Hamburg. Der erste neue Roman nach dem Riesenhit: „Der Brand“ erzählt souverän und lesenswert von einer Ehe, die am Scheideweg steht.
Man kommt nicht umhin, beim Lesen dieses unaufgeregt geschriebenen und trotzdem intensiv zu lesenden Romans über das Alter nachzudenken. Das Alter an sich und ganz konkret: Wann ist man das, „alt“? Wann ist man jung? Ist man, schnarch, immer so alt, wie man sich fühlt? Und gibt es das eigentlich, den Fluch der allzu frühen Verheiratung?
Auf letzteres könnte man gar zu leicht kommen, wenn man auf Rahel und Peter blickt. Sie ist Ende 40, er Mitte 50. Sie sind seit fast 30 Jahren verheiratet, da gibt es Verpuffungen, Schwund, Verlustanzeigen. Aber man ist noch jung genug, um etwas vom Leben zu wollen. Nicht nur etwas, sondern eher sogar: ganz schön viel. Oder halt eher das Gegenteil davon.
Rahel vermisst die körperliche Liebe
Daniela Kriens Eheroman „Der Brand“ ist ganz dem Krisengeschehen zwischen Rahel und Peter gewidmet, Drei Wochen im Sommer, die beiden hüten den Hof einer Freundin, deren Mann nah am Tode in der Klinik ist, der schon bessere Tage gesehen hat. Peter kümmert sich um die Tiere, Rahel gießt die Pflanzen.
Man darf, freudianisch geschult, metaphorische Verbindungen ziehen. Was Rahel vermisst, ist die körperliche Liebe. Peter hat keine Lust mehr auf Sex, und das sagt er ihr auch. Während sie vor Begehren vibriert oder vor Frust, zieht er sich in sein Gemach zurück – das Haus ist groß genug für getrennte Schlafzimmer – und liest.
Ein Buch über schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen
Tag für Tag, unter genauer Observation der rhetorischen und sinnlichen Annäherungen und Abstoßungen, vollzieht Krien das Erleben ihrer Protagonisten nach. Man darf sie, die auch eine Könnerin ist, was die unaufdringliche Bildsprache angeht, eine beherzte Seelenerkunderin nennen: Kriens Roman „Die Liebe im Ernstfall“ war vor zwei Jahren ein gigantischer Verkaufserfolg und ist mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt. Jenes Buch widmete sich den Liebesschicksalen von fünf Frauen in Leipzig, und Kriens nun vorliegender Nachfolgeroman, ein sicherer Bestseller, operiert noch entschiedener an der Erzählfront des allzu Menschlichen.
Krien nimmt sich Zeit, die im Wohlstand und der Freiheit – die Kinder des Paares sind schon aus dem Haus – siedelnden Unwuchten darzulegen, die man zu gerne als „Luxusprobleme“ deklarieren möchte. Sympathien, ganz sicher aus der Haltung des empathischen, sich mal mehr, mal weniger schemenhaft in der Fiktion erkennenden Lesers, hat man größtenteils für beide Figuren.
Rahel ist eine herausragend enervierte Psychologin
Krien gibt ihnen plausible Prägungen und Charaktereigenschaften. Rahel, die Unerfüllte, ist eine herausragend enervierte Psychologin, der gerade die jüngeren Klienten mit ihren Narzissmen kolossal auf den Sack gehen: „Manchmal fragt sie sich, ob die ganze Psychologie nicht ein riesiger Irrtum ist – eine zeitgeistgemäße Bewertung gewöhnlicher Seelenzustände.“
Im Falle ihrer eigenen Tochter, der zweifachen Jungmutter Selma, ist Rahel am allerkritischsten. Wie überhaupt „Der Brand“ wie schon Alena Schröders „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ ein Text über schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen ist. Kriens Dresdener Bildungsbürgerpaar bekommt, es wird auf erzählökonomisch kluge Weise nur angerissen, eine historische Tiefe, wenn auf die Weltkriegsvergangenheit und die DDR-Jahre in den Biografien der Eheleute angespielt wird.
Sie lesen West-Zeitungen mit kritischem Blick, und namentlich Peter, der Germanist, setzt an zum totalen Rückzug von der Gegenwart: Nach einem Zwischenfall in einer Vorlesung – ihm fehlen die Antennen für die Bedürfnisse geschlechtlich unentschiedener (nicht-binärer) Menschen – kam es zum Shirt-storm gegen den im Zeitgeist verlorenen Hochschullehrer. In diesem Sinne ist „Der Brand“ ein pessimistischer Roman: Peters Rückzug ins Private ist die ihm einzige angemessene Reaktion auf die gesellschaftliche Realität.
Protagonisten sind auch mal blöd
Etwas konstruiert scheint dabei die Verbindung von beruflichem Kummer und gebremster Libido. Rahels wenig einfühlsame Reaktion auf die Kalamitäten des Gatten seien, wie er Rahel in einem ehrlichen Moment erklärt, der Auslöser seiner finalen Unlust gewesen. Krien meint es nicht immer gut mit dem lethargischen Mann, und als Leser gönnt man ihm in einem Anfall von Gehässigkeit, dass der auch zum Trübsinn neigende tranfunzelige Kerl mit seiner Frau bei einem notgedrungen anberaumten Filmabend ausgerechnet Lars von Triers „Melancholia“ glotzen muss.
Das ist wohl auch eine Stärke dieses Romans: Er lässt zu, dass man seine Protagonisten auch mal blöd findet. So ist die kapriziöse Selma, die die Bindungsprobleme ihrer Großmutter – die Genealogie der Mutterlinie ist ein Fluidum von Erfahrungen – reproduziert, eine Tochter, die man niemandem wünscht. Einerseits. Andererseits schafft es Krien, die psychischen Notlagen ihrer Figuren mit großer Sensibilität zu beschreiben.
Seinen Spannungsbogen bekommt der Roman aufgrund der Frage, ob die Ehe nun hält oder nicht. Und außerdem hinsichtlich einer anderen ungelösten Frage in Rahels Leben: Wer ist eigentlich ihr Vater? Der schicksalsträchtige Sommer in der Uckermark könnte darauf eine Antwort geben.
Daniela Krien stellt ihren Roman am 7. September im Literaturhaus vor.