Hamburg. Das SHMF präsentierte Martin Grubinger und die NDR Radiophilharmonie in einem Hangar von Lufthansa Technik am Hamburger Flugplatz.

Profitfixierte Immobilienmakler bläuen es ihrer Kundschaft seit einer Ewigkeit ein, publikumsorientierte Klassik-Festival-Veranstalter haben diese schlichte Erkenntnis ins eigene Event-Planen übernommen: Lage! Lage! Und nochmal: Lage! Alles andere findet sich dann schon. Konzerte nur dort, wo Klassik-Konzerte normalerweise stattfinden, das ist schön, aber hin und wieder zu wenig, um Menschen anzulocken, die sich ansonsten womöglich (und unnötig) schwer tun mit dieser Musik-Sparte.

Besondere Musik erfordert dann spezielle, einladendere Rahmenbedingungen, je ungewöhnlicher und ferner vom Alltags-Angebot, desto attraktiver und voller die jeweilige Spezial-Adresse. Also, nach der Corona-Zwangspause zum mittlerweile sechsten Mal: ein Gastspiel des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) in einem Hangar von Lufthansa Technik, direkt beim Flughafen. Umgeben von dekorativ geparkten Passagier-Jets und umsorgt von Gastro-Ständen spielte und hörte es sich gleich ganz anders als hungernd und dürstend eingeklemmt in Sitzreihen.

SHMF: Auftritt im Lufthansa-Hangar mit besonderer Akustik

Dass eine derart riesige Halle nicht ganz zufällig „Halle“ heißt, machte sich in dieser Location schnell und sehr gut hörbar bemerkbar: Im langsamen Satz von Schostakowitschs Neunter, mit der das Programm ambitioniert begann, konnte die Solo-Klarinette deswegen mühelos mit ihrem eigenen Echo elegisch im Duett spielen. Das passierte noch weit vor dem durchschlagenden Auftritt des phonstärksten Gast-Stars, der mit seinem Instrumenten-Sortiment Schalldruckwellen ganz anderen Ausmaßes produzierte. Für die meisten der gut 2000 Zuhörerinnen und Zuhörer dürften solche akustischen Befindlichkeiten im Detail aber eher nebensächlich gewesen sein. Sind sie – zumindest bei solchen Gelegenheiten – letztlich ja auch.

Mit der NDR Radiophilharmonie aus Hannover war an diesem Abend ein Orchester auf der Bühne, dass neben der Repertoire-Pflicht auch die populärer gehaltene Kür beherrscht. Und so unclever war es durchaus nicht, ein Stück wie diese Neunte, an sich alles andere als unterhaltsam, ins Unterhaltungsprogramm zu platzieren, als wäre es eine realsozialistische „Kleine Nachtmusik“ mit weniger eingängigen Melodien. Der vielschichtige historische Kontext – politischer, lebensgefährlicher Druck auf den staatsabhängigen Komponisten durch Stalins Machtapparat und die entsprechenden Ausweichmanöver ins Scheinamüsante – stellten kein hörbares Thema für den Dirigenten Gabriel Venzago dar. Er sorgte lieber mit straffen Vorgaben dafür, dass die Strukturen und Feinheiten nicht allzu flott im Nachklang versanken.

Martin Grubingers enorme Schlagseite

Die Bühnenvorderseite, mit diversen Schlaginstrumenten großflächig zugebaut, war ein Omen, dass Spektakuläres folgen sollte: Dem österreichischen Multipercussionisten Martin Grubinger hatte Fazıl Say, hauptberuflich Pianist, ein Schlagzeugkonzert auf die Schlegel und Klöppel geschrieben, das in seinen fünf Sätzen fünf spezielle Klangwelten um das jeweilige Instrument herum inszeniert und am Ende effektvoll mit Orientalismen spielt.

Der Orchester-Anteil ist vor allem Folie, Leinwand und Spielwiese für den Solisten, der sich am Material austoben kann und beidarmig verausgaben muss. Und die Laufwege waren so eingerichtet, dass Grubinger hin und wieder über das Dirigentenpodest wieseln musste, um rechtzeitig am nächsten Instrument für den nächsten Einsatz zu sein. Schon das eine Kunst für sich. Doch Grubinger wäre nicht Grubinger, wenn er das alles nicht mit atemraubender Leichtigkeit hinbekommen hätte, treffsicher und mit unablässig treibendem Timing.

Hollywood-Vergnügen mit Martin Grubinger

Ein Schlagzeuger schlägt ungern allein, also wurde für Teil zwei des Konzerts percussionistisch massiv aufgerüstet, mit Grubingers Begleit-Band „The Percussive Planet Ensemble“ und einer Best-of-John-Williams-Suite, für den Spieltrieb von Schlagzeugern maßgeschneidert um- und vor allem ausgebaut.

Mit Soundtrack-Klassikern für die Ewigkeit aus Willams’ Werkstatt hätte man locker das ganze Wochenende durchspielen können, die Wahl für diese kleine Auswahl fiel auf einige Filmmusik-Hits, in denen noch Platz war – oder eingeschoben wurde – für etliche Percussion-Einlagen. Das Hauptthema aus „Star Wars“ und der Imperiale Marsch wirkten mit einer Extraportion noch beeindruckender, die wagnernden Leitmotive aus „Superman“ und „Indiana Jones“, die Fanfare für die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles – alles das reine, perlende Hollywood-Vergnügen für Grubinger & Co.

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Weil Williams’ spätromantisch geschulte Stilsicherheit beim Umgang mit dem Vokabular für Pathos und Überwältigung neben starkem Blech konsequent auf den rhythmischen Unterbau setzt, um die musikalische Handlung voranzubringen, sorgte diese Zusammenstellung nicht nur für eine virtuos servierte Show, sondern auch für entsprechend viel Spaß.