Zur Einweihung der Köhlbrandbrücke vor 40 Jahren marschierten 600.000 Menschen darüber. Olaf Preuß über ein Bauwerk, das weltweit Maßstäbe setzte, aber schon nach kurzer Zeit schwere Mängel offenbarte

Welch ein Blick aus 53 Metern über der Elbe auf den Hafen und die ganze Stadt! Mehr als 600.000 Menschen ließen sich das nicht entgehen im September 1974. Die Inbesitznahme der Köhlbrandbrücke durch die Bürger von Hamburg ist als kollektives Ereignis in der jüngeren Geschichte der Stadt gespeichert.

Walter Scheel, noch neu im Amt des Bundespräsidenten, hatte seinen Antrittsbesuch in Hamburg eigens auf die Einweihung der Brücke abgestimmt. Aber die offizielle Eröffnung geriet zur Nebensache. Kurz nach der Durchtrennung des Zeremonienbandes gab die Stadt die Brücke für die Bürger frei. So hatte es Wirtschafts- und Hafensenator Helmuth Kern im Jahr zuvor beim Richtfest versprochen: Die neue Brücke soll den Hamburgern gehören. Wenigstens für drei Tage. So gingen die Menschen vom 20. bis 22. September in langen Kolonnen die 3,6 Kilometer lange Strecke über den Hafen und genossen es, dass eines der spektakulärsten Brückenbauwerke Europas in ihrer Stadt errichtet worden war. Die 100.000 Medaillen zur Erinnerung an die Eröffnung, geprägt und verschenkt von der Behörde für Wirtschaft und Verkehr, waren rasch vergriffen.

Beim großen Spaziergang über die Brücke war Hermann Jonetzki, 67, nicht dabei. Und doch ist der Betonfachingenieur und gebürtige Winterhuder seit jenen Tagen einer der besten Kenner der Köhlbrandbrücke. „50 Meter über der Elbe zu stehen macht mir nichts aus“, sagt er. „Aber mit mehr als 50 Menschen in einer Gruppe unterwegs zu sein, das behagt mir nicht. Großaufläufe sind nicht meine Sache.“

Als Fachmann für Brückenbauwerke kam Jonetzki über dem Köhlbrand gleichwohl auf seine Kosten. Schon als Student war er am Bau beteiligt, als er in der Baustoffprüfstelle die Beschaffenheit des Betons für die Fundamente an der Ostseite untersuchte. Von 1977 bis 2012 arbeitete Jonetzki bei der Hafenverwaltung, die früher Amt für Strom und Hafenbau hieß und sich heute Hamburg Port Authority (HPA) nennt. Ungezählte Male inspizierte er mit seinen Kollegen das Bauwerk – wenn es sein musste, bei Wind und Wetter.

Und es musste schon bald sein. Die Tragseile an den beiden Pylonen rosteten und brachen. Sie wurden schon 1978 und 1979 mit großem Aufwand ausgetauscht. Ein anderes Problem indes beschäftigt die Experten der HPA bis heute: Der gesamte Brückenkörper wurde über die Jahre weit stärker belastet als ursprünglich geplant. „In den frühen Jahren der Brücke liehen wir uns von einer Hamburger Betonfirma fahrbare Betonpumpen, die jeweils 50 Tonnen wogen“, erzählt Jonetzki. „Die ließen wir über die Brücke fahren und simulierten damit hochgerechnet Belastungen mit Fahrzeugen von 160 und mehr Tonnen Gewicht.“ Die Zahl der Fahrzeuge lässt sich leicht erfassen, das zulässige Höchstgewicht begrenzen. Doch erst 2011 baute die HPA eine elektronische Waage ein, um mehr über die tatsächliche Transportlast auf der Brücke zu erfahren. Denn der Verkehr hatte in den Jahren zuvor stark zugenommen.

An vielen Stellen zeigten die Fahrbahn und der Beton des Brückenkörpers in jüngerer Zeit Ermüdungserscheinungen. „Die Zahl der Fahrzeuge ist heute viel höher als seinerzeit geplant. Vor allem aber fahren viel mehr Lastwagen über die Brücke, die mehr wiegen, als man früher angenommen hatte“, sagt Jonetzki. Gut 36.000 Fahrzeuge, darunter 12.000 Lastwagen, passieren täglich die Brücke, vor 40 Jahren hatte man mit 31.000 kalkuliert. Das wirft die Frage auf, wie lange das Hamburger Wahrzeichen wohl noch hält.

Für die Verbindung innerhalb des Hafens ist es unverzichtbar, denn eine zweite Traverse zwischen Neuhof und Waltershof gibt es nicht. Und nicht nur landseitig werden die Grenzen der Köhlbrandbrücke sichtbar: Die heutzutage größten Containerschiffe kommen nicht mehr unter ihr hindurch, das hinter der Brücke liegende HHLA-Containerterminal Altenwerder ist für sie nicht erreichbar.

Bis zum Jahr 2016 läuft das aktuelle Programm der HPA zur Grundinstandsetzung der Brücke. Seit 2012 gilt ein Überholverbot für Lastwagen, um die Belastungen vor allem durch Schwertransporte zu reduzieren. Im Jahr 2017 sollen Untersuchungen beginnen, die einen genaueren Aufschluss über die Lebensdauer der Brücke erlauben. Zugleich startet die HPA dann die Vorplanungen für ein neues Verkehrskonzept zur Querung des inneren Hafenbereichs. „Voraussichtlich wird eine wirtschaftliche Unterhaltung der Brücke bei der Fortführung der momentanen Grundinstandsetzungszyklen bis etwa 2030 prognostiziert“, teilt die HPA mit. Danach würden die Kosten für die permanente Instandhaltung wohl so stark ansteigen, dass ein Neubau günstiger wäre.

Die Verkehrsführung im inneren Hafen ist längst nicht mehr zeitgemäß. Die Zahl der Engpässe im Hafen und um die Stadt herum nimmt zu. Zwar wurden die sehr hohen Wachstumsprognosen aus den 2000er-Jahren in jüngerer Zeit wieder zurückgenommen. Gleichwohl schlägt der Hamburger Hafen heute weit mehr Güter um, als man in den 70er-Jahren erwarten konnte. Vor allem deshalb, weil Hamburg seit der europäischen Einheit wieder ungehinderten Zugang zu seinen traditionellen Märkten in Osteuropa hat. So stellt sich die Frage, ob im Hafen eine neue Brücke entsteht oder ob der Köhlbrand womöglich mit einem Tunnel gequert werden kann. Auch die Überlegungen für eine „Hafenquerspange“, eine Querverbindung zwischen den Autobahnen A1 und A7 am südlichen Hafenrand, werden diese Planungen beeinflussen. Ein erster Entwurf dafür, der 2013 gezeigt wurde, steht der Köhlbrandbrücke an Eleganz nicht nach.

„Viel wird bei der Lebensdauer der Köhlbrandbrücke davon abhängen, ob die Zahl der Fahrzeuge, die täglich darüberfahren, in den kommenden Jahren vielleicht doch noch deutlicher begrenzt wird“, sagt Hermann Jonetzki, der als freiberuflicher Ingenieur und Berater arbeitet. „Aber ob eine neue Köhlbrandbrücke wieder solch eine Strahlkraft und Prägnanz für die Stadt hat? Da bin ich sehr gespannt.“