Michael Lehmann ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg Produktion Gruppe GmbH. In der ehemaligen DDR konnte er nicht studieren und ließ sich auf einer Werft als Elektriker ausbilden.
Neustadt. Im Café Paris an der Rathausstraße ist an diesem Vormittag alles so, wie man es aus Bistros in der französischen Hauptstadt kennt: An winzigen Zweiertischen sitzen die Gäste etwas gedrängt bei Kaffee und Croissants. Alle Nase lang zischt der Espressokocher. Touristen betreten den Raum mit den hohen gekachelten Wänden, die noch aus der Zeit eines Fleischereibetriebs stammen. Ein paar schießen Fotos, was dem Personal nicht so recht ist. Man gibt sich auch in der Hinsicht typisch französisch: geschäftig und immer ein wenig zu forsch.
Einer, der hier zuvorkommend behandelt wird, ist Michael Lehmann. Seit neun Uhr sitzt der 47-Jährige in dem Café, das an manchen Tagen sein Büro in Tonndorf ersetzt. „Mein Lieblingsplatz ist ganz hinten rechts in der Ecke. Und die Kellner bemühen sich eigentlich meistens darum, dass ich auch einen Platz bekomme. Die sind alle so freundlich hier“, sagt er und bestellt lächelnd den zweiten Cappuccino. Das meint der Mann tatsächlich so. Und irgendwie springt sein Charme über: auf die anderen Gäste, mit denen er schnell ins Gespräch kommt, und auf seine Gesprächspartnerin, die die Kellner auf einmal auch ganz sympathisch findet.
Sein Händedruck zur Begrüßung ist fest, die Augen lachen. Ob er an das Gute im Menschen glaube? „Ja, unbedingt“, sagt Michael Lehmann. Seine Karriere habe er schließlich auch vielen Menschen zu verdanken, die an ihn und seine Fähigkeiten geglaubt hätten. Es ist die Geschichte vom Kabelträger zum Produktionschef und Vorsitzenden der Geschäftsführung der Studio Hamburg Produktion Gruppe GmbH.
An den Sommer des Jahres 1991 erinnert er sich noch genau: „Ich war gerade frisch nach Hamburg gezogen und durfte als Beleuchtungspraktikant bei einer ‚Tatort‘-Produktion mit Jürgen Roland arbeiten. Die Atmosphäre am Set hat mich sofort gefangen genommen“, erzählt Michael Lehmann und legt dabei den Kopf so schief, dass er fast auf die Tischkante stößt. „Ich habe beim Film mein Glück gefunden.“ Dieses Glück kommt überraschend, hat die Familie in Rostock doch absolut nichts mit Medien am Hut. Und dem „freiheitsliebenden Rebellen“ („Ich habe oft Nein gesagt.“) wurden vom DDR-Regime Steine in den Weg gelegt. Abitur darf er trotz guter Noten nicht machen, mit 16 lässt er sich zum Elektriker auf einer Werft ausbilden – „mit allem, was dazugehört: harten Jungs und Skatspielen“. Später studierte er aber doch noch: Elektrotechnik in Hamburg.
Aus dem überzeugten Nein-Sager ist mit der Zeit ein begeisterter Ja-Sager geworden: zu Ideen, Filmprojekten, Menschen. „Wie oft höre ich heute: ‚Die Quote für die Sendung stimmt nicht‘ oder ‚Das wollen die Leute nicht sehen‘. Dabei ist es doch toll, sich für Dinge zu begeistern. Vielleicht liegt es an meinem Werdegang, dass ich an viele Dinge ohne Vorbehalte herangehe. Als ich in den Westen kam, habe ich einfach alles gegriffen, was sich mir bot, sei es mit einer Gruppe von Freunden aus Spaß das Uni-Radio aufzubauen oder Komparsen-Rollen zum Geldverdienen.“ Studio Hamburg gab ihm die Chance, sich hochzuarbeiten und Film von der Pike auf zu lernen: als Regieassistent, Ton-Mann, Aufnahme- und Produktionsleiter. Seit 1995 ist Michael Lehmann fest angestellt und seinem Arbeitgeber seitdem immer treu geblieben.
Sich begeistern zu lassen und dann wiederum andere zu begeistern ist heute sein Job als Produktionschef. „Projekte erarbeite ich mit meinem Team, oder mir werden Projekte angeboten. Dann gehe ich auf die Suche nach dem passenden Sender, nach Regisseuren und Schauspielern.“ Am liebsten arbeite er mit jungen Kreativen zusammen – „denen kann ich etwas zurückgeben, was mir selbst als junger Mensch wiederfahren ist“.
Ob Fiktion, Dokumentation oder Show – die Lust, Geschichten zu erzählen, treibe ihn an. Ideen bekomme er überall her, „ob ich die Zeitung aufschlage, im Zug sitze oder Urlaub in Brasilien mache. Ich bin leicht entflammbar.“ Kreativität sei eben nicht berechenbar. „Aber ich finde es spannend, wenn das Leben auf mich zukommt.“
Unter seiner Federführung entstanden für RTL Serienformate wie „Die Cleveren“, „Die Gerichtsmedizinerin“ und „Die Anwälte“ sowie für das ZDF „Die Rettungsflieger“ und „Notruf Hafenkante“. Zu seinen jüngeren Produktionen zählt das vielfach ausgezeichnete ARD-Drama „Es ist nicht vorbei“ über Hoheneck, das größte Frauengefängnis der DDR. Beim diesjährigen Filmfest Hamburg wird seine aktuelle Produktion, das Aids-Drama „Unter der Haut“, gezeigt, – über einen Medizinskandal in den 1980er-Jahren. Und sogar an eine Kino-Koproduktion wagte sich Lehmann mit seinem Team wieder heran, nachdem Studio Hamburg in dem Genre oft gescheitert war: die Literaturverfilmung „Nachtzug nach Lissabon“ mit Jeremy Irons in der Hauptrolle. Apropos Kino: Das sei für ihn leider nicht so entspannend wie für die meisten Leute. „Es ist echt schrecklich: Sobald der Vorhang aufgeht, überlege ich, wie der Film funktioniert. Oder ich ärgere mich, dass ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin“, sagt Michael Lehmann. Nur zusammen mit seiner elfjährigen Tochter und dem 17-jährigen Sohn könne er sich mitreißen lassen, wenn die befreit loslachten.
Entspannung findet der 47-Jährige schon eher beim Gärtnern mit seiner Frau, einer Pianistin und Komponistin, die er während des Aufbaustudiums Kulturmanagement in Hamburg kennenlernte. Beim Kochen, Laufen (demnächst steht ein Halbmarathon im Alstertal an, „das ist wie Therapie – da kann man so herrlich mit sich selbst streiten“) oder Handwerken. Zuletzt habe er selbst die Außenbeleuchtung am Haus in Groß Flottbek verlegt. Gelernt ist gelernt. Aber viel Zeit für sich habe er nicht, oft stünden Abendtermine wie Premierenfeiern oder Geschäftsessen im Terminkalender. „Der Job lässt einem nicht viel Freiraum, aber ich liebe ihn trotzdem“, sagt Michael Lehmann. „Studio Hamburg und ich – das ist eine gute Ehe.“