Hamburg. NDR-Chefdirigent Alan Gilbert spricht über das erste „Klassikboulevard“-Konzert live aus dem Großen Saal.
Fast ist es wieder wie sehr viel früher, als die Radio-Welt noch ganz anders war. Drei Stunden Live-Konzert mit etwas Plausch zwischen den 15 Stücken, die meisten von ihnen ebenso kurz wie populär und aus dem Kern-Sortiment. Es gibt Kleinfeines von Mozart, Brahms, Sibelius, Mendelssohn, Beethoven, Haydn… Der Titel „Klassikboulevard“ riecht ein klein wenig nach Wunschkonzert um Viertel nach Sieben, nach Häppchen-Klassik, dem klassischen Mett-Igel und Schnittchen-Teller mit Petersilie-Deko.
Das alles muss per se nicht schlecht sein, momentan vielleicht schon gleich gar nicht; das Programm jedenfalls ist Absicht. Und es ist eine Premiere, die NDR-Chefdirigent Alan Gilbert und sein Orchester an diesem Sonntagnachmittag aus dem Großen Saal der Elbphilharmonie ins Radioprogramm hineinspielen, nach der Devise: zurück zu den Wurzeln. Zurück zur öffentlich-rechtlichen Grundversorgung mit dem gerade Nötigsten, spontane Musik, aus dem Moment heraus.
Große Werke ohne Rücksicht auf eine dramaturgische Gesamtaussage
„Ich wollte das Programm genau so“, erzählt Gilbert beim Gespräch in seiner Garderobe nach der Probe, „einen Nachmittag mit leichter Klassik, old school zwar, aber das kann ja auch Spaß machen.“ Die Programme, die er in den vergangenen Monaten hier dirigiert hatte, seien schon sehr anders gewesen als das, was er normalerweise präsentiert hätte.
„Wir haben in dieser Saison ein klassisches Meisterwerk nach dem anderen gespielt, Brahms-Sinfonien, Mozart, Schumann, Schubert… Ich habe mir die Freiheit erlaubt, große Werke ohne Rücksicht auf eine dramaturgische Gesamtaussage zu programmieren“, sagt er dazu, „und es sind jetzt auch echte Raritäten dabei – Schumanns ,Braut von Messina‘ habe ich noch nie gemacht. Wunderbar, eine Freude!“
Orchester vermisst das Publikum
Auf das Frustrations-Level seines Orchesters nach monatelangem Publikums-Entzug angesprochen, erwähnt Gilbert die ewige Grundsatz-Frage, ob das Glas nun halb voll oder halb leer sei. Natürlich würden alle und auch er das Publikum enorm vermissen, erst recht, weil sie durch den elbphilharmonischen Normalzustand „Ausverkauft“ so verdorben waren.
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„Aber wir dürfen auch die Situation in anderen Ländern nicht vergessen. Das NDR Elbphilharmonie Orchester und ich, wir können uns glücklich schätzen, dass wir überhaupt spielen können.“ Riesenbesetzungen gehen nicht, das ist schon frustrierend, aber: geht eben nicht.
Ob es bei dieser einen Runde mit diesem Radio-Live-Format bleiben wird, ist noch nicht klar. Viele Rundfunkorchester haben sich in den vergangenen Jahren sehr darum bemüht, sich auch mit Konzerten und Tourneen breiter aufzustellen, erklärt Gilbert.
Permanent neue Planungen
„Doch jetzt, in dieser Gegenwart, ist es ein hohes Gut, den NDR als Partner für unsere Kultur vermittelnde Mission zu haben. Viele Menschen bekommen ihre Musik tatsächlich aus dem Radio, das ist ein wunderbares Medium. Dieses Medium, diese Plattform können wir tatsächlich auch nutzen, um neue Werke vorzustellen.“
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Und der Rest der von Corona geschredderten Konzert-Saison? Da ist Gilbert fatalistisch pragmatisch: „Derzeit planen wir permanent neu, passen unsere Programme den sich ändernden Bedingungen und Hygienevorgaben an. Das ist auch frustrierend! Die Motivation, Pläne zu machen, leidet schon sehr. Wir planen Konzerte… Wir versuchen, Teile der Überlegungen beizubehalten, mit den Gästen, die wir engagiert hatten. Ich weiß nicht, was passiert, ich weiß es wirklich nicht. Und, offen gesagt, ich hätte auch nicht erwartet, jetzt noch so tief in der Krise zu stecken. Hätte man mich im September danach gefragt, hätte ich vermutet, dass sich jetzt, im Februar, die Dinge allmählich wieder normalisieren.“ Es folgt ein tiefer Seufzer, und dann ein „… komische Zeit…“.
Konzert: 28.2. 14 bis 18 Uhr: „Klassikboulevard“, ab 15 Uhr mit Live-Konzert. Zu hören auf NDR Kultur, als „Visual Radio“ auf www.ndr.de/ndrkultur und der NDR-Kultur-Facebook-Seite.