Wegwerfen, was man nicht mehr braucht? Das muss nicht sein. Was Kreative unter dem Trend Upcycling verstehen, hat sich Alexandra Maschewski angesehen.
Kurze Kleidchen aus ausgedienten Schürzen, Halsketten aus Zahnpastatuben, Leuchten aus Omas liebster Sammeltasse oder Kerzenständer aus Bierflaschen. Gegenstände und Materialien, die bei dem einen bloß noch in den Müll wandern würden, regen den nächsten zu kreativen Höchstleistungen an. Upcycling nennt man diese Weiterverarbeitung scheinbar nutzloser Stoffe, die am Ende sogar eine Aufwertung bedeutet. Und die – wichtigstes Ziel – Überproduktion vermeiden und wertvolle Ressourcen sparen hilft.
Neu im Kreise derer, die in Hamburg auf besondere Weise Recycling betreiben, ist Anne Carls mit ihrer Marke Via Stella. Polterabend war gestern – besondere Teile aus Porzellan bekommen bei ihr ein zweites Leben geschenkt: Tassen werden zu Hängeleuchten, Kuchenteller zu Etageren und Untertassen zu Seifenschalen. „Die Idee hatte ich beim Gang über Flohmärkte“, erzählt die 44-Jährige, die gerade erst einen eigenen Laden an der Weidenallee eröffnet hat. Immer mehr Neuwaren, immer mehr Plastik – dem möchte die studierte Industriedesignerin entgegenwirken. Sie schwärmt vom schadstofffreien Material Porzellan.
Die Metallteile, die sie etwa für ihre Etageren verwendet, lässt sie alle in Deutschland fertigen. „Ich finde es gut, quasi über jedes verwendete Schräubchen Auskunft geben zu können.“ Und ihr gefällt die Idee, etwas Bleibendes zu schaffen. „Zu mir kommen auch Menschen, die ihre persönlichen Lieblingsstücke mitbringen, damit ich etwas Neues daraus machen kann“, sagt sie. Manchmal sei dies auch die Großmutter, die aus einem angeschlagenen, scheinbar wertlosen Teller noch Medaillons für ihre Enkelinnen anfertigen lasse.
Weniger emotional, dafür genauso nachhaltig ist die Arbeit von Sybille Homann, die ihre Glaskunst an der Wexstraße ausstellt und verkauft. „Trinken für die Kunst“ heißt es in ihrem Freundeskreis schon mal, denn das Material der studierten Designerin sind alte Flaschen. Die werden manchmal auch gleich kistenweise von befreundeten Gastronomen vor die Tür gestellt. „Auf die Idee kam ich, als wir in der Werkstatt einen Messbecher brauchten, und ich kurzerhand eine Flasche gerade abschnitt.“ Später begann sie, ein wenig mit den Glasteilen zu puzzeln. Ergebnis sind zum Beispiel ihre Bambusleuchten, die aus zusammengeklebten Flaschenabschnitten in verschiedenen Grüntönen bestehen. „Verschmelzen kann man die Abschnitte nicht, da das Glas aufgrund seiner Inhaltsstoffe nicht kompatibel ist“, erklärt sie. Deshalb müsse man auch am Altglascontainer die Flaschen trennen. Auch beim verwendeten Leuchtmittel achtet sie auf energiesparende Varianten.
Noch vor 15 Jahren bekam Sybille Homann von ihrem Professor zu hören, dass man Produkte, wie sie sie heute fertigt, doch wohl nur im Bioladen verkaufen könne. Mittlerweile stattet sie zwei- bis dreimal im Jahr im Rahmen von größeren Projekten auch Hotels oder Restaurants mit ihren Leuchtobjekten aus. Neuester Entwurf ist ein imposanter Raumteiler aus Glassäulen, die sich mal verjüngen, mal bauchiger werden. „Meinen Kunden gefällt zunächst einmal das Design, mitunter erkennen sie erst auf den zweiten oder dritten Blick, woraus die Leuchten, Garderoben oder Karaffen tatsächlich gemacht wurden.“ Etwas weniger Spürsinn muss man bei den Kerzenständern mitbringen, die früher einmal Grand-Marnier- oder Bügelbierflasche waren. Was sie mit den Magnum-Flaschen anstellen wird, die seit geraumer Weile in ihrem Atelier lagern, weiß Sybille Homann allerdings noch nicht zu sagen.
In der Galerie „Kunst und Gemüse“, in der auch sie ihre Heimat gefunden hat, gibt es noch mehr Upcycling-Experten, die Spaß am Verfremden haben. Mechthild von Klipstein etwa, die mit unterschiedlichsten Funktionsteilen experimentiert, um daraus ungewöhnlichen Schmuck entstehen zu lassen. Das Ergebnis sind dann zum Beispiel Colliers aus Einweckgummis oder vergoldeten Druckknöpfen.
Christina Schelhorns heutige Berufung hat viel mit einem Zufallsfund zu tun. Beim Aufräumen einer Schublade fand die Designerin eine Tischdecke mit Kreuzstichmuster, aus der sie eine Schürze fertigte. Heute, etwa vier Jahre später, verkauft sie online über ihr Label Redesign Schürzencocktailkleider, Ketten aus Neonbadeanzügen oder Handytaschen aus Sakkoärmeln. Zum Einsatz kommen also ausschließlich Alttextilien wie Vorhänge, Stoffreste-posten oder weggeworfene Kleider, die zerschnitten werden. Selbst die Produktanhänger werden auf alte Postkarten gedruckt.
Das Alter ihrer Stammkunden schätzt sie auf 30 bis 40 Jahre. „Alles Menschen, die individuelle Kleidung lieben. Aber auch ein Professor, der sich beruflich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, ist dabei.“ Wie wichtig Christina Schelhorn die Botschaft ist, die sie mit Redesign transportieren möchte, erkennt man unter anderem daran, dass sie an zwei Hamburger Schulen den Schwerpunkt Recycling unterrichtet. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger. „Natürlich sind es gerade diese jungen Menschen, die gern bei den großen, bekannten Ketten einkaufen“, sagt sie. Sie animiert die Jugendlichen, kreativ zu arbeiten, sich als Designer zu betätigen. „Bestimmt erreiche ich dadurch nur ein paar, die am Ende des Kurses empfänglicher für die Hintergründe sind. Aber das reicht mir schon.“ Größere Wirkung könnten die Projekte haben, für die sie von zwei großen Hamburger Unternehmen angefragt wurde. Dabei geht es darum, Ladenhüter, die nicht verkauft wurden, aber auch Stoffe, die gar nicht erst zu Kleidung verarbeitet wurden, zu recyceln. „Mit jedem Stück, das wiederverwertet wird, werden unsere Trinkwasserressourcen weniger beansprucht“, sagt Christina Schelhorn. Und auch, wenn sie und ihre Kolleginnen vielleicht nicht so genannt werden möchten: Man kann auch Designerin und Weltverbesserin sein.