Hamburg. „Die Liebe im Ernstfall“ erzählt von weiblichen Schicksalen – und steht seit Wochen auf der Bestsellerliste.
Sie heißen Ludger, Götz, Bertram und Wenzel. Sie kennen sich nicht. Aber die Wege der Frauen, mit denen sie zu tun haben, kreuzen sich. Die Frauen, das sind Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie gehen auf die 40 zu. Sie leben in Leipzig. Sie suchen Liebe und Leben, Familie und Selbstverwirklichung, Freiheit und Bindung. Und jener von Ambivalenzen durchzogenen Suche eignet in jedem Fall eine Schicksalhaftigkeit. In Paulas Fall, in Judiths, Bridas, Malikas und Jorindes. Fünf Frauen, aus deren jeweiliger Perspektive in den fünf Teilen dieses Romans erzählt wird, er steht seit einigen Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste.
„Die Liebe im Ernstfall“ heißt er und stammt von Daniela Krien. Sie hat ganz offensichtlich einen Roman über Frauen geschrieben. Deswegen tragen diese, so ist zu vermuten, auch schickere Namen als die Männerfiguren. Wie gesagt, Ludger, Götz und Co. – man will der Autorin nichts unterstellen, aber sie muss beim Schreiben doch sicher maliziös gelächelt oder spießig bis altdeutsch gestimmt gewesen sein. Dass Pegida und neuer Konservatismus in diesem kurzweiligen Werk auch eine Rolle spielen, hat mit der Ludgerei freilich sicher nichts zu tun.
Die Heldinnen und die (meisten) männlichen Nebenfiguren sind mit sich selbst und ihren Malaisen beschäftigt, da wäre jeder Blick aufs, angeblich, große Ganze nur störend. Relativ spät in Kriens Roman, man ist längst dem Sog ihres umstandslosen, zügigen Erzählens erlegen, kommen aber tatsächlich die Bezüge zur ostdeutschen Wirklichkeit und auch zur DDR-Vergangenheit. Dieses narrative Manöver, den Herzschmerz an die aktuellste Gegenwart und ihre Vorläufer anzuschließen, ist allerdings misslungen. Es nimmt der Handlung die Aura der Zeitlosigkeit.
Pedanterie und Kindstod
„Die Liebe im Ernstfall“ entblättert die Lebens- und Leidensgeschichten der fünf genannten Frauen. Für jede stellen sich die existenziellen Fragen, die sie in ihren Lebensläufen leiten, anders – und doch ähneln sich ihre Schicksale im Hinblick auf die Herausforderung, das Leben nach eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen zu bewältigen.
Es ist Paula, der das Leben den härtesten Schlag verabreicht. Ihr zweite Tochter stirbt im Säuglingsalter. dies führt zum Scheitern der Ehe mit ihrem Mann. Jener Ludger ist ein Pedant, ein gänzlich anders beschaffener Mensch als Paula. Der Roman berichtet auf verschiedenen Zeitebenen von der Beziehung, und er spricht in diesem Tableau des Werdens und Vergehens dabei implizit auch immer ein Thema an. Wie Männer versuchen, Frauen zu formen, oder allgemeiner: Wie ein Mensch versucht, einem anderen seine Vorstellungen aufzudrücken. Das klappt nie. „Kein Mensch war, wie man ihn haben wollte“, heißt es einmal schön und einfach und wahr.
Daniela Krien sucht in ihrer Prosa keineswegs die Verknappung. Es sind eher Reihungen, mit denen sie die Verhältnisse beschreibt, in denen sich ihre Figuren befinden. Andererseits versteht sie sich auch auf schmissige Sätze. „Der Schleier der Hormone hob sich“: So formuliert sie, wenn sie das Ende der Verliebtheit meint.
Vergleich Daniela Krien mit Dörte Hansen
Manche vergleichen die 1975 in Mecklenburg-Vorpommern geborene Daniela Krien, die mit „Die Liebe im Ernstfall“ ihren dritten Roman vorlegt, bereits mit Dörte Hansen und prophezeien dem Buch eine ähnlich lange Bestsellerkarriere wie „Altes Land“ oder „Mittagsstunde“. Letzteres ist durchaus möglich. Der Roman hat alle Zutaten, um ein Dauerbrenner zu werden, ist aber literarisch weniger ambitioniert als die Romane von Hansen.
Da es kein weibliches Prinzip oder dergleichen ist, das in „Die Liebe im Ernstfall“ porträtiert wird, taugen die Heldinnen übrigens teilweise durchaus auch als Identifikationsmodelle für männliche Leser.
Das gilt für die Schriftstellerin Brida, die ins emotionale Unglück stürzt, weil sie sich beruflich durch die Familie eingeschränkt fühlt. Das gilt eher weniger für die Ärztin Judith, die sich auf Datingportalen ihre Partner sucht und mehrere Male vor die Frage gestellt wird, ob sie Kinder haben will oder nicht.
Was gäbe es vom Glück schon zu erzählen?
Manche Metaphern sind überdeutlich, nicht jedes schicksalhafte Kapitel ist gleichermaßen stichhaltig. Das der Schauspielerin Jorinde, die unbedingt das Kind eines Starschauspielers austragen möchte – „Doch wer wünscht sich nicht ein Kind von diesem Mann?“ – ist sogar in gewisser Weise unverschämt: Ernstzunehmen ist diese Jorinde nämlich nicht. Wo aber der Roman ansonsten auf jeder Seite nur ernsthafte Signale sendet, ist das fahrlässig.
Dennoch ist dies ein Roman, der den Leser und die Leserin über weite Strecken insofern fesselt, als er vom alltäglichen Unglück seiner Heldinnen berichtet. Was gäbe es vom Glück schon zu erzählen? Und wo gäbe es ein größeres Reservoir von Geschichten des Scheiterns als in der Liebe? Man darf wohl sagen, dass die Wahl-Leipzigerin Daniela Krien, die nicht das dort beheimatete Literaturinstitut besucht hat – aber oder gerade deswegen in „Die Liebe im Ernstfall“ jenes mit einem hübschen Diss bedenkt –, ihr Handwerk versteht. Die fünf Schicksale sind keineswegs aufdringlich miteinander verwoben. Sieht man mal von Malika und Brida ab, die sich nicht nur eine Zeitlang den Liebhaber teilen, sondern später auf die Weise miteinander verbunden sind wie die Leser mit „Die Liebe im Ernstfall“. Malika liest alle Romane von Brida, um aus denen vom Liebesunglück der Rivalin zu erfahren.
Das Leid der anderen ist immer schon ein Trost gewesen.
Daniela Krien liest am 23.5. in der Buchhandlung Heymann in der Osterstraße 134, Eintritt 12,-, Beginn 20.30 Uhr