Hamburg. Manfred Honeck dirigierte ein Ersatzprogramm – jedoch ohne Geiger Ray Chen. Der konnte wegen Quarantänebestimmungen nicht einreisen.
Den Pianissimo-Paukenwirbel zu Beginn hört man nicht. Aber man sieht ihn, weil die Kamera draufhält. Das ist die neue Normalität: Das NDR Elbphilharmonie Orchester streamt sein Konzert aus dem bis auf die Bühne leeren Großen Saal. Keine Moderation, keine Pausenunterhaltung, einfach nur die Stücke hintereinanderweg, fertig.
Manfred Honeck, der zu Silvester 2018 beim Orchester mit einer äußerst beschwingten „Fledermaus“ bella figura gemacht hatte, dirigiert ein Ersatzprogramm. Auch das ist normal in diesen Zeiten. Der Geiger Ray Chen hätte Saint-Saëns‘ drittes Violinkonzert spielen sollen.
Geiger Ray Chen konnte nicht nach Hamburg reisen
Wegen der Quarantänebestimmungen konnte Chen nicht einreisen, für ihn ist die junge, hochdekorierte María Dueñas eingesprungen. Mit ihren zarten 18 lebt sie schon eine Weile nicht mehr bei ihrer Familie im andalusischen Granada; zurzeit studiert sie in Wien.
In die Elbphilharmonie hat Dueñas das erste Violinkonzert von Max Bruch mitgebracht. Ein echtes Repertoire-Schlachtross. Klar wäre das Saint-Saëns-Konzert interessanter gewesen, aber eine so junge Musikerin baut ihr Repertoire erst noch auf. Und Gassenhauer müssen ja nicht abgedroschen klingen.
Dueñas spielt Paganini-Caprice Nr. 5 als Zugabe
Dueñas jedenfalls wirft sich vorbehaltlos in das Stück. Ihre Mimik vollzieht jeden Stimmungswechsel mit, vor allem aber ist ihre innere Beteiligung an der Erregungskurve zu hören, die keinen Moment abfällt. Dueñas riskiert Nebengeräusche. Nichts an ihrem vor Temperament schäumenden Spiel wirkt aufgesetzt. Ein himmelhoch begabtes Fohlen tobt da durch den Saal.
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Aber auch auf die innigeren Momente lässt Dueñas sich mit der gleichen Glaubwürdigkeit und klanglichen Sensibilität ein. Honeck und die Musiker begleiten aufmerksam, lassen der Solistin Raum und spenden ihr den Applaus, der aus den verwaisten Rängen nicht kommen kann. Als Zugabe fackelt Dueñas die Paganini-Caprice Nr. 5 in irrwitzigem Tempo ab. „… weil sie es kann“, würden ihre Altersgenossen womöglich staunend sagen.
Orchester in Hamburg spielt Dvoráks „Aus der Neuen Welt“
Statt der ursprünglich vorgesehenen Mahler Ersten erklingt im zweiten Konzertteil Dvoráks Neunte „Aus der Neuen Welt“, noch so ein Schlager. Honeck arbeitet ja in Amerika als Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra – aber um die Sinfonie zum Sprühen zu bringen, braucht es das nicht.
Sondern so viel Gespür für die vielen Klangfarben und Rhythmen, ob sie nun aus Böhmen oder aus Amerika stammen. So viel Freude an dieser ehrlichen, unverstellt emotionalen, lebendigen Musik, wie sie die Beteiligten an den Tag legen. Mag auch der Streicherklang gelegentlich etwas dünn aus den Lautsprechern kommen, das Zusammenspiel über die Abstände hinweg ist kein Thema mehr. Und Dvorák selbst klingt an diesem Abend wie die Musik zur Stunde. Positiv und voller Hoffnung.
Das Konzert ist als Aufzeichnung in der Mediathek auf elbphilharmonie.de zu sehen