Hamburg. Offenbachs „Les Contes d’Hoffman“ feierte Premiere in der Staatsoper. Vier Gründe, sich das Ganze nicht entgehen zu lassen.

Es ist nun schon einige Jahre her, da war der weltbekannteste Flugzirkus hier in der Stadt. Bei „Cirque du Soleil“ schwebte ständig irgendetwas oder irgendwer oberhalb der Manege herum. Menschen sangen und turnten oder taten beides gleichzeitig. Dinge spiegelten sich in Spiegeln. Und am Ende wankte man leicht beschwipst von dieser Überdosis Holzhammer-Entertainment aus dem Show-Zelt.

Ähnliche Flugscham – allerdings einige Nummern kleiner – löste, über den gesamten Abend flächendeckend verteilt, die Staatsopern-Premiere von Jaques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ aus. Andererseits: Es gibt mindestens vier erstklassige, herausragende Gründe, sich das Ganze dennoch bloß nicht entgehen zu lassen.

Der wichtigste Grund: Benjamin Bernheim, weltweit heiß gehandelt. Und sensationell. Ein Hoffmann mit Goldkanten auf den Stimmbändern, der in seiner Intensität und phänomenalen Leichtigkeit auch an den wohl hoffmannigsten Hoffmann der letzten Jahrzehnte erinnert, an den wild irrlichternden Neil Shicoff. Wunderbar, wie Bernheim sich in jeden Spitzenton wirft, lyrisch, geschmeidig heldentenoral, wie er jede Nuance durchleidet und genießt, manisch und klauskinskihaft hemmungslos. Dass es Bernheims Rollendebüt ist, muss man nachlesen, um es zu glauben, so à point ist er in dieser Partie.

Hoffmann-Premiere in Hamburg: Großartige Stimmen

Um gegen solch eine Stimme bestehen zu können, braucht es je nach Mut des Regie-Teams bis zu vier feine Sopranistinnen, für die vier verschiedenen Traum- und Alptraumfrauen in Hoffmanns Künstlerleben zwischen Suff und Schmacht. Olga Peretyatko gelingt es hier im Alleingang, in allen vier andere Facetten und Farben zu entdecken, darstellerisch und stimmlich. Allerliebst ihre Koloraturenjonglage als Olympia, die Tristesse als Antonia, das glamourös gurrende Barcarole-Säuseln von Giulietta und letztlich auch die Synthese aus allen als Stella.

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Die kleinformatigeren Partien sind nicht bescheidener besetzt: Angela Brower ist als Nicklausse eine hochtourig elegante Freude, Luca Pisaroni serviert seine vier Finsterlinge sehr ansprechend, Gideon Poppe hat als Frantz einen großen Auftritt, Kristina Stanek kommt als Mutter zu kurz.

Plot mit süßlicher Spektakel-Glasur überzogen

Inszeniert hatte Daniele Finzi Pasca, ein Schweizer mit circensischem Hintergrund, der mit Flug-Doubles einiger Charaktere den Bühnenhimmel ausnutzte und auch sonst kaum eine Gelegenheit ausließ, den Plot mit einer süßlichen Spektakel-Glasur zu überziehen. Das begann bei den Bühnenbildern von Hugo Gargiolo, die zwar alle reizend anzuschauen, aber immer eine Spur zu laut, zu groß, zu grell, zu disneylandig, zu niedlich, schlicht: zu viel waren.

Olga Peretyatko und Benjamin Bernheim spielen bei einer Fotoprobe zur Oper Les Contes d‘Hoffmann auf der Bühne in der Staatsoper.
Olga Peretyatko und Benjamin Bernheim spielen bei einer Fotoprobe zur Oper Les Contes d‘Hoffmann auf der Bühne in der Staatsoper. © dpa | Christian Charisius/dpa

Ein Teil des Chors war in den Rängen verteilt (und hatte von dort mitunter Mühe, sich auf einen Timing-Nenner mit dem Geschehen auf der Bühne zu einigen). Es gab auch einige Mehrzweck-Kostüme, um Personal-Masse vorzutäuschen. Das Trällermaschinchen Olympia, in ihrer Riesen-Spieldose reizend herausgeputzt, trug auf der Kleidrückseite Zahnräder; die todkranke Antonia saß mit Schmetterlingsflügeln als Mademoiselle Butterfly in einer bühnenhohen Botanisiertrommel gefangen. Alles so schön bunt da.

Bloß keine Langeweile, und optisch schon gleich gar nicht

Für die Mottenflügel der toten Mutter waren gleich zwei assistierende Stoffbeweger vonnöten, als wären wir bei den Handpuppen-Dompteuren im „König der Löwen“. Die vier Ausgeburten des Fiesen, die nosferatusierend durch die Handlung spukten und Hoffmann vor sich hertrieben, erkannte man am Maniküre-Notstand ihrer Fingernägel. Als Lindorf wurde Pisaroni, warum auch immer, als Backenbart-Wiedergänger von Offenbach verkleidet.

Nun gut. Bloß keine Langeweile, und optisch schon gleich gar nicht, war dann wohl die Konzept-Devise, und im Zweifel lieber der kleinere gemeinsame Nenner als Schauwert und möblierende Bebilderung. Von Kammerspiel oder einem rauschmittelverstärkten Künstlerdrama – denn auch das wäre ja ein sinnstiftender Blickwinkel gewesen – war hier jedenfalls gar nichts zu sehen. Die obligatorische Fassungs-Fußnote, weil die Materiallage so konfus ist: Mit im Sortiment der Produktion war auch das fast ewig verschollene, 1999 in Hamburg erstmals aufgeführte Finale des Giulietta-Akts, andere Szenen-Bonbons fehlten.

Premiere an der Staatsoper: Musik übersteht viele Regie-Einfälle spielend

Kein durchgängig schöner Saisoneröffnungs-Abend also, vor einem knapp zur Hälfte besetzten Saal, der am Ende ausgiebig und einstimmig von allem und jedem begeistert war? Das wäre zu pauschal, obwohl die orchestrale Grundierung dieses Feuerwerks in fünf Akten Einiges zu wünschen übrig ließ. Denn Generalmusikdirektor Kent Nagano ging mit arg viel Langmut in das Stück hinein. Der scharfe Esprit, der reizende Flirt, der schnelle Witz, das operettige Überdrehtsein, die situationskomische Raffinesse dieser „Opéra fantastique“? Kam nicht überzeugend aus dem Graben.

Stattdessen zog es sich insbesondere anfangs sehr, tänzelte nicht auf Zehenspitzen, verzehrte sich danach nicht, blieb oft unextrem und unspritzig. Das Drahtseil, auf dem diese wild schillernde Musik über fünf kurzweilige, charmante Akte hinweg hätte balancieren können, war dann ein dicker Tampen. In dieser Produktion ist das Ensemble der Star, die Musik übersteht viele Regie-Einfälle spielend.

„Les Contes d’Hoffman“ wieder am 7., 10., 16., 19., 22., 25. September, Karten unter T. 040/356868, www.staatsoper-hamburg.de.