meldungen habe sich in den vergangenen zwei Wochen merklich erhöht, sagte Projektleiter Joshua Vogel von der Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus in Schleswig-Holstein. „In diesem Zeitraum sind bei uns sechsmal so viele Vorfälle gemeldet worden wie im Jahresdurchschnitt 2022.“