Hamburg. Neue Varieté-Show „Velvet“ belebt das Traditionshaus in St. Georg mit Weltklasse-Akrobatik und einem Weather Girl.

Gewiss, das Hansa-Theater ist und bleibt eine Hamburgensie, ein Haus mit Tradition – auch wenn das vor fast 130 Jahren gegründete Varieté-Theater neuerdings offiziell Hansa-Theatersaal heißt. Seit 1953 sind die Räume am Steindamm weitgehend unverändert. Dass sich die „kleine Schmuckschatulle“ nicht nur wie beim gleichnamigen Musical in ein „Cabaret“ verwandeln kann, sondern sogar in eine Disco, zeigt sich in diesem Sommer.

Eine moderne LED-Wand hinter der Bühne, glitzerendes Lametta an den Wänden, ein in den Saal ragender Steg und rechts von der Bühne – dort, wo beim Winter-Varieté sonst die Hansa-Boys sitzen und spielen – haut jetzt eine singende Percussionistin (Joannie Labelle) auf die Felle. Willkommen im glamourösen Nachtclub „Velvet“! Hier sind nicht nur die Lichter bunt, sondern auch die Protagonisten. Und wenn Earth, Wind and Fires „Boogie Wonderland“ erklingt, gilt es, die späten 1970er- und frühen 1980er richtig zu zelebrieren. Das legendäre Studio 54 in New York lässt grüßen.

„Velvet“ im Hansa-Theater: Akrobat bringt Damen zum Kreischen

Dabei ist „Velvet“ ursprünglich eine australische Show. Mit zwei Jahren coronabedingter Verspätung hat sie nun als „Disco-Varieté-Inferno“ Deutschland-Premiere gefeiert. Jede Menge Körperarbeit und Akrobatik sind auch in der von Hansa-Betreiber Thomas Collien co-produzierten neuen Show gefragt.

Und wer sich nicht vom anfangs sehr grellen Lichtgewitter blenden lässt, dem fällt zum alten Hit „Le Freak“ ein tanzender Kerl im roten Pagenkostüm ins Auge: Handstand-Akrobat Mirko Köckenberger, bereits bei der „Velvet“-Uraufführung 2015 auf dem Adelaide Fringe Festival am Start, absolviert nicht nur auf vier übereinander gestapelten Koffern halsbrecherichsche Balance-Akte – der Berliner zieht sich kopfüber auch bis auf die rote Unterhose aus und danach beim einarmigen Handstand ein komplett neues Kostüm an. Dagegen sind die Chippendales kleine Würste – Köckenberger allein bringt die Damen im Hansa-Theatersaal zum Kreischen.

Pole-Dance-Akrobatin bietet Stangentanz ohne Firlefanz

Extreme Biegsam- und elegante Geschmeidigkeit zeigt in der Vertikalen und in der Horizonten Pole-Dance-Akrobatin Marion Crampe: Zu „If You Can Read My Mind“ bietet sie Stangentanz ohne Firlefanz. Im zweiten Teil der Show noch von ihr selbst übertroffen mit einer Nummer, bei der sie nur an den Haaren befestigt durch den Raum schwebt.

Akrobatin und Tänzerin Marion Crampe zeigt beim Pole-Dance horizontal und vertikal Sensationelles an der Stange.
Akrobatin und Tänzerin Marion Crampe zeigt beim Pole-Dance horizontal und vertikal Sensationelles an der Stange. © Marion Crampe | Marion Crampe

Da ist das Publikum längst ein weiteres Mal komplett ausgerastet. Denn was das Rollschuhpaar Maryna Sakhokiia und Chris Tees auf der kleinen Drehscheibe vollführt, ist zur Musik von Patrick-Hernandez’ One-Hit-Wonder „Born To Be Alive“ eine Nummer, die als Höhepunkt und atemberaubender Nervenkitzel des Abends lange nachwirkt. Wo Zentrifugalkräfte derart sinnlich-gewagt walten, muss maximales Vertrauen herrschen – die frühere Sportakrobatik-Weltmeisterin und der Ex-Eiskunstläufer sind eine Ehepaar.

Internationale Artisten im Hansa-Theatersaal

Die elf Tänzerinnen und Artisten kommen aus Europa, den USA und Australien. Sie lassen das Disco-Herz höher schlagen und übernehmen bei zahlreichen Kostümwechseln mit Tanz, Live-Gesang und Akrobatik noch weitere Rollen. Doch ob es bei der von Craig Ilott inszenierten spektakulären Show einer Rahmenhandlung bedurft hätte? Die soll Tom Oliver vorantreiben. Als junger Mann mit Geigenkasten unterm Arm hat er sich ins Nachtleben und in den „Velvet“-Club verirrt.

Der Schauspieler und Sänger wirkt – ob bewusst oder unbewusst – zunächst wie ein Robbie Williams für Arme, scheint auf der Suche nach sich selbst, nach Liebe und Freundschaft und seinem Platz im Leben. Erst als er zum Barbra-Streisand/Donna-Summer-Duett „No More Tears/Enough Is Enough“ weißes Hemd und schwarze Hose gegen einen bunten Glitzeranzug mit Federboa und Dekolleté getauscht hat, hat er sich einigermaßen freigespielt und -gesungen. Bei seiner Version von Thelma Houstons Disco-Klopfer „Don’t Leave Me This Way“ bleibt er zuvor noch recht schwach auf der Brust.

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Hansa Theater: Weather Girl hält singend die Show zusammen

Akrobatischer und komödiantischer Höhepunkt des zweiten Teils ist zum Sister-Sledge-Hit „Greatest Dancer“ stattdessen das Anzug-wechsele-dich-Spiel von Handstand-Artist Köckenberger mit Craig Reid, die sogenannte Quick-Change hinter einem Vorhang mit Reifen. Die Reifen sind ohnehin das Metier des Hula-Hoop-Artisten Reid. Der mopsige, jedoch alles andere als hüftsteife Brite ist in seinen schrillen, bunten Stramplern nicht nur Liebling so mancher Herren.

Mehr als Tom Oliver hält Ingrid Arthur singend die Show zusammen. Das Weather Girl in zweiter Generation gibt im lila Glitzerkleid nicht allein mit „It’s Raining Men“ die über allen stehende Diva. Sie trifft auch beim finalen „Last Dance“ und „Disco Inferno“ den Ton. Und das ist auch in diesem temporären Nachtclub gut so.

„Velvet“ bis 18.9., Di-Fr, jew. 19.30, Sa 18.00 und 21.00, So 19.30, Hansa-Theatersaal, Steindamm 17, Karten zu 49,90 bis 69,90 unter T. 47 11 06 44: www.velvettheshow.de