Alte Fahrräder, gebrauchte Turngeräte, selbst Fässer und ausgediente Seecontainer erhalten beim Upcycling einen neuen Nutzwert im Wohnumfeld. Das ist gut für die Umwelt.

Lampen aus schwarz glänzenden Vinyl-Schallplatten baumeln von der Decke, auch für andere Alltagsgegenstände, darunter Aschenbecher oder Klorollenhalter, erweisen sich die historischen Tonträger als ebenso taugliches wie originelles Material. Das gilt für die vielen ausrangierten Schmöker vergangener Generationen, die, gespickt mit Stahlhaken, eine neue Bestimmung als „Schlüsselromane“ gefunden haben ebenso wie für die Minibars, Aktenschränke und Hifi-Möbel aus ausrangierten Stahlfässern, die sich dekorativ im Raum verteilen.

Willkommen bei Lockengelöt, dem etwas anderen Einrichtungshaus im Herzen des Karolinenviertels. Der Firmenname und die Typografie aus umgedrehten Zahlen und Buchstaben der „Helvetica“-Schrift sind ebenso eigenwillig wie das Geschäftskonzept der drei Gründer, für das Branchenexperten den Begriff „Upcycling“ geprägt haben. Damit bezeichnen sie den Trend, ausgedienten oder gebrauchten Materialien, getreu dem Motto „Aus Alt mach Neu“ , eine neue Bestimmung von oft künstlerischem Wert zu geben. Die Bandbreite der Upcycling-Maßnahmen reicht von der Reparatur und dem neuen Anstrich einer alten Kommode bis zur kreativen Neugestaltung von Möbeln oder Accessoires aus kaputten oder ausrangierten Gebrauchsgegenständen oder Verpackungsmüll.

„Upcycling ist ein starker und wachsender Trend in einer exklusiven Nische“, sagt Ursula Geismann, Sprecherin vom Verband der Deutschen Möbelindustrie. Wer sich etwa einen Tisch aus Eierkartons oder einen Designer-Sessel aus alten Fahrrädern in seine Wohnung stellt, gibt ein Statement ab: Er wählt ein Produkt mit künstlerischem Anspruch, gleichzeitig kann er sein „Grünes Gewissen“ demonstrieren und befriedigen. Ursula Geismann: „Upcycling steht neben Müllvermeidung und aktivem Umweltschutz in vielen Fällen für hochklassiges und ambitioniertes Design. Viele Möbel und Accessoires dieser Gattung repräsentieren echte und zeitlose Werte.“

Die Rohstoffbasis für die Designer ist bestens: Rund 45 Millionen Tonnen Hausmüll produzieren die Deutschen pro Jahr laut Statistik des Umweltbundesamtes. Davon sind rund ein Fünftel – also neun Millionen Tonnen – wiederverwertbare Kunststoffe, Sperrmüll, Metalle und Textilien.

Mit der Restaurierung alter oder abgenutzter Möbel fängt Upcycling an: Statt die Kommode oder Stühle von Omas Dachboden zum Abfallhof zu tragen, lassen sich viele oft massive Holz-Möbel mit wenig Aufwand aufarbeiten und neu nutzen. Der nächste Schritt ist die individuelle Verschönerung nach der Devise: vom Sperrmüllkandidaten zum Unikat. Auf www.recyclart.com finden sich zahlreiche Beispiele für wundersame Verwandlungen: Dank Malerei im Camouflage-Design mutieren unscheinbare Kunststoff-Gartenstühle zu Design-Objekten. Auf www. zweitsinn.de avanciert ein 50er-Jahre-Sessel in Kombination mit einer Lederjacke (70er-Jahre) und einer Gardine (80er-Jahre) zu einem eigenwilligen wie dekorativen Ausstellungsstück.

Ein weiteres Feld ist das „kreative“ Upcyling: Hierbei berauben Designer bestimmte Materialien oder Gegenstände ihres ursprünglichen Zwecks und schenken ihnen eine neue funktionale und ästhetische Bestimmung. Gefragt sind beispielsweise die Arbeiten des Hamburger Künstlers Raphael Springmann (www.raphaeldesign.de). In Kooperation mit ausgewählten Handwerksbetrieben verwandelt er ausgemusterte Hochseecontainer in Schiebetüren, Küchentheken oder Empfangstresen. „Das Material eignet sich am besten für großflächige Wohnobjekte“, sagt Springmann. Form und Haptik des Blechs sowie Fragmente der Original-Aufschrift – oft mit Namen der Reederei – verweisen auf den Ursprung der markanten Wohnelemente und machen damit ihren Reiz aus: Jedes Teil eines gewellten Container-Blechs, das nach vielen Weltreisen als Möbelstück endet, verströmt die Aura bewegter Geschichte.

Das trifft auch auf die Möbel von Andreas Gröbel zu, zu beziehen unter dem Label „Zur schönen Linde“. Der Designer kauft alte, bis zu80 Jahre alte Turngeräte wie Böcke, Turnkästen oder Schwebebalken auf und verwandelt sie in dekorative Wohn- und Sitzmöbel. So wird aus einem Turnkasten wahlweise eine Sitzgelegenheit oder ein rollbarer Büroschrank, zwei Schwebebalken plus eine Platte ergeben einen Tisch. Den Designer hatten vor allem die Robustheit und die perfekte Verarbeitung der schweren Turnmöbel fasziniert, die schließlich „vielen Generationen von Schülern standhalten mussten“.

Die ursprüngliche Zweckbestimmung in Verbindung mit den Gebrauchsspuren und der Patina des Holzes sind auch hier die drei entscheidenden Stil- und Gestaltungselemente neuen Designs. Gröbel: „Viele Kunden haben sofort einen starken emotionalen Bezug zu den Möbeln.“ Schließlich erinnere sich jeder Erwachsene daran, wie er einst den Geräte-Parcours in der Turnhalle erst mit aufbauen und anschließend bewältigen musste.

Wie konsequent Künstler und Querdenker mit tradierten Vorstellungen über die Zweckbestimmung von Materialien brechen können, zeigt ein Blick über den großen Teich: Auf www.bikefurniture. com zeigt Andy Gregg eine Wohnkollektion aus Fahrrädern. Felgen, Reifen, Lenker und Sättel verarbeitet er zu Sofas, Sesseln, Barhockern oder Tischen. Aufgepumpte Fahrradschläuche formt er zu Luftpolstern für Sitzflächen und Rückenlehnen. Zahlreiche Ausstellungen, darunter im Architekturmuseum in Chicago oder dem Museum of Functional Art in Kalifornien, haben die Arbeiten des Designers bereits in die Sphäre moderner Kunst katapultiert.

Den ebenso mutigen wie konsequenten Schritt von der Einzelfertigung bis zur Serienreife von Upcycling- Produkten ist Oliver Schübbe (www. os2-designgroup.com) gegangen, der als ein „Star“ der Szene gilt. „Wertsteigerung über Design“ heißt sein Prinzip, anders gesagt: „Ich verkaufe den Kunden ihren Schrott in neuem Gewand.“

Die dynamisch geschwungenen, flexibel kombinierbaren Module seines Regalsystems „Frank“, zu 24 Euro das Stück, bestehen ausschließlich aus alten Spanplatten verschiedener Holzarten und Farben. „Frank“ wird entweder aus dem gerade vorhandenen Material gefertigt, auf Wunsch schickt Schübbe seinen Kunden vorab ein Foto der vorhandenen Platten für ihre individuelle „Frankwand“. Die Auswahl ist groß, denn praktischerweise liegt Schübbes Werkstatt neben einem Wertstoffhof. Hier landen antike Schränke in Eiche rustikal, aus furnierter Buche ebenso wie das gesamte Sortiment von Ikea. „Ein Billy-Regal ergibt zwei Frank- Regale“, so Schübbes Gleichung.

Auch sein Pixelstar-Chair hat es schon in diverse Design-Ausstellungen geschafft. Die „Polsterung“ des schnörkellosen Spanplatten-Unterbaus besteht aus insgesamt 28 quadratischen, individuell mit alten Stoffresten bezogenen Einzelelementen. „Viele Leute geben mir vorab eine bestimmte Farbrichtung vor oder schicken mir gleich ihre eigenen Stoffreste“, sagt Schübbe. Über 200-mal wurde der Stuhl bereits verkauft, Kostenpunkt: 380 Euro.

Lockengelöt ist ebenfalls mit Serienfertigung erfolgreich. Hier hat Tüftler Dennis Schnelting, gelernter Industrieelektroniker, die kreative und technische Oberhoheit. Dank selbst gebauter Maschinen kann er beispielsweise die vorab im Ofen erwärmte Vinylplatten in jede beliebige Form wie Schalen oder Küchenrollenhalter pressen.

So viel Kreativität steckt an. Der Blog www.weupcycle.com sammelt die besten Beispiele für Neuerfindungen aus ausrangierten Gegenständen.