Hamburg. Der Zweite Weltkrieg steht kurz vor seinem Ende. Drei Hamburger verhandeln über eine Feuerpause – doch plötzlich geht es um die Rettung der ganzen Stadt.
Es ist der 21. März 1945. Bei Hamburgs NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann trifft ein Befehl des Führungsstabes Nordküste ein. Der Erlass ordnet „für alle deutschen Gebiete für den Fall, dass sie in Feindeshand zu fallen drohten, ganz allgemein und also auch für Hamburg Totalzerstörungen an“, schreibt Kurt Detlev Möller in seinem 1947 erschienen Buch „Das letzte Kapitel“. Zwei Tage vorher, am 19. März 1945, hatte Adolf Hitler seinen Nero-Befehl erteilt. Jetzt wissen auch die Hamburger, was dieser Befehl für ihre Stadt bedeutet.
Hamburg wird zu diesem Zeitpunkt von Gauleiter Karl Kaufmann und Kampfkommandant Alwin Wolz geführt. Kaufmann ist mit großer Machtfülle ausgestattet und ein überzeugter Nationalsozialist. Allerdings scheint ihm schon im Frühjahr 1945 die Aussichtslosigkeit des Kampfes der deutschen Truppen gegen die Alliierten klar geworden zu sein. Bei einem Treffen mit dem Präses der Gauwirtschaftskammer, Joachim de la Camb, und Staatssekretär Ahrens am 31. März 1945 wird offen darüber gesprochen, dass wegen der aussichtslosen militärischen Lage Deutschlands eine Verteidigung Hamburgs sinnlos geworden sei.
Im Oberkommando der Wehrmacht sieht man das aus militärstrategischen Gründen anders. Großadmiral Karl Dönitz will so lange wie möglich einen Korridor zwischen Elbe und Ostsee offenhalten, damit vor der Sowjetarmee flüchtende Zivilisten und Soldaten in Deutschlands Nordwesten gelangen können. Daher will er Hamburg bis aufs Letzte verteidigen lassen. Jeder weiß: Das wäre das Ende der Stadt.
Am 3. April 1945 reist Karl Kaufmann nach Berlin, um – nach seinen eigenen Worten – im Führerbunker bei Hitler vorzufühlen, ob eine kampflose Übergabe Hamburgs möglich sei. Doch Hitler lehnt ab. Wenig später nimmt Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die Kampfkommandanten persönlich in die Pflicht. Handelten sie dieser „soldatischen Pflicht und Aufgabe zuwider, so würden sie … zum Tode verurteilt“.
In Hamburgs leben zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1,1 Millionen Menschen. Kaufmann und Wolz laufen Gefahr, von fanatischen Nationalsozialisten getötet zu werden. Beide legen sich eine Leibwache zu und tragen ständig eine geladene Waffe bei sich. Allerdings hält das Kaufmann nicht von Durchhalteparolen an die Hamburger ab.
Der 28. April 1945
Am 28. April 1945 erhält der Völkerrechtler und Universitätsprofessor Rudolf von Laun überraschend Besuch. An der Wohnungstür steht der Kinderarzt Prof. Hermann Burchard, der zu diesem Zeitpunkt in Harburg als Divisionsarzt eingesetzt ist. Er bittet den Völkerrechtler um Rat über die Rechte und Pflichten eines Parlamentärs.
Otto von Laun, der Sohn des Völkerrechtlers, ist zu Besuch bei seinen Eltern. „Ich hörte, dass Prof. Burchard die Absicht hatte, als Parlamentär zu den Engländern zu gehen und darum zu bitten, es möge nicht mehr mit Artillerie in den Hof der Phoenix-Fabrik geschossen werden“, schreibt von Laun in seinen Erinnerungen. Burchard hofft auf Einlenken der Engländer, weil britische Kriegsgefangene in dem Lazarett untergebracht sind.
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Otto von Laun ist Leutnant und spricht fließend englisch. Erst einige Tage zuvor war er zum Kampfkommandanten Hamburgs, Generalmajor Alwin Wolz, versetzt worden. „Ich habe mich sofort Herrn Professor Burchard zur Verfügung gestellt und mich erboten, ihn freiwillig als Dolmetscher zu begleiten.“ Burchard nimmt das Angebot des jungen Offiziers an. Auch Wolz stimmt der Teilnahme von Launs zu.
Der 29. April 1945
Es ist ein früher Sonntagmorgen, als Hermann Burchard und Otto von Laun vor dem Stab des Kampfkommandanten an der Rothenbaumchaussee in einen Militärkraftwagen steigen. In Harburg gesellt sich der Chef der Phönix-Werke, Albert Schäfer, zu ihnen. Er soll den Briten bestätigen, dass in dem Betrieb keine kriegswichtigen Güter mehr hergestellt werden.
Die drei Männer fahren auf die Hamburger Südfront zu. Sie wollen diese bei Appelbüttel im Abschnitt der SS-Kampfgruppe „Panzerteufel“ überqueren und müssen sich deshalb bei dem dortigen Kommandeur melden. „Dieser war ein höherer SS-Führer“, berichtet von Laun. „Er war ziemlich kurz angebunden, und man merkte ihm an, dass er nicht gerade ein Befürworter dieser Aktion war.“
Nachdem der Kommandeur den drei Parlamentären zusichert, die Bremer Chaussee sei bis über das Niemandsland hinaus nicht vermint, marschieren sie los. Von Laun trägt die weiße Fahne – ein an einem Stock befestigtes weißes Bettlaken. „Wir verließen die eigene Front und gingen etwa auf der Höhe von Lürade 1,5 bis zwei Kilometer entlang der heutigen B 75 durch das Niemandsland auf die englische Front zu.“
Als die drei Männer etwa in der Mitte sind, werden sie von der englischen Seite aus beschossen. Sie gehen in Deckung und werden wenig später festgesetzt. Mit verbundenen Augen geht es auf einem Lastkraftwagen zunächst zu der 5th Queen’s Kompanie an der westlichen Grenze von Tötensen. Dort sollen sie einzeln verhört werden.
Die Bitte, mit dem Beschießen des Lazaretts aufzuhören, wird zunächst mit der Begründung abgelehnt, die Deutschen hätten auch keine Nachsicht gezeigt. Von Laun überreicht dem englischen Offizier daraufhin an die Eltern geschriebene Briefe von drei englischen Kriegsgefangenen, die in dem Lazarett liegen. „Das hat ihn schließlich dazu bewogen, unsere Bestrebungen als menschlich anzuerkennen.“
Anschließend werden den drei Parlamentären erneut die Augen verbunden. „Wir wurden hin- und hergefahren, stundenlang“, berichtet von Laun. Es ist schon Abend, als die drei Männer in einem Gebäude Essen und Getränke erhalten. Burchard erinnert sich an das Gasthaus „Hoheluft“, das unweit von Meilsen an der heutigen B 75 liegt, als er auf dem Unterboden eines Tellers dessen Namen liest.
Ihr Gesprächspartner ist Hauptmann P. Martin Lindsay. Er arbeitete vor dem Krieg an der Universität Oxford als Musikprofessor und spricht fließend deutsch. „Die Verhandlungen gingen bei uns so vonstatten, wie es diplomatisch üblich ist: Der Stabsarzt hatte unseren Wunsch in Deutsch vorgetragen, ich hatte ihn ins Englische übersetzt, habe also englisch mit den Engländern verhandelt. Hauptmann Lindsay hat deutsch geantwortet.“
Man wird sich über den Verzicht der Angriffe auf die Phönix-Werke rasch einig. Doch die Engländer haben noch etwas vor und tischen den drei Deutschen erneut Essen auf. Während dieses Beisammenseins führt Hauptmann Lindsay mit jedem der drei Parlamentäre ein Gespräch unter vier Augen. Er will herausfinden, ob auf deutscher Seite die Bereitschaft zur Kapitulation besteht.
Während von Laun und Burchard sich bedeckt halten, hat Lindsay bei Schäfer – dem Zivilisten unter den drei Parlamentären – mehr Glück. Zumal Schäfer um die Bereitschaft von Gauleiter Kaufmann weiß, Hamburg nicht um jeden Preis verteidigen zu wollen. Der Direktor erklärt sich bereit, zwei an den Kampfkommandanten Alwin Wolz gerichtete Schreiben zu überbringen. Als er zu von Laun und Burchard zurückgebracht wird, gibt es Streit. Burchard wirft Schäfer vor, den eng begrenzten Verhandlungsauftrag der Parlamentäre weit überschritten zu haben.
Der 30. April 1945
Am Morgen des 30. April erfahren die drei Parlamentäre, dass vorerst nur Schäfer in die Hansestadt zurückkehren könne. In einem Vieraugengespräch erklärt Hauptmann Lindsay, „dass während der Nacht Verhandlungen mit dem britischen Hauptquartier stattgefunden hätten und dass er einen Brief habe, den er mir anvertrauen wolle und den ich mit Sicherheit dem Kampfkommandanten, Herrn General Wolz, überbringen müsse“, berichtet Schäfer später. „Es war die formelle Aufforderung zur kampflosen Übergabe der Hansestadt.“
Lindsay gibt Schäfer zwei Schreiben mit. In dem einen Schreiben berichtet Lindsay über die Verhandlungen. So wird darin mitgeteilt, an welcher Stelle der Frontlinie bei Meckelfeld für 48 Stunden die Waffen schweigen sollen, damit dort in Ruhe Kapitulationsverhandlungen geführt werden können. Das andere Schreiben ist die von General Lyne unterschriebene schriftliche Aufforderung zur Kapitulation. Schäfer versteckt beide Briefe in seinem Schuh, aus Sorge, überzeugte Nazis könnten ihn aufhalten.
Der Direktor braucht bis zum späten Nachmittag, bis er die Kampfkommandantur am Rothenbaum erreicht. Er ist unsicher, wie Wolz auf die Kapitulationsaufforderung reagieren werde. „Er empfing mich sofort und öffnete in meiner Gegenwart den Brief“, schrieb Schäfer später. „Es ging ein befriedigtes Lächeln über seine Züge. Er sagte in seiner süddeutschen Mundart: ‚Das können die Herren Engländer bald haben‘ und entließ mich mit einem freundlichen Händedruck.”
Dann informiert Wolz Gauleiter Kaufmann. Der wendet sich an Großadmiral Dönitz, Generalfeldmarschall Busch und Reichsführer-SS Heinrich Himmler und weist – wenn auch verklausuliert – auf die Sinnlosigkeit einer weiteren Verteidigung Hamburgs hin. Doch Dönitz bleibt hart und befiehlt, es sei „unumgänglich notwendig, die Elbe-Stellung mit äußerster Zähigkeit gegen den Westen zu verteidigen“. In Berlin nimmt sich unterdessen Adolf Hitler das Leben.
Der 1. Mai 1945
Hauptmann Lindsay geleitet am frühen Morgen des 1. Mai 1945 Leutnant von Laun und Stabsarzt Burchard zum vordersten britischen Posten und wünscht ihnen Glück für ihre Mission. Die beiden Parlamentäre erreichen wenig später die deutschen Linien. Als ein SS-Soldat sie empfängt, geschieht etwas Unerwartetes: „In diesem Augenblick erzitterte die Luft von Detonationen, ich warf mich zu Boden, wurde von Erdbrocken getroffen und stand, nachdem es wieder ruhig geworden war, auf.“ Stabsarzt Burchard war an einen Draht geraten, der eine siebenfache Tellermine auslöste. „Der Luftdruck schleuderte ihn gut zehn Meter weit. Ich fand den Stabsarzt fast unverletzt im Graben“, berichtet von Laun.
Während die beiden Parlamentäre auf dem Rückweg sind, führt Gauleiter Kaufmann ein vertrauliches Gespräch mit dem Bürgermeister a. D., Wilhelm Amsinck Burchard-Motz, dem Bruder des Divisionsarztes. Er bittet ihn, die politischen Übergabeverhandlungen mit den Engländern zu führen. Burchard-Motz sagt nach einigem Zögern zu. Den militärischen Teil soll Kampfkommandant Wolz übernehmen.
Dieser sucht dafür zwei Mitarbeiter seines Stabes, Major Andrae und Hauptmann Link, aus und setzt zwei Schreiben auf. In dem einen, dem offiziellen Schreiben an General Lyne, bedankt Wolz sich dafür, dass die Engländer nicht weiter das Lazarett in Harburg beschießen werden. Das zweite Schreiben hingegen ist inoffiziell und enthält die Bereitschaft, Übergabeverhandlungen aufzunehmen.
Wolz schreibt darin: „Die Gedanken, die Sie – General Lyne – in Ihrem Schreiben in so klarer Weise zum Ausdruck gebracht haben, sind bei der derzeitigen Situation naturgemäß auch von zahlreichen verantwortlichen Führern und mir in Erwägung gezogen worden. Eine etwaige Übergabe Hamburgs würde weitreichende militärische und politische Folgen für das ganze noch unbesetzte norddeutsche Gebiet und Dänemark haben. Infolgedessen entbehrt der mir erteilte strikte Befehl, Hamburg bis zum letzten Mann zu halten, nicht einer inneren Berechtigung. Trotzdem bin ich und ein bevollmächtigter Vertreter des Herrn Reichsstatthalters und Gauleiters Kaufmann bereit, … das Problem einer etwaigen Übergabe zu besprechen …“
Für Wolz und Kaufmann ist die Situation heikel, weil Dönitz ahnt, dass die beiden zur Kapitulation bereit sind. Daher befiehlt er Fliegergeneral Koehler, Wolz zu ersetzen und Hamburg – koste es, was es wolle – zu verteidigen. Wolz gelingt es jedoch, Koehler hinzuhalten. Am Ende wird der Fliegergeneral nie die Geschäfte des Kampfkommandanten von Hamburg übernehmen. Zudem schickt Dönitz ein Fernschreiben an Kaufmann, in dem er die Verteidigung Hamburgs befiehlt.
In Hamburg aber stehen die Zeichen längst auf Kapitulation. Kaufmann lädt für 17 Uhr die wichtigsten Führungskräfte zu einer Lagebesprechung und erklärt dort, dass er für den 2. oder 3. Mai mit dem Einmarsch der Engländer in Hamburg rechne. In der Runde geht es nur noch darum, wie man die von Dönitz befohlene Verteidigung Hamburgs, die große zivile Verluste erwarten lässt, verhindern kann.
Unterdessen sind die beiden Offiziere Andrae und Link auf den Weg zu den Engländern. Gegen 18 Uhr fahren sie in der Rothenbaumchaussee in einem zivilen Auto los und überqueren gut eine Stunde später bei Meckelfeld die Frontlinie. Von dort werden sie zum Hauptquartier von Generalmajor Lyne gebracht und erklären, dass sie ein Angebot zur kampflosen Übergabe Hamburgs übermitteln sollen.
General Lyne nimmt die beiden Schreiben von Generalmajor Wolz zur Kenntnis und diktiert daraufhin den beiden Offizieren die Kapitulationsbedingungen. Sollte Wolz diese Bedingungen akzeptieren, werde er am Abend des 2. Mai an der Front unweit von Meckelfeld erwartet. Zudem sichern die Engländer zu, dass Hamburg bis dahin nicht weiter angegriffen wird.
Die beiden deutschen Offiziere kehren in die Kampfkommandantur zurück und informieren Generalmajor Wolz über das Gespräch. Dieser befiehlt den ihm unterstehenden Truppen, „Feindberührung“ zu vermeiden. Auch der Chef der Kriegsmarinedienststelle Hamburg, Konteradmiral Bütow, lässt die Marinetruppen von der Front abziehen.
Der 2. Mai 1945
Es ist eine unübersichtliche Situation in Hamburg an diesem 2. Mai 1945. Während Kampfkommandant Wolz im Einverständnis mit Gauleiter Kaufmann mit den Engländern über eine kampflose Übergabe verhandelt, verlangt Großadmiral Dönitz die Verteidigung der Hansestadt. Wolz gelingt es in den frühen Morgenstunden, Einheiten der Waffen-SS von der Front abzuziehen. Er fürchtet, überzeugte Nationalsozialisten könnten auf eigene Faust die Engländer angreifen oder sich in der Stadt verschanzen.
Eine dramatische Zuspitzung erfährt die Lage, als am Vormittag gegen 11 Uhr an verschiedenen Stellen der Stadt ein Aufruf von Kaufmann ausgehängt wird, in dem dieser erklärt, er werde kapitulieren. Eigentlich hatte der Aufruf erst ein oder zwei Tage später öffentlich gemacht werden sollen. Als Dönitz davon erfährt, fordert er erneut die Verteidigung der Hansestadt.
Jetzt überschlagen sich die Ereignisse. Kaufmann lehnt die Verteidigung Hamburgs offen ab und der Großadmiral gibt nach einigem Zögern nach. In einem Fernschreiben, das zwischen 16 und 17 Uhr in der Kommandozentrale in der Rothenbaumchaussee eintrifft, befiehlt Dönitz die kampflose Räumung Hamburgs. Als Zeitpunkt der Übergabe wird der 3. Mai, 13 Uhr, festgelegt. Am frühen Abend treffen noch Befehle vom Oberkommando der Wehrmacht und der Heeresgruppe Nordwest ein, in denen Hamburg zur offenen Stadt erklärt und der Rückzug der Truppen befohlen wird.
Kurz nach 21 Uhr besteigen Kampfkommandant Alwin Wolz, Bürgermeister a.D., Wilhelm Burchard-Moritz, Major Andrae und Hauptmann Link ein Fahrzeug der Wehrmacht und machen sich auf den Weg zu den Engländern. Bei Meckelfeld überqueren sie die Front und werden auf englischer Seite von Oberstleutnant Jogg, dem Kommandeur des 9th Bataillon The Durham Light Infantry, in Empfang genommen.
Anschließend geht es in das Hauptquartier der 131st Infantry Brigade, das in einem Landhaus in Klecken untergebracht ist. Dort trifft die Delegation auf Brigadegeneral David Spurling. Auf die Frage, was der Zweck des „Besuches“ sei, antwortet Wolz: „Die Übergabe Hamburgs“. Die Nachfrage, ob es um eine „bedingungslose Kapitulation“ gehe, bejaht der Kampfkommandant.
Die eigentlichen Verhandlungen führt Divisionskommandeur Lyne. Wolz erklärt noch einmal, dass er zu einer bedingungslosen Kapitulation Hamburgs bereit sei und fügt hinzu, dass er einen Termin für Verhandlungen über eine Teilkapitulation der Wehrmacht im Nordwesten Deutschlands vereinbaren solle. Dieser Termin wird für den 3. Mai 1945 festgelegt.
Zudem verspricht der Kampfkommandant, dass in Hamburg am 3. Mai in der Zeit zwischen 13 und 19 Uhr – dem Einmarsch der Briten – eine Ausgangssperre verhängt wird. Außerdem sollen auf den drei geplanten Vormarschstraßen der englischen Truppen alle Minen und Pioniersprengladungen an den Elbbrücken beseitigt werden. Gauleiter Kaufmann und Bürgermeister Carl Vincent Krogmann sollen Spurling im Rathaus offiziell die Stadt übergeben.
Der 3. Mai 1945
Es ist früh am Morgen, als die deutsche Delegation unter Führung von Kampfkommandant Alwin Wolz sich auf den Weg zurück nach Hamburg macht. Schriftlich festgehalten ist die Kapitulation der Stadt zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nach einer Zwischenstation im Stab von Spurling, bei dem auch über das Grauen in dem wenige Tage zuvor befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen gesprochen wird, kehren die Deutschen gegen 5 Uhr in die Kommandantur zurück.
Mehr Zeit als für ein kurzes Frühstück bleibt Wolz nicht, da er die Delegation des Oberkommandos der Wehrmacht zu General Lyne bringen muss. Es ist wenige Minuten vor 9 Uhr, als diese hochkarätige Delegation – zur ihr gehören Generaladmiral von Friedeburg, Konteradmiral Wagner, General Kinzel und Major Friedel – an der Hittfelder Landstraße in Fleestedt von den Engländern empfangen wird.
Wolz hofft nun, nach Hamburg zurückkehren und Vorbereitungen für den Einmarsch der britischen Truppen treffen zu können. Allerdings wird ihm das verwehrt. Stattdessen muss er zusammen mit der Delegation des Oberkommandos der Wehrmacht nach Häcklingen bei Lüneburg in das Landhaus des Brauereidirektors Alexander Möllering fahren. Da die Bedingungen der Übergabe zwar mündlich vereinbart, aber nicht schriftlich fixiert wurden, muss Wolz im Hauptquartier der 2. Britischen Armee noch warten, bis er die Kapitulationsurkunde unterschreiben kann. Die Engländer haben inzwischen den ursprünglich für 13 Uhr vorgesehen Einmarsch ihrer Truppen auf 18 Uhr verschoben.
Der Befehlshaber der 2. Britischen Armee, General Miles C. Dempsey, verliest die Kapitulationsbedingungen, die für Wolz Satz für Satz übersetzt werden müssen. Die Stimmung ist gereizt, weil es immer wieder zu Missverständnissen kommt. Letzten Endes verlässt General Dempsey mit einem ärgerlichen „Finish“ den Raum und Wolz unterzeichnet die Kapitulation.
Gegen 17 Uhr trifft der Kampfkommandant am Hamburger Rathaus ein. Die Stadt wirkt wie ausgestorben. Über den Rundfunk war den Tag über in 15-minütigem Abstand vermeldet worden, der Einmarsch der englischen Truppen stehe bevor. Zudem wurde eine Bekanntmachung veröffentlicht, die erste Anweisungen der britischen Besatzungstruppen enthielt. Demnach gilt seit 13 Uhr eine Ausgangssperre, ein Verkehrsverbot sogar schon seit 12 Uhr.
Weiße Fahnen sind nirgends in der Stadt zu sehen. Die Sorge, versprengte SS-Truppen oder uneinsichtige Reste des Volkssturms könnten die Engländer in Straßenkämpfe verwickeln, stellt sich als unbegründet heraus. Auch für die Engländer ist der Einmarsch in die Millionenstadt etwas Besonderes. Alle wichtigen Stationierungspunkte werden genau festgelegt. Die Offiziere achten auf die Sauberkeit und den korrekten Sitz der Uniformen und geben Anweisungen für richtiges Verhalten. „The Germans respect a smart soldier“, heißt es zur Begründung.
Gegen 15.45 Uhr werden die englischen Truppen in Marschbereitschaft versetzt. Um 16.13 Uhr ertönt das Codewort „Baltic“ – der Befehl zum Einmarsch. In drei Marschsäulen – aus Richtung Buxtehude, von Nenndorf über Tötensen und aus Richtung Hittfeld – setzen die Panzer der 7. Britischen Panzerdivision sich in Bewegung. Vor den Elbbrücken treffen die drei Stränge aufeinander. Über den Heidenkampsweg und die Mönckebergstraße geht es weiter in Richtung Rathausmarkt. Alle 50 Meter steht ein deutscher Polizist.
Der erste englische Offizier, Colonel Weinmann, trifft kurz vor 18 Uhr am Rathausmarkt ein. Kampfkommandant Alwin Wolz und seine Offiziere warten schon, doch es entsteht eine eigenartige Situation, weil Weinmann in alle Ruhe damit beginnt, einige Tauben auf dem Rathausmarkt zu füttern. Auf den Hinweis, Generalmajor Wolz wünsche die Stadt Hamburg zu übergeben, lautet die Antwort, er müsse auf Brigadegeneral Spurling warten.
Dieser trifft 18.25 Uhr ein, und Wolz übergibt ihm am Eingangsportal militärisch die Stadt. Im Bürgermeistersaal warten bereits Gauleiter Kaufmann und Bürgermeister Vincent Krogmann. Nach einen kurzen Handschlag erklärt Kaufmann, die kampflose Übergabe der Stadt solle den Tod von Hunderttausenden Frauen und Kindern verhindern. Es ist kurz vor 19 Uhr, als Kaufmann den englischen Brigadegeneral informiert, dass für ihn und seine Begleitung ein Abendessen im Hotel Atlantic vorbereitet sei.
Die Stadt Hamburg ist durch die kampflose Übergabe ihrer totalen Zerstörung entgangen. Viele Menschenleben konnten dadurch gerettet werden. Doch die Wunden des Krieges und die Zeichen der Not sind am 3. Mai unübersehbar. Zwar lagern zwischen 50.000 und 60.000 Tonnen Getreide in Hamburg und sichern die Brotversorgung für vier Monate. Doch Kartoffeln und Kohlen sind schon knapp.