Das Glascoupé aus dem Jahr 1876, mit dem das Abendblatt einst Brautpaare zur Trauung fuhr, wurde in einer Garage bei Elmshorn entdeckt.

Kiebitzreihe. Mehr als 20 Jahre lang galt sie als verschollen - die Original-Hochzeitskutsche des Hamburger Abendblatts, in der zwischen 1952 und 1986 mehr als 2000 Paare zu ihren Trauungen gefahren wurden. Jetzt wurde sie wiederentdeckt, in der Garage eines weißen Einfamilienhauses in Kiebitzreihe bei Elmshorn.

Ihre elfenbeinfarbige Lackierung ist auf Hochglanz poliert und auch die beiden gusseisernen Kutschlampen an der Seite sind in gutem Zustand. "Es ist kaum zu glauben, aber das ist die original Abendblatt-Hochzeitskutsche, ein Potsdamer Glascoupé, Baujahr 1876", sagt Michelle Stemmann, 43. Ihr Vater Reinhard, der im vergangenen Jahr gestorben ist, hatte die Kutsche, an die Tausende von Hamburgern so schöne Erinnerungen haben, 1971 gekauft. Statt des grünen Abendblatt-Logos prangten danach Stemmanns Initialen an der kleinen Einstiegstür.

Die Familie Stemmann war über Generationen im Kutschengeschäft tätig, besaß einst einen großen Fuhrpark in Lokstedt und betrieb zeitweilig sogar ein Kutschenmuseum in Ellerhoop. Und Reinhard Stemmann selbst war der Kutscher, der die Abendblatt-Brautpaare durch die Stadt fuhr. Mit dabei auf dem Kutschbock war manchmal auch Sohn Reinhard Stemmann. Der 50-Jährige erinnert sich: "Als ich fünf Jahre alt war, hat mich mein Vater das erste Mal mitgenommen. Ich sollte immer den Bräuten dabei helfen, ihre Kleider zu richten." Das sei ziemlich schwierig gewesen, denn im Fond der Kutsche ist es sehr eng. "Und zu den Füßen des Brautpaares fuhren ja manchmal auch noch die Blumenkinder mit."

Durch die dünnen Wände des Glascoupés habe er auf dem Kutschbock viel mitbekommen. "Einmal stritt sich ein Paar nach der Trauung so heftig, als würde es sich gleich wieder trennen."

Viel harmonischer ging es zwischen den Eltern von Abendblatt-Leserin Angela Ryll. Inge und Arthur Graf posierten am 3. Juni 1953 Arm in Arm vor der Hochzeitskutsche des Hamburger Abendblatts. Angela Ryll hat der Redaktion dieses Foto geschickt - nur eine von vielen Zuschriften, die das Hamburger Abendblatt zur Lieblingsaktion erreichten.

Steigt man in die Kutsche ein und nimmt auf den verzierten Sitzpolstern Platz, dann kann man die romantischen Träume der jungen Paare, die einst mit dem Gefährt auf Hamburgs Straßen unterwegs waren, fast nachfühlen. Liebevoll pflegen die Geschwister Stemmann das Erbe ihres Vaters, das auch schon im Fernsehen - in einer Verfilmung des Thomas-Mann-Klassikers "Buddenbrooks" und in Theodor Storms "Der Schimmelreiter" zu bewundern war. "Wir halten die Kutsche in Ehren - auch wenn sie nicht mehr unterwegs ist", sagt Reinhard Stemmann, der beruflich nichts mit Kutschen zu tun hat, sondern als Entertainer "Wilde Hilde" auftritt.

Auch wenn demnächst eine neue Abendblatt-Hochzeitskutsche durch die Stadt rollt - das unvergleichliche Gefühl, wie ein Königspaar kutschiert zu werden, das bleibt.

Zehn Kutschtouren verlost das Hamburger Abendblatt, und mehr als 500 Paare haben sich beworben. Am kommenden Sonnabend werden die Gewinnerpaare vorgestellt. Genau wie jene Leserin, die am schönsten Tag ihres Lebens das von Georg Rosenbaum entworfene Designerbrautkleid tragen wird. Und wie finden die Besitzer der original Hochzeitskutsche die neue Lieblingsaktion? "Ich finde es schön, dass es immer noch Menschen gibt, die den Charme einer Kutschfahrt an ihrem Hochzeitstag zu schätzen wissen", sagt Michelle Stemmann.