Salzburg. Ein Gespräch mit Intendant Markus Hinterhäuser über die Debatte um Teodor Currentzis, das Programm und das Hamburger Opernhaus.

Die Salzburger Festspiele 2024 stehen noch im Startblock. Die ersten Konzerte der „Ouverture spirituelle“ sind gelaufen, der lokalheilige Klassiker „Jedermann“, neu inszeniert und mit Philipp Hochmair in der Titelrolle, kam gut an. An diesem Wochenende beginnt das Hauptprogramm. Inzwischen ist klar, dass Markus Hinterhäuser weiter als Intendant im Amt bleiben wird, bis mindestens 2029. Klar ist auch, dass er auch weiterhin mit großen Problemen zu tun haben wird. Von diesem Herbst an und bis 2030, so zumindest der Plan, sollen die Festspielhäuser saniert und erweitert werden, momentan rechnet man mit Gesamtkosten von rund 400 Millionen Euro.

Und dann sind da noch andere Krisenbaustellen, eine akute und eine schon mehrjährige: die Debatten um die programmatischen Qualitäten – und um die Haltung des Intendanten zur Haltung des Dirigenten Teodor Currentzis zu Putins System. Sowohl Zigaretten als auch Schokolade kommen als Nervennahrung beim Gespräch in Hinterhäusers Büro zum Einsatz.

Ihr Vertrag ist jetzt zum dritten Mal verlängert worden. Warum?

Ich habe mir diese Bewerbung alles andere als leicht gemacht. Ich halte mich weder für unersetzlich, noch bin ich ein Sesselkleber. Bei meinem Nachdenken über eine mögliche Bewerbung spielte die Zukunftsperspektive, nicht auf mich, sondern auf die Salzburger Festspiele bezogen, eine nicht unwesentliche Rolle. Wir stehen vor einem gewaltigen Umbau, einer Generalsanierung, einer Erweiterung der Festspielhäuser. Das wird wahrscheinlich die größte Herausforderung in der jüngeren Festspielgeschichte. Meine Bewerbung war mehr eine Frage und ein Angebot ans Kuratorium: Wenn ihr das Gefühl habt, ich kann hilfreich sein, mache ich das von Herzen gern. Wenn nicht, ist das für mich vollkommen in Ordnung. Und ich habe mir eine Ausstiegsklausel hineingebeten. 2029 können wir – im beiderseitigen Einvernehmen – die Geschichte beenden. Was man programmatisch machen kann, wird sich wohl oder übel nach den Gegebenheiten des Umbaus zu richten haben.

„Die größte Herausforderung in der Festspielgeschichte“

Sanierung ist das eine, programmatische Impulse sind das andere. Die ersten großen Termine hier sind 2024: eine Matthäuspassion, die kalendarisch verkehrt ist, das Update einer Inszenierung von 2021, eine konzertante Oper. Das ist jetzt nicht der ganz große Aufschlag.

Was wäre denn der große Aufschlag?

Eine richtige Premiere.

Entschuldigung, aber eine richtige Premiere, das habe ich sieben Jahre gemacht. Eine kalendarische Berechtigung für eine Matthäuspassion erschließt sich mir überhaupt nicht. Dann dürfte man von der Jahreszeit her im Sommer keine „Winterreise“ spielen. Eine Wiederaufnahme an den Anfang zu setzen, bringt mich in gar keine Verlegenheit. Es handelt sich immerhin um den „Don Giovanni“, in einer Inszenierung von Romeo Castellucci, die ich als großes Kunstwerk erachte. Eine Inszenierung, der ich noch mal eine Nachdenkmöglichkeit gegeben habe. Mich interessiert das Ergebnis sehr und ich wüsste überhaupt nicht, was daran „unanständig“ sein sollte, dass ich das an den Anfang setze. Eine Oper wie „Capriccio“ von Richard Strauss, immerhin mit Christian Thielemann und glänzender Besetzung als Möglichkeit, die Festspiele zu eröffnen, bringt mich auch in keine Verlegenheit. „Capriccio“ ist nicht eine Oper, die zwingend nach einer Inszenierung schreit. Manchmal möchte ich bestimmte Stücke haben, bestimmte Konstellationen von Künstlerinnen und Künstlern. In diesem Sommer waren halt einige Konstellationen zu Beginn der Festspiele nicht realisierbar. Nächstes Jahr wird es das wieder geben.

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Sie haben 2016 hier begonnen, sind jetzt bis 2029 oder 2031 verlängert, dann sind Sie 71 bis 73 und 13 bis 15 Jahre im Amt. In Bayreuth läuft Katharina Wagners gerade verlängerter Vertrag bis 2030. Sie ist dann 52 und ebenfalls 15 Jahre im Amt. Was sagt das über die Champions League der Klassik-Festspiele aus, dass Leute so lange auf diesen Posten sitzen?

Ich verstehe Ihre Frage nicht. Gerade habe ich versucht Ihnen zu erklären, dass für mich zehn Jahre mehr als genug gewesen wären und ich dem Kuratorium ein Angebot gemacht habe. Es geht nicht darum, dass man eine Art Job-Hopping in einer solchen Institution veranstaltet. Glauben Sie mir, es ist wirklich nicht ganz einfach, die Festspiele zu leiten und es wird verdammt problematisch, sie in einer 80.000-Quadratmeter-Baustelle zu leiten. Diese Baustelle wird ja nicht ein Jahr oder zwei Jahre Festspielrealität sein, sie wird sechs Jahre dauern.

„Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich hier lauter publikumswirksame Blockbuster bringe“

Festspiele leben von Kontinuität in den längeren Linien, andererseits aber auch von immer wieder neuen Impulsen, neuen Regisseuren beispielsweise.

Ich weiß nicht, warum es diese Gier nach ständig Neuem oder vermeintlich Neuem gibt. Ich habe überhaupt kein Problem, Regisseure wie Krzysztof Warlikowski oder Romeo Castellucci immer wieder einzuladen – allein schon deshalb, weil sie die Fähigkeit haben, die Dimensionen der Häuser zu bewältigen. 2025 wird es schon die ersten neuen Konstellationen geben, 2026 die nächsten. Zu glauben, dass die Festspiele eine größere innere Vitalität haben, wenn man jedes Jahr so tut, als würde man das Rad neu erfinden, erschließt sich mir überhaupt nicht. Man sollte auch mal zur Kenntnis nehmen, dass wir Karten verkaufen müssen. Die Subventionen machen nicht mal ein Viertel unseres Etats aus. Im letzten Jahr hatten wir eine Auslastung von 98,5 Prozent. Ich glaube nicht, dass man mir vorwerfen kann, hier ausschließlich publikumswirksame Blockbuster zu bringen. Martinůs „Die griechische Passion“, der größte Erfolg des letzten Sommers, wer kennt das? Ganz ehrlich, niemand. Weinbergs „Idiot“ ist zuvor genau dreimal aufgeführt worden. Das Interesse am „Spieler“ von Prokofjew ist gigantisch. Ausverkauft. Das Interesse am „Idiot“ ist gigantisch. Ich muss mich auch verteidigen können. Die Beurteilung, was die Festspiele betrifft, ist manchmal schon etwas sehr läppisch. Ich bitte einmal wirklich differenziert auf dieses Programm zu schauen und nicht irgendwelchen Pawlowschen Reflexen zu folgen.

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Markus Hinterhäuser:„Festspiele sind ein Nachdenken über die Welt“

Erstklassisch mit Mischke

Teodor Currentzis, der wegen seiner unerklärten Haltung zu Putin, dessen Regime und dessen Angriff auf die Ukraine umstritten ist, hat die Matthäuspassion dirigiert und leitet nun auch wieder den „Don Giovanni“. Kürzlich gab es Meldungen, dass man ihm und seinen Ensembles in St. Petersburg für 850 Millionen Euro ein Konzerthaus bauen wolle. Hat das Ihre Einstellung zu ihm geändert, und dazu, dass Sie ihn hier haben und weiter haben möchten?

Über das Konzerthaus weiß ich so gut wie nichts. Darüber möchte ich mich nicht äußern. Über Currentzis möchte ich mich sehr wohl äußern. Ich mache mir überhaupt keine Vorwürfe, dass ich in den letzten Jahren an ihm festgehalten habe. Wir müssen wirklich fair sein. Ich habe von ihm nie eine Äußerung gehört, die irgendwie eine Sympathie für Putin, für dieses autokratische System, für den Angriffskrieg hätte. Das sage ich nicht, weil ich es in der Zeitung gelesen habe, sondern weil ich mit ihm gesprochen habe. Seit zweieinhalb Jahren wird mit dem Finger auf Currentzis gezeigt. Das ist wirklich ermüdend. Noch mal, es gibt keine Kollektivschuld. Currentzis, ich kann es nicht oft genug sagen, hat ein Instrument, sein Orchester, seinen Chor, die leben in St. Petersburg. Wir haben das Privileg, niemals in einem autokratischen System gelebt zu haben, niemals unter solchen Bedingungen leben und arbeiten zu müssen.

SALZBURGER FESTSPIELE 2022: FOTOPROBE ?HERZOG BLAUBARTS BURG? / CURRENTZIS
Dirigent Teodor Currentzis während einer Fotoprobe 2022 in der Salzburger Felsenreitschule. © picture alliance / BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com | Barbara Gindl

„Ich verteidige mein Vorgehen mit Currentzis zu 100 Prozent“

Andernorts wurde er inzwischen ausgeladen, beziehungsweise wird zukünftig nicht mehr eingeladen.

Ich verteidige mein Vorgehen mit Currentzis zu 100 Prozent. Würde ich über seine eigene, sehr persönliche Einstellung etwas merkbar anderes erfahren, würde ich möglicherweise auch meine Einschätzung ändern. Aber dieses Canceln – sobald uns etwas nicht passt, muss jemand mit einem Berufsverbot belegt werden und muss von der Bildfläche verschwinden, damit wir uns selber auf die Schulter klopfen können, wie toll, wie moralisch wir sind – das funktioniert bei mir nicht.

Themenwechsel: Klaus Michael Kühne, der auch hier in Salzburg die Festspiele mitfördert, möchte der Stadt Hamburg gern einen Staatsoper-Neubau zukommen lassen.

Das habe ich in der Zeitung gelesen, sowohl von dem Plan als auch von den Widerständen, die es gibt. Mehr weiß ich nicht darüber, und ich habe keine Meinung dazu, weil ich die Situation in Hamburg zu wenig kenne. Das Einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich das Hamburger Opernhaus allein von der Anmutung her wahnsinnig schön finde.

Die Reise nach Salzburg wurde unterstützt von den Salzburger Festspielen.