Eine dreibändige Enzyklopädie beschäftigt sich mit den Theateradaptionen der Abenteuer von Winnetou und Co. Auch in Hamburg ein Erfolg.
Die „Berliner Volkszeitung“ attestierte Will Quadflieg einen eindrucksvollen Auftritt: „Wenn er lautlos auf die Bühne kam, war er jeder Zoll ein vom Tode gezeichneter Fürst seines Stammes.“ Das war am 25. Dezember 1938. Zwei Tage vorher hatte der aufstrebende Schauspieler, damals gerade 24 Jahre alt, an der Berliner Volksbühne Premiere gefeiert als Winnetou – für ihn eine „wunderschöne Rolle mit einem sehr vernünftigen und klar denkenden, menschlich denkenden jungen Indianer …“ Große Freude habe ihm das gemacht.
Will Quadflieg gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen mit Hans Otto und Paul Klinger zu den prominenten Karl-May-Darstellern. „Winnetou, der rote Gentleman“ war an der Volksbühne am Horst-Wessel-Platz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) ein Erfolg. Will Quadflieg erinnerte sich 1984 im Westdeutschen Rundfunk: „Das war damals ein so durchschlagender merkwürdiger Riesenerfolg, dass alle Mädchen und Jungs sich mit diesem jungen Winnetou identifizieren wollten…“
Erster Band der Enzyklopädie ist schon erschienen
Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke rollen nun in drei Bänden die Geschichte der Theaterinszenierungen mit Karl Mays Helden auf. Der erste Band ist unlängst erschienen und stellt Winnetou-Stücke in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie die Karl-May-Festspiele von Rathen über Ratingen bis Bad Segeberg in den Mittelpunkt.
Die Bühnengeschichte reicht zurück bis zu Karl Mays Lebzeiten (1842–1912), wobei die Autoren nach langen Recherchen einen offenbar lückenlosen Überblick über alle Karl-May-Inszenierungen im deutschsprachigen Raum geben. Und dabei präsentieren sie auch Kurioses: 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, wagte sich das Königliche Theater am Gärtnerplatz in München an einen Karl-May-Stoff und brachte eine „Burleske Operette“ in drei Aufzügen auf die Bühne: „Fräulein Rothaut“ behandelt die folgenschwere Romanze zwischen dem Reiseschriftsteller Eusebius Mayer und Winnetous Schwester.
Karl May auch in Hamburger Theatern
Die Apachen verfolgen ihn bis Dresden und zwingen ihn, seine Romane umzuschreiben. Die Kritik war bissig: Bezeichnend für den „Tiefstand der Operette von heute“, schrieb die „Salzburger Chronik für Stadt und Land“.
Auch Hamburger Theater wagten sich an Karl May. 1930 wurde am Operettenhaus, 1936 an der Schilleroper, 1940 und 2009 (als Lesung) am Thalia Theater, 1952 im Theater am Besenbinderhof inszeniert. Am 14. April 1940 hatte „Winnetou“ Premiere im Thalia Theater. Zunächst war es eine geschlossene Vorstellung für den Jugend-Veranstaltungsring, doch dann folgten 14 weitere Aufführungen für die Allgemeinheit. Walter Huberth gab den Old Shatterhand, Reinhold Nietschmann seinen Blutsbruder Winnetou, und in der Rolle des Sam Hawkens sahen die Zuschauer den späteren Thalia-Intendanten Willy Maertens.
Kiel zog nach Winnetou-Inszenierung in Hamburg nach
„Sam Hawkens und Dick Stone aber sind die eigentlichen Helden in diesem begeisternden Stück für die Jugend“, schrieb der „Hamburger Anzeiger“ nach der Premiere. Das NSDAP-Organ „Hamburger Tageblatt“ beschrieb die Inszenierung als „einen Heidenspaß für Gebildete und Ungebildete, für Alte und Junge, für Zuschauer und Spieler“.
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Nur vier Monate nach der erfolgreichen Winnetou-Inszenierung in Hamburg zog das Kieler Schauspielhaus mit „Winnetou“ nach. Eduard Cossovel übernahm die Titelrolle. Aber so richtig heimisch wurde der Apachen-Häuptling in Schleswig-Holstein erst zwölf Jahre später im nur 50 Kilometer entfernten Freilichttheater am Kalkberg in Bad Segeberg, als dort 1952 die Karl-May-Spiele Premiere feierten.
Karl-May-Spiele in Bad Segeberg: Erfolgsgeschichte
Damit nahm die Geschichte Fahrt auf. Denn die Wirkung der Indianer- und Orienterzählungen des produktiven Abenteuer-Schriftstellers entfalten sich erst so richtig mit echter Naturkulisse. Hunderttausende pilgern Jahr für Jahr zu mehr als zehn Freilichtbühnen im deutschsprachigen Raum, wobei die Erfolge in Bad Segeberg, im sächsischen Rathen und im sauerländischen Elspe herausragen. 2019 wurden in Bad Segeberg für die 72 Vorstellungen mehr als 400.000 Eintrittskarten verkauft – ein Rekordergebnis, das zeigt, wie beliebt die Karl-May-Spiele auch im digitalen Zeitalter noch sind.
Die wirklich erfolgreichste Saison aber liegt 69 Jahre zurück. Als sich am 16. August 1952 erstmals der imaginäre Vorhang für die Segeberger Winnetou-Festspiele hob, war der Andrang so groß, dass zu den 15 Vorstellungen 98.400 Besucher kamen. Durchschnittlich also 6560 Zuschauer pro Aufführung. Auch wenn diese Zahl heute nicht mehr erreicht wird: Dank Stars wie Alexander Klaws, Gojko Mitic, Erol Sander und einst Pierre Brice wurden die Spiele von Jahr zu Jahr erfolgreicher – und ein Ende der Erfolgsstory ist noch lange nicht abzusehen.
Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke: „Karl May auf der Bühne“ Karl May Verlag, 400 Seiten, 49 Euro