„Laut, dreckig und unansehnlich“ findet der Mediziner Volker Petersen aus Volksdorf die indische Metropole. Trotzdem fährt er immer wieder hin – um arme Menschen medizinisch zu versorgen.

Hamburg. „Laut, dreckig und unansehnlich“ – so beschreibt Volker Petersen aus Volksdorf die indische Metropole Kalkutta. Doch obwohl er inzwischen 71 Jahre alt ist und sich nach langjähriger Arbeit als Internist in einer Gemeinschaftspraxis in Poppenbüttel auch einfach zur Ruhe setzen könnte, fliegt Petersen seit vier Jahren immer wieder in die Stadt am Ganges.

Dort versorgt er für die Organisation „German Doctors“ (früher: Ärzte für die Dritte Welt) ehrenamtlich Menschen, die sich eine Behandlung selbst nicht leisten können, mit Basismedizin. „Wir kümmern uns dort um die Ärmsten der Armen“, sagt Petersen. Vor Kurzem ist er von einem sechswöchigen Einsatz in Indien zurückgekehrt. Und auch wenn er während seiner Arbeitszeit in Hamburg schon vieles gesehen hat, ist die Arbeit in Kalkutta eine völlig neue Erfahrung für ihn, erzählt er.

„Die Menschen leben dort unter ganz anderen Bedingungen und haben mit anderen Krankheiten zu kämpfen als hier. Und natürlich ist auch die Arbeit als Arzt dort anders als das, was ich hier jahrelang in Poppenbüttel kennengelernt habe.“

Das fängt damit an, dass Petersen und seine ehrenamtlichen Arztkollegen in Kalkutta gar keine feste Praxis haben. „Es gibt mehrere Einsatzorte, die die Ärzte in Zweierteams an bestimmten Wochentagen anfahren“, sagt Petersen. Behandlungsstuhl, Tische, Verbandszeug und Medikamente werden in Autos verladen und an den Einsatzort gefahren, wo der Arzt sich dann erst einmal seine provisorische Praxis zusammenbauen muss.

Statt in einem Wartezimmer zu warten, stehen die Patienten im Freien Schlange. „Und zwar in mehreren Schlangen. Männer, Frauen und Kinder stehen getrennt an“, erzählt Petersen. Bei Tagesbeginn geht einer der Ärzte aus dem Team durch die Reihen und verteilt Stempel – so viele, wie voraussichtlich im Laufe des Tages behandelt werden können.

In der Regel schaffe jeder Arzt ungefähr 50 Behandlungen am Tag, so Petersen. Dringende Fälle haben Vorrang, ansonsten kommen die wartenden Patienten einer nach dem anderen an die Reihe. „Viele haben Vitamin-D-Mangel und in der Folge verformte Knochen“, erzählt Petersen, „einige brauchen Impfungen, zum Beispiel gegen Masern, Mumps, Polio und Diphterie.“

Ohne Übersetzerin geht es nicht

Häufig sei auch Husten – und da sei dann besondere Aufmerksamkeit geboten, um zu erkennen, ob es sich nicht vielleicht um Tuberkulose handelt, eine in Indien sehr verbreitete Krankheit. Mehr als basismedizinische Versorgung können Petersen und seine Kollegen mit ihrer beschränkten Ausstattung nicht leisten. „Exoten müssen wir an andere Stellen weiterverweisen“, sagt der Arzt.

Manche Fälle gehen Petersen auch sehr nahe: „Einmal wurde eine junge Frau zu uns gebracht, die an ihrer ganzen Vorderseite völlig verbrannt war. Angeblich ein Arbeitsunfall - ein Paraffinofen soll direkt in ihrer Nähe explodiert sein. Doch das Gerücht ging um, dass der Ehemann der Frau ihr die Verletzungen zugefügt hatte.“ Hin und wieder kämen auch misshandelte Kinder zur Behandlung. Dann nicht die Hintergründe klären zu können, sei schon belastend, sagt der Arzt. Direkt unterhalten kann er mit seinen Patienten in Kalkutta sowieso nicht – auch das unterscheidet die Arbeit in Kalkutta von der in Hamburg. „Ohne meine Übersetzerin, die immer dabei ist, wäre ich aufgeschmissen.“

Finanziert werden die Behandlungen, ebenso wie die Medikamente, durch Spendengelder. Für viele Menschen sind solche gespendeten Medikamente der einzige Weg zur Heilung. „In Indien kann zwar jeder zum Arzt gehen, muss die Medikamente dann aber selbst bezahlen – das ist für viele unmöglich“, erzählt Petersen. „Viele gehen viel zu spät zum Arzt, eben weil das Geld fehlt.“ Hinzu komme, dass viele der Ärzte „eher Quacksalber“ seien. „Ich schätze, maximal jeder Dritte hat eine richtige Ausbildung.“

Bereits zum vierten Mal war Petersen nun schon für sechs Wochen in Kalkutta. Und auch im kommenden Jahr will er wieder hinfliegen. „Ich bin einfach überzeugt von dem Projekt, und die Arbeit im Team klappt dort sehr gut“, meint er. Außerdem habe er das Bedürfnis, Menschen, denen es nicht gut gehe, zu helfen. „Uns geht es verdammt gut, und wenn ich etwas gegen die Ungerechtigkeit in der Welt tun kann, will ich das tun – sei es nur in kleinem Rahmen. Als ich noch gearbeitet habe, hatte ich nie Zeit für solche Einsätze – nun kann ich den Wunsch zu helfen endlich in die Tat umsetzen.“