Hamburg. Hamburgs erster Italiener wird 110. Das Stammpublikum bedient die Cuneos. Und das St. Pauli Theater zeigt eine Gala.
Ochsenblutrot, es ist alles ochsenblutrot. Das tiefe Zinnoberrot ist die Farbe des Cuneos, im Inneren des Restaurants ebenso wie an der Fassade. Dabei würden die vielen Stammgäste und Freunde des Hauses sowie Familienangehörige das Haus an der Davidstraße 11 auch ohne den auffälligen Anstrich finden. So verlockend sind die handbeschriftete Jukebox, die Minestrone, die selbstgemachten Ravioli alla Zia Rosa der Wirtin Franca, und natürlich die berühmte familiäre Atmosphäre in dem Kiezlokal, das eine Zuflucht für heimatlose Künstler, Reisende und Wiederkehrer ist.
Seit 110 Jahren gibt es das italienische Restaurant Cuneo, es gilt als ältester Italiener der Stadt. In der vierten Generation von Franca Cuneo geführt, ist es ein warmes Zuhause für Schauspieler, Musiker, Journalisten, Schriftsteller, Maler. Warum? „Es ist einfach ganz normal hier“, sagt Franca Cuneo. Mehr braucht es eben oft nicht, um Eindruck zu machen. Ein handfester Gegenpol zur schillernden Scheinwelt auf St. Pauli.
Die 34-jährige Tochter des langjährigen Gastgebers Franco Cuneo ist in ihrer Gastgeber-Rolle quirlig, bestimmt, impulsiv und sich der Tradition bewusst, die sie weiterführt. „Normal gibt es nicht mehr so oft.“ Das stimmt in Zeiten von Franchise, „clean chic“ und Systemgastronomie.
Jedenfalls, wenn normal ist, dass der Gast bestellen kann, worauf er Lust hat, wenn Gerichte frisch zubereitet werden, ein Holzstuhl auch mal ein wackeliges Bein hat, die vergilbten Fotos an den Wänden fröhliche Szenen von sich umarmenden Menschen zeigen. Ein bisschen wie in der eigenen Küche, so ist es bei den Cuneos. „Mein Vater sagte mal: ,Wenn wir perfekt wären, dann sind wir tot‘“, ruft Franca und lächelt breit.
Nie käme ihr in den Sinn, alles neu zu machen, gar zu renovieren. „Ich hänge mal ein Bild um, das hat mein Vater auch alle zwei, drei Jahre gemacht“, sagt sie, „aber ansonsten formt sich das Lokal um denjenigen herum, der es führt.“
Heute mischen sich jüngere Gäste mit dem älteren Publikum aus Zeiten ihres Vaters. der noch dreimal pro Woche im Restaurant ist. „Der Laden ist nicht up to date, aber darum geht es ja nicht. Es geht ja um die Leute“, sagt Franca. So gewinnt man Stammgäste.
Seit Jahren schreiben Intellektuelle Loblieder, Maler zeichnen für das Restaurant, Schauspieler verlieren sich in Liebesbekundungen. Und ein alteingesessener Teil dieser Gäste übernimmt traditionell am Geburtstag das Regiment im Laden, die Cuneos werden dann bedient und bekocht.
So etwas erleben sie sonst nur an katholischen Feiertagen oder bei Familienfesten, die gern bei Paolino verbracht werden. „Das ist ja Familie“, sagt Franca Cuneo. Paolino Cherchi, der heute das La Sardegna in der Hudtwalckerstraße führt, kellnerte einst bei den Cuneos, heute ist Franca Cuneos Bruder Patenonkel seines Kindes. „Das ist dann Familie, da muss man nicht mehr vorher anrufen, wenn man kommt. Da hat man einen Schlüssel.“
Wenn es spät wird, überlassen dieCuneos ihren Gästen sogar die Schlüssel
So sei das in Italien. Und das Cuneo mit all seinen Freunden ist irgendwie eine kleine italienische Insel, eine Enklave in der Großstadt. Bezeichnenderweise mitten auf dem Kiez.
Hierhin pilgern Journalisten wie Stefan Aust, Schriftsteller Gunter Gerlach, Boxer Dariusz Michalczewski, Künstler Bruno Bruni und Eva Jecklin, „Konkret“-Herausgeber Hermann Gremliza und Filmproduzentin Helga Waterkotte. Und es soll vorkommen, dass diese auch mal mehr Ausdauer im Feiern und Zusammensitzen haben als die Cuneos selbst – die den treuen Gästen dann die Schlüssel zum Zusperren überlassen.
Dazu gehört auch Dramatiker Klaus Pohl, der diesen Job gern übernimmt. Denn im Cuneo „sind alle guten Geister versammelt, hier schwirren die süßesten Früchte, hier weht der beste Wind und gibt es die augenblicklich überhaupt besten Theater, hier verzaubern die schönsten verheirateten Mädchen und die saftigsten Pfläumchen das Leben, hier ist das Paradies auf die Welt gekommen, an der Davidstraße ist sein Eingang.“ Da ist er sich sicher.
Feiern Sie mit: Die Intendanten des St. Pauli Theaters, Thomas Collien und Ulrich Waller, richten zum 110. Cuneo-Geburtstag am Montag, 4. Mai eine Gala in ihrem Haus aus. Hier werden um 20 Uhr Schauspieler wie Eva Mattes und Ulrich Tukur auftreten. Karten für die Vorstellung (15,80 Euro bis 33,40 Euro) gibt es unter Telefon 4711 06 66
und an der Abendkasse.