Nahezu jedes Neubau- und Sanierungsprojekt ruft Gegner auf den Plan. Sie fürchten die Gentrifizierung ihres Viertels, während Investoren und Stadtplaner von Aufwertung sprechen.
Aufwertung ... fuck off", hat jemand mit schwarzer Farbe auf die gelb getünchte Hausmauer an der Ecke Koppel und Gurlittstraße in St. Georg gesprüht. Es ist eine klare Botschaft, die jeder kapiert, auch diejenigen, die mit dem Begriff "Gentrifizierung" nichts anfangen können. Dieses ominöse "G-Wort" steht mittlerweile für das äußerst komplexe Kapitel "Stadtentwicklung" und enthält jede Menge gesellschaftspolitischen Zündstoff.
Der dann und wann auch mal in Zerstörungswut mutiert, wie etwa in der Ottenser Hauptstraße, wo der "Loveboots"-Ladenbetreiber die eingeworfenen Schaufensterscheiben schon gar nicht mehr austauschen lassen möchte. Seitdem die Hauptschlagader des Quartiers ziemlich uncharmant als "Latte-macchiato-Strich" bezeichnet wird, weil dort so viele Mütter mit Kinderwagen shoppen gehen, bleiben die meisten Geschäftsleute in Deckung. "Dabei hat der Stadtteil seine Umwandlung doch längst hinter sich", sagt eine bereits seit Jahren ansässige Modekauffrau, "jetzt ist Ottensen perfekt für diejenigen, die für die Schanze zu erwachsen geworden sind." Es sei auch keineswegs so, dass die oft beschworenen alteingesessenen kleinen Läden im Viertel alle nur wegen steigender Mieten schließen würden: "Einige verändern sich, andere finden keine Nachfolger oder wollen nach 50 Jahren einfach bloß in Rente gehen."
Sie ist nicht die Einzige, die die subtile Stimmungsmache des Bloggers "Rantanplan.102" fürchtet, der gegen den in Ottensen "herrschenden Boutiquenwahn" zu Felde zieht: Unter der Überschrift "Shop or die" ("Einkaufen oder sterben") stellte er am 12. Februar dieses Jahres Dutzende Schaufenster ins Internet. "Rantanplan.102" schrieb dazu, dass "die Geschäftsgrundlage dieser hochpreisigen Boutiquen häufig prekär zu sein scheint - in den Läden sind oft tagelang wenig Kunden anzutreffen." Bei denen es sich nicht nur um Quartierbewohner handele, sondern vor allem um "die geldbesitzende Klientel des gesamten Hamburger Westens, die hier in uriger Atmosphäre ihren Kaufbedürfnissen nachgehen soll". Auch konstatiert er eine "klammheimliche Freude" bei Teilen des Ottensener Publikums, "die die Demolierung von Fensterscheiben bei ausgesuchten, besonders ekelhaften Gentrifizierungsobjekten auslöst" und eine "temporär emotionale Entlastung" bringen würde.
Aber wer sind diese Teile? Wer bestimmt, was ein "besonders ekelhaftes Gentrifizierungsobjekt" ist? Gehört die vor einem Monat eröffnete Boutique Estomo an der Ecke Rothestraße und Ottenser Hauptstraße auch dazu?
Noch während der Umbauphase wurden Eva Stoltzenberg und Jan Mathias Wiehe verdächtigt, mit ihrer Boutique ein "alteingesessenes Waffen- und Messergeschäft vertrieben zu haben". Doch das Paar winkt gelassen ab. "Wir fühlen uns keineswegs als Verdränger", sagt Eva Stoltzenberg, "Frau Reiter war seit rund 50 Jahren mit ihrem Messer- und Waffengeschäft ansässig und ist Mitte 2012 aus Altersgründen in den Ruhestand gegangen. Jetzt sind wir ganz überrascht über die Neugier und von der guten Resonanz, die wir hier im Viertel erfahren." Zwei Jahre hätten sie nach einem Ladengeschäft in Ottensen gesucht; ein Viertel, mit dem sie sich verwachsen fühlten, aus dem viele ihrer Kunden stammten. Manchmal würden sie noch nach dem Messerladen gefragt. Sie fänden es auch schade, dass solche Spezialgeschäfte sukzessive verschwinden, nicht nur in Ottensen, sondern überall in der Stadt. "Andererseits wächst wieder das Bedürfnis nach kleinen, speziellen Geschäften. Uns sind die handwerkliche Umsetzung unseres Designs und gute Stoffe sehr wichtig. Das ist vielleicht nicht Mainstream, aber wir sehen darin unser Potenzial." Das Hamburger Estomo-Label existiert schon seit 25 Jahren. Die Mode wird im Hamburger Atelier sowie von polnischen Familienbetrieben genäht - und nicht von versklavten Kindern in Bangladesch, denen ein Hochhaus auf den Kopf fallen könnte. Da erscheinen 149 Euro für ein elegantes Cocktailkleid angemessen, nicht "überhöht". Doch "Rantanplan.102" befindet prinzipiell jedes Kleidungsstück, das sich im dreistelligen Preissegment bewegt, für überteuert, unnütz, überflüssig.
Aber selbst solche undifferenzierten, veröffentlichten Betrachtungsweisen haben etwas Gutes: Sie lösen Debatten aus. Aus den Diskussionsbeiträgen der Blog-Gäste lässt sich herauslesen, dass sie alle von unrühmlichen Beispielen überzogener Miet- und Pachtforderungen im Viertel berichten können. Von Ungerechtigkeiten, architektonischen Geschmacksverirrungen oder einer plötzlich versperrten Aussicht wegen eines Neubaus. Doch letztlich überwiegt ein "aufwertungsfreundlicher" Tenor: "In Ottensen auf unserer Seite war ein Dauerflohmarkt vor Hertie, Wohnungen mit Ofenheizung und Klo auf dem Flur, Fischfabriken und vielen kleine Gewerbe. Wie würdet ihr es finden, wenn eine Tischlerei im Hof, eine Autoselbsthilfe und ein frühes Kreischen der Motorsäge euch aus dem Bett reißen? Drogen und Junkies in allen Treppenhäusern. So bin ich aufgewachsen. Früher Rosig Keks, heute Nickels", schrieb eine "Claudia" am 5. März 2013 um 7.19 Uhr.
Eigentlich ist Gentrifizierung ein Kunstbegriff und Wortspiel, das erstmals 1888 auftauchte, doch erst 1964 von der weltbekannten Stadtsoziologin Ruth Glass wiederentdeckt wurde. Sie wollte der sukzessiven Vertreibung der Arbeiterklasse aus dem Londoner Stadtteil Islington durch die besser verdienende Mittelstandsschicht ("gentry", den "niederen Adel") einen Namen geben. Gentrifizierung, so Glass, beschreibe zusammengefasst die "signifikante Veränderung der sozialen Struktur eines Stadtteils".
"Inzwischen wird der Begriff jedoch leider oft inflationär genutzt. Das schadet einer sachlichen Debatte über das Thema", sagt Jutta Blankau (SPD), Hamburger Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt. Dabei sei es wichtig, dass über Auswirkungen und Folgen, die diese Prozesse mit sich bringen, gesprochen werde.
Doch wird nicht schon extrem viel über den Gentrifizierungsbegriff und seine tatsächlichen und angeblichen Auswirkungen geredet? Offenbar jedoch nicht so, wie es sich die zuständigen Behörden sowie die Politik wünschen. Denn so gut wie jedes Neubau- oder Sanierungsprojekt, das sie in einem Stadtviertel oder "Quartier" anschieben, ruft mindestens einen Gentrifizierungsgegner auf den Plan, der das "Recht auf Stadt" anprangert. Und schon entsteht wieder eine neue Initiative, müssen "runde Tische" her, verdienen Gutachter sich goldene Nasen und werden Gerichte beschäftigt.
Als ob die langen Winter der vergangenen zwei Jahre die Einlösung des SPD-Wahlversprechens von 6000 neuen Wohnungen pro Jahr nicht schon genug gefährdeten.
"Gentrifizierungegner handeln im Sinne einer klassischen politischen Bewegung", sagt Markus Birzer, 49, ein Politik- und Unternehmensberater, der seit 20 Jahren immer dann als neutraler "Bürgerbeteiligter" angeheuert wird, wenn der Graben zwischen den beteiligten Parteien eines Bauprojekts zur Tiefgarage mutiert ist. Auf der einen Seite stehen die "Vorhabensträger" - Investoren, Behörden, Stadtentwicklungsgesellschaften, Genossenschaften und die Landesregierung. Auf der anderen Seite die Mieter (Bewohner), Anwohner, die Opposition - und natürlich diejenigen, die den Protest ins Rollen bringen. "Gentrifizierungsgegnern geht es längst nicht mehr nur um einzelne Projekte, sondern um den Protest gegen die gesellschaftspolitische Situation an sich."
Auch viele "Wutbürger" haben diese Zeichen der Zeit erkannt, fügen sich nahtlos in die breite Front der Gentrifizierungsgegner ein und machen gegen Neubauvorhaben mobil. Politologen der Göttinger Universität haben im vergangenen Jahr in einer Untersuchung festgestellt, dass diese Protestierer vorwiegend aus höheren, einkommensstarken Bildungsschichten stammten, für gewöhnlich gut vernetzt seien und über ausreichend rhetorische Fähigkeiten verfügten. Doch seien sie weniger am Allgemeinwohl interessiert, sondern fürchteten in erster Linie den Wertverlust ihrer eigenen Immobilie, wenn in deren Nachbarschaft neuer Wohnraum entstehen soll. Und natürlich auch den jahrelangen Baulärm. Ein Fazit der Untersuchung: Hinter dem "Wir sind dagegen" stecke manchmal bloß ein einzelnes Ehepaar.
Eine Projektentwicklerin, die für die Hamburger Stadtentwicklung STEG arbeitet und anonym bleiben möchte, sagt: "Auf vielen projektbezogenen Informationsveranstaltungen wird inzwischen ganz offen politische Agitation betrieben. Bürger, die gegen die Aufwertung ihrer eigenen Wohnsituation sowie des Quartiers vielleicht gar nichts einzuwenden haben, sollen vom vermeintlich notwendigen Widerstand überzeugt werden."
Diese Erfahrung hat auch der Städtische Wohnungsbaukonzern Saga bei der Gestaltung des Wilhelmsburger "Weltquartiers" rund um den Weimarer Platz gemacht, als einige der rund 1700 Bewohner sich nicht (übergangsweise) umquartieren lassen wollten und sich gegen alle Planungen sperrten. "Es war zwar auch noch nichts Vorzeigbares da, doch es war eine skeptische Minderheit, die gemeinsam mit dem Mieterverein eigene Versammlungen abhielt, bei denen Mieter aufgefordert wurden, nicht auszuziehen und auch nicht mit uns zu kooperieren", erinnert sich Saga-Sprecher Michael Ahrens. "Erst als sie im Laufe der fortschreitenden Umquartierung sahen, dass wir unsere Zusagen auch wirklich einhielten, konnten am Ende, nach vielen langen und intensiven Gesprächen, schließlich alle Mieter für die Umstrukturierung des Viertels gewonnen werden."
Auf dem Spielbudenplatz auf St. Pauli herrscht im Kampf um die Esso-Häuser zurzeit fast die gleiche Situation: So heißt es im jüngsten Manifest der Initiative für den Erhalt dieser sanierungsbedürftigen Mietshäuser vom 10. Juni 2013 unter anderem: "Gerade weil St. Pauli zunehmend mit Event-Architektur zugestellt wird, meinen wir: Es darf keinen Abriss auf diesem Schlüsselgrundstück geben! Sanierung im Bestand ist angesagt! (...) In Hamburg etwa zeigen die geplanten Abrisse der Wulffschen Siedlung in Langenhorn oder des Rotklinker-Ensembles am Elisabethgehölz in Hamm, dass die Politik gerne den Wasserträger macht, wenn Eigentümer Stadtgeschichte schleifen und auf die gewachsenen Strukturen pfeifen."
Aufwertung = hohe Mieten = Gentrifizierung? Neu bauen? Oder sanieren und erhalten? Gentrifizierungsgegner fühlen sich offenbar generell (und stellvertretend für alle Betroffenen) in ihrer Existenz bedroht, während die Profiteure solcher Prozesse ihre damit erhofften Gewinnerwartungen mit Klauen und Zähnen verteidigen. Dieses Bild vermitteln sie selbst. "Die Arbeit mit dem Bestand bringt im Zweifel immer das spannendere, dichtere Ergebnis. Weil die Gebäude nämlich schon ein Profil haben, weil sie Geschichte in sich tragen", schreibt die Esso-Häuser-Initiative weiter.
Das kann man auch "Romantisierung" nennen. Sie hat jedoch ihre (große) Berechtigung, denn in der Diskussion um die sozialen Veränderungen und Verschiebungen in Stadtteilen kommen Gefühle, aber auch Beweggründe wie Erinnerungen oder Heimatverbundenheit, häufig zu kurz. Sowie ganz profane Dinge wie zum Beispiel (doppelte) Umzüge (in Ausweichquartiere und wieder zurück), die für Senioren zumeist eine enorme Belastung darstellen: Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
Fakt ist, dass Neubauten vom Staat höher bezuschusst werden als Sanierungen. Was Neubauten für Investoren in der Regel interessanter macht. Und wenn dann auch noch ein deftiges Wahlversprechen umgesetzt werden muss, bleibt der Erhalt häufig auf der Strecke - wie etwa in Hamm, wo über einem idyllisch gelegenen, aber stark sanierungsbedürftigen Backsteinbau am Elisabethgehölz bereits die Abrissbirne kreist. Die VHW-Genossenschaft, Eignerin der 122 Wohnungen, die zum Schluss für durchschnittlich 4,50 Euro pro Quadratmeter (kalt) vermietet wurden, habe sich von Anfang nicht kompromissfähig gezeigt, klagen die Mitglieder der "Rettet Elisa"-Initiative. Die "runden Tische" seien "eine Farce" gewesen, da die Entscheidung für den Ersatzneubau schon vorher gefallen sei. Nur noch rund 45 Mietparteien wohnen inzwischen in dem "Geisterhaus". Der bewusste Leerstand nagt unerbittlich an der Grundsubstanz, andererseits gingen der Genossenschaft bisher Einnahmen im hohen sechsstelligen Bereich verloren, und kaum jemand im Quartier begreift, warum die Genossenschaft nicht wenigstens Zeitmietverträge für Studenten vergibt. VHW-Vorstand Marco Hahn verteidigt die harte Linie gegen die Sanierung des Häuserblocks, der bei oberflächlicher Betrachtung schutzwürdig ist. Doch das zuständige Denkmalschutzamt sah es trotz des schwelenden Niedergangs der Hamburger Backsteinkultur anders. "Die schlechte Bausubstanz und die damit verbundenen Sanierungskosten, die über denen eines Neubaus liegen, verhindern eine sinnvolle Sanierung", sagt Hahn, wissend, dass dieser Plan in der Politik, dem Bezirksamt, der Stadtentwicklungsbehörde sowie unter den Experten der honorigen Fritz-Schumacher-Stiftung auch äußerst umstritten ist. Auch Oberbaudirektor Jörn Walter hatte bis zuletzt vergeblich für einen Teilerhalt des Backsteinensembles geworben: "Aus meiner Sicht sollte und könnte ein Kompromiss zwischen den sozialen, wirtschaftlichen und gestalterischen Aspekten in einem Ersatzneubau der 50er-Jahre Gebäude und aus der Erhaltung und Sanierung der 20er-Jahre-Gebäude bestehen."
Im Fall der "Elisa" gibt es ebenso viele Ungereimtheiten wie Argumente. Vermutlich wurden vorschnell Fakten geschaffen, jetzt droht der Gesichtsverlust für denjenigen, der den Rückzieher macht. Diese komplizierte Gemengelage ist geprägt von Misstrauen, Zorn und fassungslosem Unverständnis. "Vor allem deswegen, weil 122 preisgünstige Wohnungen abgerissen werden, um etwa 80 neue, wenn auch größere Wohnungen zu schaffen", argumentiert Corinna Gülzow, die seit 17 Jahren hier wohnt. Aber das schöne wohl die Neubaustatistik des Ersten Bürgermeisters. Die Lehrerin zahlt erstaunlich wenig Miete, nur 3,80 Euro netto pro Quadratmeter, aber sie wäre - wie alle anderen Noch-Mieter - bereit, auch sieben Euro abzudrücken.
Dafür gäbe es mehr Komfort, eine Zentralheizung zum Beispiel; damit ließe sich die Sanierung problemlos finanzieren, rechnet der Hamburger Architekt Joachim Reinig vor, der die widerspenstigen Mieter fachlich berät. "Ursprünglich hatte die VHW den Neubau sogar frei finanzieren wollen, was Mieten von mehr als zwölf Euro pro Quadratmeter und eine Verdrängung sozial schwächerer Bewohner zur Folge gehabt hätte", sagt er, "und da muss man schon mal kritisch nachfragen, ob das dem Wesen einer gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft entspricht!"
An diesem Punkt ruderte die VHW bereits zurück: "Für alle bisherigen Bewohner wird die Miete von heute durchschnittlich 4,50 Euro auf 5,90 Euro pro Quadratmeter monatlich steigen", sagt Hahn. Im Fokus stünden vor allem sowohl Familien als auch Singles und Paare, die über geringe bis mittlere Einkommen verfügten. "Für alle neuen Bewohner gelten die Mieten des ersten bzw. zweiten Förderweges. Die Größen der zukünftigen Wohnungen orientieren sich zwangsläufig an den Förderrichtlinien." Wer später also eine Wohnung im Neubau ergattert, muss sich wohl auf knapp zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter einstellen, denn nicht nur der Hamburger Mietenspiegel dürfte steigen, sondern auch das Bauen ist teurer geworden: Tiefgaragen oder eine Stellplatzabgabe, hinzu kommen zahlreiche energetische Auflagen; das kostet nun mal, niemand hat Geld zu verschenken, und die Investoren und der Staat schon gar nicht.
So werden die Mieten wohl steigen in Hamm, einem Stadtteil, der bis vor Kurzem noch mit langweilig und spießig beschrieben wurde - doch von den Neuankömmlingen plötzlich als "so herrlich normal", "so grün und ruhig" dargestellt wird und deswegen "stark im Kommen ist". Vor allem aber sind in diesem eigentlich sehr zentral gelegenen Viertel, das im Krieg fast völlig zerstört und dann hastig wieder aufgebaut wurde, die Mieten (noch) moderat, die Verkehrsanbindung prima. Außerdem ist die durchschnittliche Größe der Wohnungen für eine "Single-Stadt" wie Hamburg geradezu maßgeschneidert.
"Die Bevölkerungsstruktur von Hamm verändert sich rapide, weil im Stadtteil zurzeit viel passiert, viel gebaut wird und neue Läden aufmachen", sagt die Gastronomin Justyna Kitowski, die am Hasselbrooker S-Bahnhof das Café Klassenraum und seit ein paar Wochen auch den Eissalon Nachsitzen betreibt. "Ich stelle jetzt Blümchen auf die Tische, die anderen Gastronomien machen es nach, und so ziehen wir uns dann gegenseitig weiter nach oben."
Justyna Kitowski fühlt sich ein wenig als Vorreiterin. Vor knapp zwei Jahren hat sie allein angefangen. Inzwischen arbeiten schon neun Angestellte auf Stundenbasis für sie, fast alle 20 Tische draußen sind besetzt, das Publikum - Jung und Alt - ist gemischt. Aber wie lange noch?
Gentrifizierungsprozesse haben anscheinend immer denselben Ablauf: Sie beginnen mit der Eroberung eines wenig beachteten oder auch heruntergekommenen Stadtteils durch junge Leute, die von den geringen Mieten angelockt werden. Plötzlich wirkt das Viertel belebt, eine alternative Kunstszene etabliert sich, macht es bunt und quirlig. Die ersten "Szene-Gastronomien" eröffnen zeitgleich mit kleinen Geschäften. Spätestens jetzt rauschen die besser verdienenden "Gentrys" an, in ihrem Fahrwasser die Investoren, vom Ufer aus greift nun auch die Politik ins Geschehen ein, die den überraschenden Zugewinn an dringend benötigtem Wohnraum feiert. Zu diesem Zeitpunkt verlassen die Entdecker das Viertel bereits wieder. Oder müssen es verlassen, weil die Mieten wegen der erhöhten Nachfrage steigen. Dann sind die Gentrifizierungsgegner am Zug ...
"Gentrifizierung bedeutet eine unglaublich emotionale, hochselektive Diskussion", stellt Dieter Läpple fest, Professor für Stadtentwicklung an der HafenCity Universität, ein international hoch geachteter Mann, der über jeden Verdacht erhaben sein sollte, einer bestimmten Interessengruppe zu dienen. Die Zukunft liege in der Stadt, sagt er, denn junge Familien träumten inzwischen nicht mehr zwingend von der Doppelhaushälfte im Grünen, sondern von kürzeren Wegen zum Arbeitsplatz, von attraktiven Kultur- und Freizeitangeboten, von optimaler medizinischer Versorgung und einer kinderfreundlichen Umgebung. "Die "Re-Urbanisierung" ist in vollem Gange, prophezeit Läpple, "aber so entsteht ein 'Kampf um Raum'. Jetzt rächt es sich, dass in den vergangenen Jahrzehnten viel zu wenig gebaut wurde." Einschränkend fügt er hinzu: "Die Diskussion beschränkt sich hauptsächlich auf die 'Latte-macchiato-Stadtteile'. Darüber hinaus glauben wir aber, der Kampf gegen die Gentrifizierung sei das Wichtigste. Aber in Wahrheit geht es um die Bekämpfung von Armut und das Verhindern des sozialen Auseinanderdriftens der Stadtgesellschaft."
Diese "Latte-Macchiatoisierung", sagt auch Jutta Blankau, beschreibe das Phänomen recht gut. "Wo viel Latte macchiato getrunken wird, steigen nicht selten die Mieten, neue Bewohner verdrängen die Alteingesessenen, der gesamte Stadtteil verändert sich." Aus gesamtstädtischer Sicht sei aber weniger die Verdrängung von Einzelpersonen als problematisch anzusehen als vielmehr eine Veränderung; nicht nur im betroffenen Stadtteil, sondern auch in anderen Stadtgebieten. "Problematisch wird es, wenn sich in einzelnen Stadtteilen und Quartieren unterschiedliche soziale Problemlagen häufen und in der Folge der Stadtteil aufgrund einer negativen öffentlichen Wahrnehmung zu einer zusätzlichen Quelle der Benachteiligung von Menschen wird."
Besonders heftig prallen die Welten von Arm und Reich am prächtig umgestalteten Hansaplatz aufeinander. Vorm Asia-Imbiss bekämpfen einige zerknitterte Ureinwohner des Viertels ihren stechenden Durst mit Dosenbier, auf dem Sockel des Brunnens sitzen wie schon seit jeher diejenigen, die sich nicht einmal Dosenbier leisten können, im Restaurant Traumzeit ordern drei schick gekleidete Frauen im besten Alter Latte macchiato mit Sojamilch.
Im Hauseingang Nummer 7 wacht ein Zivilfahnder über die Einhaltung des Kontaktverbots zwischen Freiern und Prostituierten, und oben auf einer Fensterbank in der ersten Etage desselben Hauses sitzt Lukas Kaczmarczyk, 32, der seit Januar dieses Jahres hier wohnt, und guckt entspannt über die Szenerie. Er studiert Betriebswirtschaft, die 130-Quadratmeter-Wohnung gehört den Eltern seiner Freundin. Die reguläre Nettokaltmiete für dieses Objekt beträgt nach Auskunft des Maklers 1900 Euro. Er sei "selbstverständlich absolut zufrieden" mit seiner Wohnsituation, sagt Lukas, aber er sei keiner, der das Stadtbild in St. Georg durcheinanderbringt. "Ich störe hier niemanden. Mir hat noch niemand irgendwas Böses entgegengebracht. Die Leute sehen ja, dass ich hier wohne, und sie lassen mich in Ruhe."
In diesem Moment kommt sein Etagennachbar, der Maschinenbauingenieur Stephen Keochakian, 51, ein gebürtiger Amerikaner mit persischen Wurzeln, von der Arbeit nach Hause. Er ist Abteilungsleiter eines internationalen Schiffsklassifizierers und zog ebenfalls im Januar in die Hausnummer 7 ein. Von Gentrifizierung will er nichts wissen: "Man muss erst mal klarstellen, dass dieses Gebäude jahrzehntelang nicht als Wohnraum zur Verfügung gestanden hat." Jetzt sei es eine Oase mitten in der Stadt. "Das Haus steht unter Denkmalschutz und ist in seinen Originalzustand zurückversetzt worden. Solche Objekte können dann vielleicht nicht für eine bestimmte Bevölkerungsschicht reserviert bleiben", meint er vorsichtig. Aber es sei eine positive Weiterentwicklung für den Stadtteil: "In New York, Paris oder Berlin ist Premium-Wohnraum in einer guten Lage mit hervorragender Infrastruktur doch auch nichts Ungewöhnliches."
Seit Februar 2012 gilt in St. Georg eine "soziale Erhaltungsverordnung", kurz Milieuschutz. Luxussanierungen oder Umwandlungen von Miet- zu Eigentumswohnungen stehen nun unter Genehmigungspflicht. Für viele kam diese staatliche Regulierungsmaßnahme zwar zu spät, doch aus dem Bezirksamt Mitte verlautet: "Wir können bereits sehen, dass die Maßnahme dämpfend wirkt."
Die drei Freundinnen vorm Traumzeit betrachten die Entwicklung des Viertels mit gemischten Gefühlen. Sie alle haben schon hier gewohnt, als auf dem Hansaplatz noch gedealt wurde. Eine von ihnen, sie ist Schauspielerin und möchte ihren Namen nicht preisgeben, vermisst die Vielseitigkeit, die St. Georg bis vor Kurzem ausgezeichnet habe. "Es wird immer weniger bunt. Auf der Langen Reihe gibt es nur noch Weinläden, Handyshops und Restaurants." Ihre Miete, sagt sie, sei in den vergangenen neun Jahren jedoch nicht signifikant gestiegen, obwohl es hier praktisch keine freien Mietwohnungen mehr gebe. "Offene Feindseligkeiten" zwischen den alten und den neuen Bewohnern habe sie noch nicht beobachten können, höchstens ein "bisschen Argwohn". Sie sorge sich um die "Gay-Community": "Vor allem die Schwulen haben doch St. Georg erst zu dem attraktiven Stadtteil gemacht, der er heute ist, doch jetzt wird er für viele zu teuer. Dabei wollten die Familien früher nicht hierherziehen: Aber jetzt, wo es sauber und sicherer ist, stehen sie vor der Tür." Letztlich, seufzt sie, sei wohl jede Aufwertung eines Stadtteils ein zweischneidiges Schwert.