Hamburg. Die Hamburger Kiez-Ikone spricht über das Dschungelcamp, ihr Leben als Oliver Knöbel und wo sie ihre eigenen Knochen aufbewahrt.
Wenn es nach seinen Eltern gegangen wäre, wäre Oliver Knöbel Versicherungskaufmann geworden. Tatsächlich wurde der Junge aus dem niedersächsischen Springe Deutschlands größter Travestiekünstler: Olivia Jones hat über ihr außergewöhnliches Doppelleben nicht nur ein Buch geschrieben („Ungeschminkt“), sondern erzählt auch in unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“, wie sie/er wurde, was er/sie ist.
Es geht um den Vater, der eines Tages mehr als eine Million D-Mark stahl und nach Brasilien verschwand, um die eigenen Knochen und Haare, die Olivia Jones in der Küche aufbewahrt – und um die Frage, ob die Teilnahme am Dschungelcamp wirklich sein musste.
Das sagt Olivia Jones über …
… ihr Doppel- und Zusammenleben mit Oliver Knöbel:
„Es gibt den Oliver, der ja Olivia ist. Wir teilen uns nicht nur eine Wohnung, sondern praktischerweise auch gleich einen Körper. Ich führe ein Doppelleben, aber ein positives Doppelleben, das klingt alles komplizierter, als es ist. Wenn ich Aufmerksamkeit und Action will, bin ich Olivia, wenn ich meine Ruhe brauche, Oliver.
Ungeschminkt kann ich dann selbst in einer meiner Bars sitzen, und niemand erkennt mich. Ich brauche diese permanente Aufmerksamkeit nicht, auch wenn das viele Menschen nicht glauben, und bin ganz froh, wenn ich inkognito unterwegs sein kann. Das unterscheidet mich von Udo Lindenberg, der es liebt, 24 Stunden in der Öffentlichkeit zu stehen. Mich würde das verrückt machen.“
… den schwierigen Start als Travestiekünstlerin in Hamburg:
„Als ich aus Springe nach Hamburg gekommen bin, haben mich die meisten nicht für voll genommen. Es war ein steiniger Weg, ich hatte viel Gegenwind, von der Gesellschaft und von meiner Familie, die mich nicht unterstützt hat.
Es hat Jahre gedauert, bis ich von meiner Arbeit als Travestiekünstlerin leben konnte, zwischendurch stand ich einmal kurz vor der Insolvenz, der Strom wurde mir mehrfach abgestellt, weil ich Rechnungen nicht bezahlen konnte. Das hat mich alles geprägt, aber dadurch bin ich auch zu dem geworden, der ich heute bin. Ich wollte auf die Bühne, ich wollte meine Weiblichkeit ausleben und den größtmöglichen Spaß in meinem Leben haben.“
… den Wunsch der Eltern, der Sohn möge Versicherungskaufmann werden:
„Das meinten die wirklich ernst. Ich wäre der schlechteste Versicherungskaufmann aller Zeiten geworden, so eine Art Stromberg im Fummel. Und ich wäre auf keinen Fall glücklich geworden. Deshalb kann ich Eltern nur raten, ihre Kinder in ihren Lebens- und Berufswünschen zu unterstützen. Sie müssen es doch wenigstens versuchen können. Und: Es ist doch besser, wenn sich ein Sohn etwas schminkt und Frauenkleider anzieht, als Drogen zu nehmen, zu trinken oder zu rauchen.“
Hier geht es zum Podcast mit Olivia Jones
… den Vater, der eines Tages von der Arbeit nicht nach Hause gekommen ist:
„Mein Vater hat dieses Party-Gen, das ist das Einzige, was ich von ihm geerbt habe. Er war gern mal nächtelang unterwegs. Deshalb haben wir uns erst nichts dabei gedacht, als er von seinem Job in der Bank abends nicht nach Hause kam. Wir dachten, dass er in der Kneipe ist. Und dann kam die Polizei, weil mein Vater mehr als eine Million D-Mark gestohlen und sich damit nach Brasilien abgesetzt hatte. Das First-Class-Ticket am Lufthansa-Schalter hat er aus seiner Beute bar bezahlt. Ich war elf Jahre alt und stand plötzlich am Pranger, alle haben mit dem Finger auf mich gezeigt: Guck mal, da ist das Verbrecherkind.
Einige haben gedacht, dass meine Mutter und ich mit meinem Vater unter einer Decke stecken. Das war eine Erfahrung, die mich sehr verletzt hat. Ich habe später versucht, meinem Vater eine Brücke zu bauen und ihm zu verzeihen, aber ich muss sagen, es ist mir nicht gelungen. Es gibt unverzeihliche Dinge im Leben, und diese Geschichte gehört für mich dazu. Und leider hat er mir gegenüber auch nie Reue gezeigt, sondern mich eher dafür kritisiert, dass ich als Junge geschminkt zur Schule gegangen bin. Als sei das schlimmer, als seine Familie allein zu lassen.“
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… Schönheitsoperationen:
„Ich habe ja immer gedacht, dass ich wenig habe machen lassen, bis ich für das Buch angefangen habe, einmal nachzuzählen und es überhaupt kein Ende nahm. Man muss wirklich aufpassen, dass das nicht zur Sucht wird. Und ich stehe auch dazu, dass ich mir alle vier Monate Botox spritzen lassen. Das machen wir Mädels im Showgeschäft alle, die wenigsten reden aber darüber.“
… einen überraschenden Anruf ihres Schönheitschirurgen:
„Als ich die Nummer auf meinem Handy sah, dachte ich, dass er wieder für seine Praxis die Weihnachtsfeier bei uns reservieren will. Aber es ging um etwas anderes: Er hatte ein aktuelles Foto von mir gesehen und festgestellt, dass meine von ihm operierte Nase abgesackt war – und das wollte er beheben. Wer weiß, was noch alles absackt …“
… eine Verkürzung der Beine:
„Ich habe mir sechs Zentimeter Knochen aus den Beinen entfernen lassen. Das war medizinisch notwendig, weil ich eine Beinlängendifferenz hatte, mein Becken schief stand und ich starke Rückenschmerzen hatte. Das war schon eine krasse Operation, was ich vorher nicht so wahrhaben wollte.
Die Schmerzen waren extrem, ich würde das keinem empfehlen, auch wenn ich heute ganz froh bin, dass ich es gemacht habe. Die Rückenschmerzen sind nämlich weg, ich fühle mich komplett wohl. Die Knochen habe ich übrigens aufbewahrt. Ich hatte sie in der Olivia-Jones-Bar ausgestellt, aber weil sich die Gäste davor geekelt haben, kommen sie in meinen Kostümfundus über der Bar, den wir unseren Kieztourgästen zeigen, sobald es wieder los geht.
… die Zeit nach Corona:
„Es wird eine Explosion der Lebensfreude geben, meine Lunte brennt natürlich schon. Wenn es irgendwann bergauf geht, dann aber richtig, und das werden wir auf St. Pauli als Erstes merken. Das wird ein gewaltiger Bums! Bis dahin müssen wir durchhalten. Im Moment fehlt vielen von uns das, was das Leben ausmacht, das sind schwere Zeiten.
Wir unterstützen uns in der Olivia-Jones-Familie, zu der inzwischen rund 100 Menschen gehören, so gut es geht, und sind füreinander da. Es ist eine große Herausforderung für uns alle, und ich mache mir echt Sorgen um St. Pauli, das ja von seiner Vielfalt und den ganzen kleinen Läden lebt. Und was wäre Hamburg ohne St. Pauli?“
… Dschungelcamp:
„Ich war damals wahrscheinlich die Einzige, die sich dafür beworben hat. Heute ist das ja anders. Es ist die größte Sendung im deutschen Fernsehen, eine gute Plattform, um Werbung für meine Betriebe und mich zu machen. Ohne das Dschungelcamp wäre ich in so kurzer Zeit weder zu „Wetten, dass …“ noch zu Maischberger gekommen, das hat mich schneller auf ein anderes Level gebracht.
Es ging mir darum, bundesweit noch bekannter zu werden, und ich bin ein großer Trash-TV-Fan, liebe solche Shows. Trotzdem würde ich nie wieder daran teilnehmen. Denn das Dschungelcamp ist eine Herausforderung, nicht wegen der Hitze oder der Kakerlaken, sondern wegen der Mitcamper. Das wäre schon mit der eigenen Familie ein Horror.“
… Angela Merkel:
„Ich bewundere Frau Merkel dafür, wie sie es als Frau zwischen diesen ganzen Alpha-Männchen geschafft hat. Das ist schon krass. Sie steht da in ihren lustigen bunten Sakkos zwischen Putin, Erdogan und Trump, das finde ich schon irre. Dass alles an der abprallt, bewundere ich schon. Ich könnte das nicht, ich würde durchdrehen.“