Hamburg. Sänger Tom Chaplin kämpfte lange mit seiner Drogensucht, jetzt begeisterte die Band das Publikum im ausverkauften Open-Air-Areal.
Als Tom Chaplin den Song anstimmt, weiß er, dass er seinen Job an diesem Donnerstagabend getrost dem Publikum überlassen kann. Er streckt das Mikro den Fans im ausverkauften Stadtpark entgegen, die singen textsicher die letzten Strophen von „Somewhere Only We Know“.
Vor 20 Jahren stürmte die britische Band Keane mit diesem Hit die Charts, ihr Debütalbum „Hopes and Fears“ gewann zwei Brit-Awards und verkaufte sich weltweit 5,8 Millionen Mal. Die Videos aus jener Zeit zeigen einen ziemlich pummeligen Chaplin, der mit gerade 25 Jahren etwas unbeholfen den Leadsänger gibt. Im Stadtpark tänzelt nun ein drahtiger Mittvierziger selbstbewusst in weißen Sneakern auf der Bühne. Er klatscht mit den Zuschauern ab und fordert sie immer wieder zum Tanzen und Singen auf: „Lasst uns eine Party feiern.“ Chaplin witzelt über seine Gesundheit („Hoffentlich machen meine Knie das mit“) und flirtet mit seinen Fans.
Keane im Stadtpark: Ein Wunder, dass es diese Band noch gibt
Dass man diese Bilder überhaupt übereinanderlegen kann, gleicht einem mittleren Wunder. Bereits 2006 ließ sich Chaplin nach Drogen-Exzessen in eine Entzugsklinik einweisen. Die Band musste Auftritte absagen, bei einer Tour durch Japan stieg Chaplin einfach in das nächste Flugzeug, ohne seine Mitstreiter zu informieren. Der Rückfall 2012 kostete ihn beinahe das Leben. „Ich war auf der Fahrt in ein Höllenloch“, hat Chaplin einmal gesagt. Verarbeitet hat der Familienvater den Kampf gegen seine Dämonen in mehreren Solo-Projekten: „Der einzige Weg, wieder gesund zu werden, war der, sehr offen und verletzbar zu werden.“
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Womöglich klingen die Dankesbezeugungen an diesem Abend gerade deshalb ehrlicher als sonst in der Szene. „Wir sind so dankbar, dass ihr gekommen seid“, sagt Chaplin gerührt. Zum Glück hat seine Stimme die Süchte unbeschadet überstanden, auch die Höhen bei Songs wie „She Has No Time“ meistert er problemlos.
Stadtpark Open Air: 100 Minuten Klavierpop und Weltschmerz pur
Chaplin liefert mit seinen einstigen Schulfreunden Tim Rice-Oxley (Keyboard) und Richard David Hughes (Schlagzeug) sowie dem Gitarristen Jesse Quin, der 2011 zu Keane stieß, 100 Minuten Klavierpop und Weltschmerz pur. Wer einen derart charismatischen Leadsänger hat, braucht weder eine bombastische Lichtshow noch Video-Einspieler. Mit der Zugabe „Bedshaped“ verabschiedet sich Keane an diesem Abend. „Viele Leben haben wir jeden Tag durchlebt. Und zusammen vergraben“, heißt es in dem Song. Passt.