Hamburg. Am Ernst-Deutsch-Theater erhielt Volker Lechtenbrink einen prominenten Schauspielpreis und reichlich Liebesbekundungen.

Nicht alle Geschichten, die er im Laufe seines Lebens so erzählt habe, seien immer ganz wahr gewesen, gesteht Volker Lechtenbrink mit spitzbübischem Charme, er weiß natürlich, dass er damit die Lacher auf seiner Seite hat.

Diese Anekdote stimme aber, beteuert er sogleich, auch wenn sie fast schon zu genau passt, weshalb sie an diesem Vormittag am Ernst-Deutsch-Theater auch gleich mehrfach zitiert wird: Als Lechtenbrink vor vielen Jahren, ganz zu Beginn seiner Karriere, am Deutschen Schauspielhaus auf der Bühne stand, rief ihn der damalige Intendant nach einer Probe zu sich: „Ich habe Sie jetzt die ganze Zeit beobachtet. Und ich könnte mir vorstellen, dass Sie das auch einmal beruflich machen könnten.“ Der Intendant mit der treffsicheren Prognose hieß Gustaf Gründgens, Volker Lechtenbrink war zehn Jahre jung – und damals vor allem beeindruckt, gesiezt zu werden.

Nun schaut Gründgens, stilisiert in Schwarz-Weiß-Rot, immerhin von oben zu, nämlich von der Leinwand herunter und aus den Programmheften heraus. Ein stummer Beobachter inzwischen, mit strengem Mephisto-Blick, aber doch ganz zufrieden, so scheint es, wie Volker Lechtenbrink, inzwischen 77 Jahre alt, nun also in seinem Namen geehrt wird: Der Schauspieler und Sänger, Regisseur und einstige Intendant, der Theater- und Theaterfamilienmensch Volker Lechtenbrink erhält auf Initiative der Hamburger Lions und gestiftet von Mercedes Benz in einer hochemotionalen Matinee den fünften Gustaf-Gründgens-Preis.

„Wenn es den Preis nicht schon gäbe, für Volker hätte er erfunden werden müssen“

„Wenn es den Preis nicht schon gäbe, für Volker hätte er erfunden werden müssen“, erklärt Intendantin Isabella Vértes-Schütter, die nicht nur Hausherrin ist, sondern auch Teil der Jury, und in dieser Doppelfunktion den „geliebten Volker“, die Preisstifter und natürlich das Publikum begrüßt. Platziert ist es im derzeit üblichen Schachbrettmuster und (mit Ausnahme des Geehrten in der ersten Reihe) mit Masken versehen. „Aber wir haben es ausprobiert“, versichert Vértes-Schütter: „Die Bravorufe funktionieren trotzdem ganz prima.“

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„Für einen echten Schauspieler macht das Glück, auf einer Bühne zu stehen, viele Leiden wett.“ Noch einmal Gründgens, diesmal zitiert vom Schauspieler Roland Renner, der dem Freund die Laudatio hält. Oder vielmehr, wie er selbst es beschreibt, dem „Liebling dieser Stadt“ seine „Zuneigung zu Füßen legt“. „Ich verneige mich vor dir und deiner Kunst und empfinde es als großes Glück dir begegnet zu sein. Du hast mich mitgenommen in dein reiches Leben und dadurch reicher gemacht.“

„Ungeahnte Höhen der Anekdotenerzählung“

Nur wer sich lang begleite, sei sich begegnet, sagt Renner (mit Botho Strauß?) und zeichnet das Bild eines „höllischen Sternenkindes, uns allen zur Freude und Herausforderung“: „Ein Rätsel, ein Geschenk, eine Anstrengung. Vorübergehend. Lebenslang.“ In Hamburg haben die beiden schon mehrfach gemeinsam auf der Bühne gestanden, zuletzt in „Was ihr wollt“ am Ernst-Deutsch-Theater, aber auch in „Frost/Nixon“ an den Kammerspielen und in der Hommage „Leben, so wie ich es mag“, die Lechtenbrinks älteste Tochter Saskia Ehlers 2014 für ihn und das Ernst-Deutsch-Theater geschrieben hatte.

 Einst habe er dem Freund sogar einen Plastikring aus dem Kaugummiautomaten angeboten, gesteht Renner, den Volker Lechtenbrink jedoch mit der Bemerkung, er müsse darüber „noch etwas nachdenken“, höflich ausgeschlagen habe (das Nachdenken dauere an, den Ring habe er übrigens dabei).

Nicht immer ist solch ein sichtbares Zeichen der Nähe aber überhaupt nötig: Was die beiden Männer neben dem Respekt und der Anerkennung verbindet, was viele Schauspieler und Schauspielerinnen eint, im Grunde das gesamte Theatervolk (Kritiker und Publikum eingeschlossen), und was auch diese Matinee auszeichnet, fasst Roland Renner nämlich ebenfalls zusammen: „Ungeahnte Höhen der Anekdotenerzählung.“

Am Ende hat so mancher ein Staubkörnchen im Auge

Der Preisträger selbst, schmal geworden, aber präsent wie stets, beweist auch dabei ein untrügliches Gespür für den richtigen Tonfall im richtigen Moment: Als der so lässig wie liebevoll durch die Matinee moderierende Schauspieler Jonas Minthe (der Volker Lechtenbrink einst seine erste Rolle nach der Schauspielschule verdankte) seinem Mentor ein ums andere Mal überschwänglich dankt, setzt der ihm – und vielleicht auch dem zu solchen Gelegenheiten naturgemäß reichlichen Pathos und Sentiment – vom Bühnenrand ein herzlich-trockenes „Da nich’ für“ entgegen. Die Auszeichnung kommentiert Lechtenbrink mit den Worten: „Das ist schon ‘n dickes Ei!“

Womit er natürlich Recht hat. Das Preisgeld von 15.000 Euro und der Erlös der Matinee gehen an drei gemeinnützige Projekte: an das Kinder-Hospiz Sternenbrücke, das Hospiz am Israelitischen Krankenhaus und an Cakan, einen Verein zur Hilfe für kurdische Flüchtlingskinder. Dass ein Preis dieser Größenordnung und unter diesem leuchtenden Namen allerdings physisch vor allem aus einem überdimensionierten Scheck besteht, ist schon ein bisschen schade.

Volker Lechtenbrink wollte nie etwas anderes als Schauspieler werden

Dennoch bekommt auch Gustaf Gründgens an diesem Vormittag gewissermaßen eine verspätete Antwort auf seinen einstigen Rat an den begabten Jungen: „Ich wollte nie etwas anderes werden als Schauspieler“, bestätigt Volker Lechtenbrink. „Dieser Beruf hat mich gereizt, er hat mich wachgehalten. Er hat mich wahnsinnig glücklich gemacht.“ Und das Schöne am Schauspielberuf ist ja: nicht nur ihn. Spätestens, als die eigens von auswärtigen Dreharbeiten eingeflogene Eva Mattes Lechtenbrinks alten Hit „Ich mag“ singt, bekommen nicht wenige im Parkett ein Staubkörnchen ins Auge: “...Barfuß geh’n durchs Watt,/ich mag Hamburch, meine Stadt, all das mag ich,/ und ganz doll dich….“