Hamburg. Der Bestsellerautor eröffnet mit einem Sachbuch zur Klimakrise das Harbour Front Literaturfestival – und gibt eine Wahlempfehlung ab.
Es ist natürlich eine kluge Entscheidung, mit der Rettung der Welt in Hamburg zu beginnen. Aus lokalpatriotischer Sicht sowieso – und auch Unentschlossenen pinselt das Universum am Donnerstag einen derart spektakulären Sonnenuntergang flussabwärts in den Abendhimmel, dass der, von der Elbphilharmonie-Außenplaza aus betrachtet, wie ein zusätzlicher Ansporn wirkt: Ganz schön schön hier, oder? Nicht leichtfertig aufgeben! Zumal, wenn die Herkulesaufgabe so unterhaltsam daherkommt wie dieser Abend – der ja eigentlich „nur“ Auftakt eines Literaturfestivals ist, aber direkt Grundsätzliches verhandelt: „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“
So lautet er, der gar nicht mal so subtile Titel des neuen (Sachbuch-)Bestsellers von Eigentlich-Thriller-Autor Frank Schätzing, der ebenfalls in Hamburg spielt. Und was heißt schon „nur Literatur“. Kann Kultur etwa nicht Leben retten? Unbedingt, meint Senator Carsten Brosda natürlich schon qua Amt und zitiert zur Eröffnung des 13. Harbour Front Literaturfestivals im Kleinen Saal der Elbphilharmonie nicht bloß ein bisschen Goethe, sondern auch Schätzing, bevor der selbst die Bühne entert: Mit mieser Laune schaffe man jedenfalls keine bessere Welt!
Frank Schätzing unterbrach Thriller für Buch über Klimawandel
Weshalb sich Frank Schätzing im weiteren Verlauf daranmacht, bis an die Zähne mit Fakten bewaffnet „die Komplexität der Klimakrise zu entwirren“ und trotzdem keine Flapsigkeit, keine Stichelei und keine Pointe am Wegesrand liegen zu lassen. Darunter auch böse, versteht sich, wenn er sein Publikum zum Beispiel auffordert, sich „spaßeshalber“ vorzustellen, was passiert, wenn der Grönländische Eisschild abschmilzt. Lustig wird das nämlich überhaupt nicht: „Wenn der Golfstrom stoppt, kriegen Sie den nicht mehr angeworfen.“
330 Seiten („Für meine Verhältnisse eine Novelle“) widmet Schätzing dem entscheidenden Thema unserer Zeit – und vor allem der Zukunft: dem Klimawandel. Er hat dafür ein verabredetes Thriller-Manuskript buchstäblich mitten im Satz unterbrochen, „da stand sogar noch ein Komma – und dann nichts mehr“. Weil es Existenzielleres gibt und weil dieses Buch (erschienen bei Kiepenheuer & Witsch) den Möglichkeiten des Schreibenden entspricht, etwas zu tun. „Ich glaube, das Weiterdelegieren der Verantwortung, also: wer die Krise zu lösen hat – das ist unsere größte Krise.“
Harbour Front Literaturfestival hat Klima-Schwerpunkt
Auch das Harbour Front Literaturfestival widmet dem Thema in diesem Jahr einen Schwerpunkt, nicht bloß mit der Eröffnung, sondern gleich mit einer ganzen Reihe: Neben „Harbour Front Sounds“ gibt es nun auch „Harbour Front Future“. Und neben zahlreichen zu erwartenden Schriftstellerinnen und Autoren wie Alina Bronsky, Heinz Strunk, Jenny Erpenbeck, Uwe Timm, Sven Regener oder Moritz Rinke sowie Musikern und Musikerinnen wie Wolfgang Niedecken (der sich zudem Bob Dylan widmet), Anna Prohaska oder Annette Dasch, sind auch Gäste wie der Klimaforscher Mojib Latif, die Aktivistin Luisa Neubauer, die Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Maja Göpel oder der Moderator, Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen eingeladen.
„Literatur kann motivieren, sie setzt uns Visionen in den Kopf“, hatte Festival-Chefin Petra Bamberger zur Begrüßung erklärt. Und Frank Schätzing teilt diesen durchaus aktivistischen Ansatz: „Wenn Menschen nicht mehr sehen, dass sie einen Gestaltungsspielraum haben, dann haben wir schon verloren.“ Ziemlich genau 7,7 Milliarden Einzelindividuen gilt es zu überzeugen, und leider hängt ja immer alles mit allem zusammen. Was die ganze Angelegenheit einerseits zwingender, andererseits eben auch komplexer macht. „Und Angst machen uns Dinge, die wir nicht verstehen.“
Schätzing rief zur Wahl der Grünen auf
Noch vor wenigen Monaten hatte Frank Schätzing, der seine Dusche als seine Denkstube bezeichnet („Nach dem Duschen bin ich schlauer als vorher“), erklärt, er sei überparteilich. Inzwischen zitiert der gebürtige Kölner in dieser Hinsicht gelassen einen anderen Rheinländer, Konrad Adenauer nämlich: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“
Und so führt in diesem Fall ausgerechnet Adenauer zu Baerbock: Frank Schätzing gehört – wie Sven Regener, Moritz Rinke, Bela B. Felsenheimer von den Ärzten, Judith Holofernes, Leander Haußmann und andere prominente Unterzeichner – zu einer Gruppe von Kulturschaffenden, die kürzlich mit einem offenen Brief zur Wahl der Grünen aufgerufen haben.
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Das abgebrochene Thriller-Manuskript hat Schätzing übrigens mittlerweile wieder zur Hand genommen, auch wenn er trotz hartnäckiger Versuche des Moderators Stefan Schmitt partout das Thema nicht verraten mag. Lieber gibt er seinem Publikum eine Antwort auf die Ausgangsschlüsselfrage mit nach Hause: Was, wenn wir einfach die Welt retten? Natürlich könne niemand „einfach“ die Welt retten. „Aber“, sagt Frank Schätzing, „man kann es einfach beschließen. Es ist eine Frage der Haltung.“