Hamburg. Der Hamburger Jendrik Sigwart singt beim Eurovision Song Contest „I Don’t Feel Hate“ für Deutschland und für Europa. Ein Gespräch.
Er begann seinen Traum in einem Keller voller Waschmaschinen, und er vollendet ihn am 22. Mai in Rotterdam, vor Ort oder virtuell: Der Hamburger Sänger, Songschreiber und Schauspieler Jendrik Sigwart (26) singt beim Eurovision Song Contest 2021 für Deutschland, für Europa „I Don’t Feel Hate“. Wir sprachen mit dem in Volksdorf aufgewachsenen und in Eilbek lebenden Musiker über die Vorbereitungen, seine Aussichten und die Botschaft des ESC wie auch des Songs: Toleranz und Diversität.
Hamburger Abendblatt: Die 18 bei Ebay Kleinanzeigen erworbenen Waschmaschinen für Ihr Bewerbungsvideo an den NDR, was passiert mit denen jetzt? Verkaufen Sie die signiert für Selbstabholer im Fanshop?
Jendrik Sigwart: Gleich nach dem Waschmaschinendreh erzählte mir ein Freund, dass die Dinger radioaktiv sind, ich muss mir jetzt ein Endlager suchen. Kleiner Scherz, aber ich werde tatsächlich oft nach den Waschmaschinen gefragt und denke mir jedes Mal eine neue Antwort aus.
Nachhaltiger als radioaktive Waschmaschinen sind vielleicht Erinnerungen an den Eurovision Song Contest. Was war Ihr erstes ESC-Erlebnis?
Sigwart: Am prägnantesten für mich war der Gewinn von Alexander Rybak 2009, weil ich als Kind auch Geige gelernt habe und es sehr beeindruckend fand, wie er Popmusik mit Geige präsentiert hat. Ziemlich cool und beeindruckend.
Was verbinden Sie noch mit dem ESC? Windmaschinen für dramatisch wehende Haare vielleicht?
Sigwart: Meine Frisur ist relativ sturmfest. Aber ich verbinde mit dem ESC besonders Diversität. Jeder kann auf der Bühne machen, was er will. Der ESC ist bunt, international, tolerant – das gilt auch für das Publikum.
Es ist eine Bühne für viele Menschen, die leben und lieben, wie sie es mögen. Allerdings wurden erfolgreiche ESC-Teilnehmende wie Conchita, Dana International oder Netta für ihre Lebens- und Sichtweisen auch stark angefeindet. Sind Sie und auch Ihr Partner darauf vorbereitet?
Sigwart: Das ist mir schon passiert, besonders nach meiner Nominierung. Da kommen regelmäßig Nachrichten wie „Schwuchtel“ oder besonders schön: „Schwule gehören nicht zum ESC“. Wow.
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Da hat jemand den Eurovision Song Contest und Ihr Lied nicht verstanden.
Sigwart: Ich glaube, dass viele die im Internet anonym solche Sätze schreiben, sind mit sich selbst nicht im Einklang sind.
Verletzt Sie das?
Sigwart: Mich verletzt das nicht, da bin ich abgehärtet. Aber ich finde es trotzdem erschreckend, wie präsent Homophobie auch in unserem Land immer noch ist.
Denen entgeht zudem eine Menge tolle Musik, von Elton John bis Adam Lambert. Lambert hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen, er liegt gern auf einer Chaiselongue beim Singen.
Sigwart: Das ist aber ein tolles Kompliment. Mit Adam Lambert würde ich mich nie vergleichen, der hat die krasseste Stimme der Welt. Die habe ich nicht. Ich baue auf meine Gesamtwirkung.
Aber für die Gesamtwirkung braucht es Vorbereitung. Dabei ist noch unklar, wie der ESC ablaufen wird. Es gibt verschiedene Szenarien, mit Publikum und ohne, vor Ort in Rotterdam oder aus den Teilnehmerländern gestreamt und vorproduziert. Bereiten Sie sich für alle Optionen vor?
Sigwart: Ja. Wir haben als Backup ein Live-Vorabvideo gedreht, in Litauen. Da gibt es ein großartiges Team und ideale Möglichkeiten, um mit begrenztem Budget zu produzieren. Allerdings war das noch nicht zu hundert Prozent das, was wir in Rotterdam zeigen möchten, daher hoffe ich, dass wir live vor Ort auftreten können.
Bislang waren Sie Musicalsänger, und jetzt machen Sie einen beachtlichen Schritt auf die größte Pop-Bühne Europas. Mit allem, was dazu gehört. Medienrummel, Tausend Meetings, Feinschliff. Ein Vollzeitjob?
Sigwart: Ja, so langsam wird es busy. Am Anfang war es noch sehr entspannt, aber ich bin jetzt auch nicht mega im Stress. Es ist nichts, was ich nicht schon aus dem Studium kenne. Und der NDR lässt mir bei aller Erfahrung mit dem ESC sehr viele Freiheiten, das ist wirklich der Hammer.
Wir Deutschen hängen ja sehr an Traditionen beim ESC, dazu gehören auch Vorahnungen Marke „Germany zero points“ und „immer nur Letzter“. Die Erwartungen sind nie hoch und ein gutes Abschneiden wie zuletzt bei Michael Schulte ist immer eine Überraschung. Fehlt uns da der Esprit?
Sigwart: Ich glaube viele haben einfach nur Angst vor der Enttäuschung. Es ist leichter, von Anfang an zu wissen, dass es schlecht läuft, dann hat man als Belohnung zumindest eine Bestätigung. Und wenn es doch gut läuft, freut man sich umso mehr.
Nicht jeder ESC-Sieg führt zum Superstar-Status wie bei ABBA oder Céline Dion. Aber einige wie Lena haben im Anschluss durchaus solide Karrieren aufgebaut, Alben veröffentlicht, in ausverkauften Clubs gespielt. Wäre das auch für Sie wünschenswert, vom Musical- zum Popsänger zu wechseln?
Sigwart: Ich habe große Lust auf ein Album, weil ich gern mehr von meiner Musik vorstellen möchte, die ich in den letzten Jahren ein wenig vernachlässigt habe. Aber ich bin zwiegespalten. Ich möchte meine eigene Musik machen, aber auch Theater spielen. Ach, ich will einfach nur glücklich sein. Klingt das banal?
Das ist nicht banal, das ist das Höchste und nicht einfach zu erreichen. Sie haben ja bereits alle Kandidatinnen und Kandidaten der anderen Länder gesehen. Welche Chancen rechnen Sie sich am 22. Mai beim ESC-Finale aus?
Sigwart: Mein persönliches Ziel ist Platz eins, wofür macht man sonst bei einem Wettbewerb mit? Aber ich wäre auch mit dem letzten Platz nicht unzufrieden. Denn mein ursprüngliches Ziel war es, zum Eurovision Song Contest zu kommen. Das habe ich geschafft, meinen Traum habe ich erfüllt.