Hamburg. Der Brasilianer ist seit 2019 Chef der Alsterspatzen. Nun leitet er auch den traditionsreichen Knabenchor – und hat eine Mission.
„Als Kind habe ich angefangen in einem Chor zu singen, als ich fünf Jahre alt war. Und ich hatte sofort das Gefühl, dass das etwas Besonderes ist, weil es mich so glücklich gemacht hat.“ Luiz de Godoy sagt diese Sätze mit einem verträumten Lächeln. Da leuchtet das jungenhafte Staunen wieder auf. „Ich habe mich gefragt: Wieso machen das nicht alle Kinder – und wusste schon damals, dass ich mich dafür einsetzen will, möglichst viele für das Singen zu entflammen!“
Heute ist er Anfang 30 und hat seinen Traum verwirklicht. Luiz de Godoy, ein Brasilianer mit braunem Bärtchen und lockigem Haar, gehört zu den wichtigen Kinderchorleitern im deutschsprachigen Raum. Er war Kapellmeister bei den Wiener Sängerknaben, ist seit 2019 Chef der Alsterspatzen an der Staatsoper und hat im Januar 2021 den Hamburger Knabenchor übernommen, als Nachfolger von Rosemarie Pritzkat.
Hamburger Knabenchor: De Godoy schafft online Nähe
Mitten in der Corona-Pandemie also, mit ihren drastischen Einschränkungen für Chöre. „Das ist natürlich keine goldene Phase“, räumt der sympathische Musiker ein. „Aber die Herausforderung bleibt immer dieselbe: eine Verbindung schaffen, eine Atmosphäre des Vertrauens kreieren. Schließlich kann man nur gut singen, wenn man sich wohlfühlt. Ich suche trotz der Pandemie nach Wegen, die nötige Nähe herzustellen.“
Das funktioniert derzeit vor allem virtuell. Luiz de Godoy hat seine Jungs und jungen Männer vom Knabenchor bisher fast ausschließlich online getroffen. Aber er ist so vertraut mit den Möglichkeiten der sozialen Medien, dass ihn das nicht nervös macht. Wie viele Menschen seiner Generation, begreift er den Kontakt über Plattformen wie Zoom als selbstverständlichen Teil seines Alltags.
Er hat Instagram-Clips mit einfachen Singe-Übungen produziert („Beim Aufstehen genießen wir das Gähnen, dabei geht die Kehle ganz schön auf. Probiert es mal aus!“). Er hat seinen Chor für Stimmproben oder zum gemeinsamen Musikhören versammelt – und er führt auch das Interview per Videochat.
De Godoy versprüht eine Energie, die ansteckend wirkt
Dabei verströmt de Godoy eine Energie, die selbst auf dem Bildschirm sofort ansteckend wirkt. Man spürt wieder seine Lust, andere zu begeistern, die ihn schon als kleiner Junge gepackt hatte. „Die meisten Kinder in Brasilien bekommen nie eine Chance, das Chorsingen für sich zu entdecken, weil Musik kein Bestandteil des Schulprogramms ist. Deshalb habe ich selbst angefangen, kleine Gruppen zu organisieren und Chöre zu leiten. In der Schule, aber auch in der Familie. Meine Mutter hatte 13 Geschwister, es gab einen richtigen Familienchor.“
Luiz de Godoy hat diese kindliche Begeisterung bald in professionelle Bahnen gelenkt. Mit dem Studium der Fächer Klavier und Dirigieren in Sao Paolo, in Köln und in Wien, wo er nicht nur die berühmten Sängerknaben geleitet, sondern sich auch eine österreichische Färbung seines exzellenten Deutsch angeeignet hat.
„Ja, a bissl Wienerisch ist wohl dabei“, gesteht der Wahlhamburger lachend, der nach knapp vier Jahren in der Musikmetropole eine neue Herausforderung gesucht und gefunden hat. „Dafür war die Einladung der Staatsoper perfekt, zur Saison 2019/20 nach Hamburg zu gehen und eine Art Opernchorschule für Kinder und Jugendliche zu etablieren.“
"Entscheidend ist die Motivation, die Freude an der Musik"
Anders als in Wien, arbeitet Luiz de Godoy weder bei den Alsterspatzen noch beim Knabenchor Hamburg mit Kindern, die im Internat wohnen und dadurch einem besonders intensiven Probenrhythmus folgen. Aber das sieht er überhaupt nicht als Nachteil. „Kinder können sich auch ohne diese äußere Struktur täglich mit ihrer Stimme beschäftigen. Entscheidend ist die Motivation, die Freude an der Musik. Wenn es mir gelingt, die zu wecken und zu vermehren, kommt auch die künstlerische Qualität.“
Nicht nur in solchen Momenten versprüht der junge Dirigent einen sonnigen Optimismus, den man gern mit seiner brasilianischen Herkunft in Verbindung bringen möchte. Aber: Vorsicht vor Klischees. Luiz de Godoy kennt sie natürlich und grätscht dazwischen. „Ich mag das Wetter hier im Norden mit seinen unterschiedlichen Jahreszeiten. Ich bin auch kein guter Fußballer, und das interessiert mich auch nicht besonders.“
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Charmant, aber deutlich weist er Stereotypen zurück – und kommt damit auf ein Thema, das ihn schon lange beschäftigt. „Als Brasilianer, der in Brasilien viel mit Rassismus konfrontiert ist, kämpfe ich gegen dieses gesellschaftliche Problem. Auch im Bereich der klassischen Musik fühlt man sich als Nicht-Weißer oft als Ausnahme. Je professioneller Musik gemacht wird, desto weniger Menschen begegnet man mit meiner Hautfarbe. Deshalb ist der Antirassismus für mich ein wichtiges Anliegen.“
Luiz de Godoy wendet sich entschieden dagegen, jemanden auszugrenzen. Auch mit seiner Arbeit als Chorleiter. Er möchte den Reichtum der Musik zugänglich machen – und seine eigene Glückserfahrung mit möglichst vielen teilen. „Die Freude am gemeinsamen Singen gehört zu den schönsten Gefühlen, die ein Mensch haben kann.“