Hamburg. Móka Farkas, Dramaturgin und Mitbegründerin der Künstlergruppe Baltic Raw, macht sich mit Projekten für Schwache stark.
Ja, sie ist Ungarin. Und, ist das wichtig? „Ich lebe seit mehr als 30 Jahren in Deutschland“, sagt Móka Farkas, 47. „Ganz ehrlich, mit meinem Geburtsland habe ich nicht mehr viel zu tun. Dazu bin ich schon zu lange weg. Aber es macht mich traurig, was ich in den Nachrichten höre.“ Die Pressefreiheit ist in dem EU-Land gravierend eingeschränkt, der rechtsnationale Regierungschef Viktor Orban gilt als Fan der Politik von Wladimir Putin, und in dieser Woche hat er sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen.
Farkas, lässig bis nachlässig in Cargohose, T-Shirt und farbenfroher Jacke, passt an diesem Morgen perfekt zum Kulturzentrum Kampnagel. Suchte man nach einem Klischee für eine Künstlerin aus der sogenannten freien Szene, sie entspräche nicht nur äußerlich diesem Bild. Als Mit-Initiatorin des Künstler-Kollektivs Baltic Raw hat sich die Dramaturgin und Kuratorin mit ihrem Lebensgefährten Berndt Jasper auf Aktionen im öffentlichen Raum spezialisiert. Gern polarisierend, noch lieber provozierend.
Gerade eben kommt sie von einem Besuch bei Lampedusa-Flüchtlingen. Sechs der in Hamburg vor den Kriegswirren gestrandeten Männer leben auf dem Kampnagelgelände in der sogenannten Eco-Favela, ihrem aktuellen Projekt. Weil die Männer im Winter keine Notunterkunft fanden, widmeten die Künstler einen Nachbau der „Roten Flora“ aus dem Sommerfestival 2014 als sozialen Ort der Begegnung um und richteten ihn übergangsweise als Behausung für die kalte Jahreszeit her. „Wir wollten diesen Menschen symbolisch Staatsbürger- und Menschenrechte verleihen“, sagt Farkas. Die neu in die Bürgerschaft gewählte Alternative für Deutschland (AfD) nahm dies zum Anlass, Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard als Hausherrin anzuzeigen.
Familienzusammenführung wird zum Kulturschock
Wenn Farkas erzählt, dann rollt sie das „r“ geradezu bayrisch anmutend, doch einige Formulierungen zeigen, dass Deutsch eben nicht ihre Muttersprache ist, wenngleich „Sprachen genau mein Ding sind“. Erst in Bonn und später in Hamburg studierte sie Slawistik, Germanistik und Philosophie. Vielleicht sei die Sprachbegabung ein Familienerbe, sinniert sie. Einer der Onkel in Ungarn war Professor für Psycho-Linguistik, wie überhaupt viele der Verwandten, unter ihnen Ärzte und Rechtsanwälte, mehrsprachig sind. „Ich komme aus einer gutbürgerlichen, intellektuellen Familie“, sagt Farkas.
Das klingt nach heiler Welt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich trennten sich die Eltern, als die Tochter drei Jahre alt war. Die Mutter, eine Architektin, ging nach Deutschland, das Kind blieb in Ungarn beim Vater, einem Chemiker. Mit der Pubertät wuchsen die Auseinandersetzungen. Als sie 15 war, beschlossen die Eltern, dass es Zeit für einen Erziehungswechsel sei. Sie wurde in Budapest in ein Flugzeug gesetzt, landete nach anderthalb Stunden in Frankfurt und hatte fortan eine neue Heimat.
„Lustig war das nicht“, sagt sie. „Ich hatte in Debrecen gerade meine erste Rotweinerfahrung gemacht, hing am liebsten mit meinen Freunden rum, und plötzlich musste ich in ein fremdes Land umziehen. Familienzusammenführung wurde das offiziell genannt. Tatsächlich war es ein Kulturschock.“
Die Mutter war neu verheiratet, es gab Halbgeschwister, die katholische Schule war zwar herzlicher als gedacht, doch Sprachschwierigkeiten und Heimweh machten den Neuanfang schwierig. „Zudem war Wesseling, so hieß der Ort nahe Bonn, ein mittelgroßes Industriestädtchen, hässlich zubetoniert mit einer Raffinerie und Woolworth. Der Bus fuhr nur alle halbe Stunde.“
Entsprechend schnell wuchs dort in der rheinischen Provinz die Sehnsucht nach dem Abenteuer Großstadt. Nach drei Monaten Studium in Bonn ging Farkas mit Freunden nach Hamburg, die Punker-Hauptstadt Berlin war 1991 für sie keine Alternative. „Ich habe diesen Schritt nie bereut“, sagt sie. „Die gelebte Großzügigkeit in Hamburg, vor allem aber der Humor und das Understatement sind mir bis heute unverzichtbar.“
Mit 40 war sie plötzlich mittendrin in einer schweren Lebenskrise
Dass aus der lebenslustigen Slawistik-Studentin eine Künstlerin mit politischer Haltung wurde, hat auch mit ihrem Lebenspartner Berndt Jasper zu tun. 1995 lernten sich die beiden bei einem Kunstprojekt auf einem Betonschiff kennen. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Farkas.
Farkas, die schon als Jugendliche davon geträumt hatte, einmal Regisseurin zu werden, machte unter anderem Hospitanzen am Stadttheater in Graz, arbeitete unter Jürgen Flimm am Thalia und drehte einen Dokumentarfilm über das Schlingensief-Projekt „120 Tage Mission Impossible“. Auch dabei waren sozial schwache Menschen, Obdachlose, Junkies und Prostituierte das Thema. Immer wieder versuchte sie sich auf vielen kulturellen Feldern gleichzeitig, kuratierte, koordinierte und organisierte zwei Festivals, alles basisdemokratisch ausdiskutiert. „Es war der direkte Weg in den Burnout“, sagt sie heute. Und dann nahm sich auch noch ihr Vater in Ungarn das Leben. Sie war 40 Jahre alt und plötzlich mitten drin in einer Lebenskrise. „Ich fragte mich: Wer bin ich? Fragte jemand: Und, was sind Sie von Beruf? – dann fing ich an zu stottern.“
Es folgten Klinikaufenthalt und Therapie. „Heute kann ich mit solchen Fragen umgehen“, sagt sie. Und: „Manchmal braucht man erst Abstand, um die Dinge richtig einordnen zu können. Ich glaube, ich bin stärker als früher.“ Auch, weil sie gelernt hat, Grenzen zu setzen, für sich und andere.
Und wenn es doch mal wieder eng wird mit dem Maßhalten oder Zweifel überhand nehmen, dann hilft entweder ein Kräutergebräu („Wir Ungarn lieben Selbstgebranntes“) aus ihrer Versuchsküche, ein Überbleibsel des Kunstprojektes „Slow-Grow-Flow“ vom Dockville-Festival 2013, oder der eigene Humor – für eine Kulturschaffende in der Regel nicht das herausstechende Merkmal. Doch Farkas-Sprüche sind wie eine erfrischende Dusche: „Wer schon mal in einer Kunsthalle war, der darf sich natürlich auch Künstler nennen.“ Darüber lacht sie selbst am lautesten.
Farkas und ihr Partner machen sich mehrmals im Jahr einen Heiratsantrag
Sohn Aron, inzwischen 18 Jahre alt, macht das Künstler-Dasein noch nicht so an. Er will Koch werden, hat eine eigene Wohnung. Die Mutter, ebenfalls eine leidenschaftliche Köchin, glaubt dennoch, dass das noch nicht das Ende seines Weges ist. „Er ist kein Angestelltentyp“, sagt sie mit Augenzwinkern. „Aber er wird herausfinden, was ihn erfüllt. Hauptsache, er ist glücklich.“
So wie seine Eltern. Die machen sich mehrmals im Jahr gegenseitig einen Heiratsantrag, zu dessen Erfüllung es meist nicht kommt. Vielleicht ist das aber auch gar nicht nötig. Denn christlichen Beistand für ihre Beziehung haben sich die Beiden längst von der evangelischen Kirche mit einer Partnerschaftssegnung geholt. „Das ist ein Dankeschön für die Vergangenheit“, sagt Farkas. „Aber man verspricht sich nichts für die Zukunft.“
In dieser Woche wurde das Projekt Eco-Favela beendet. Für alle Bewohner konnten zumindest kurzfristig neue Unterkünfte gesucht und gefunden werden. Einer von ihnen zieht ins Elektrohaus am Pulverteich, dorthin, wo Móka Farkas und Berndt Jasper mit gleichgesinnten Kollegen leben und arbeiten. Doch auch an diesem Standort ist bald Schluss. Nach 14 Jahren hat der Vermieter den Vertrag gekündigt. „Ginge es nach uns, würden wir in ein Hausboot ziehen“, sagt Farkas. „Gern wieder mit anderen zusammen.“ Doch bislang ist das nur ein Traum. „Es gibt zu wenig Liegeplätze von der Stadt.“ Das könnte sich vielleicht ändern.