Hamburg. Der Musiker feiert doppelt: Sein zweites MTV-unplugged-Album erscheint. Und dann war da doch was am 13. Dezember 1968.

Es sind noch elf Tage bis Weihnachten. Hamburg, der 13. Dezember 1968. Am Hauptbahnhof hält ein Lkw. Ein junger Mann steigt aus, mit kleinem Gepäck. Er kommt aus der Provinz getrampt, hat ein Paar Trommelstöcke dabei, 200 Mark und die Adresse der Jugendherberge Stintfang. Aber eigentlich ist es ihm egal, wo er die Nacht verbringt. Hauptsache Hamburg.

50 Jahre später. Unser Mann ist ­inzwischen 72 und nur wenige Meter von dem Ort entfernt gelandet, an dem das Abenteuer seines Lebens begann. Hotel Atlantic, vierter Stock. Udo Lindenberg hat eingeladen, eigentlich nicht wegen seines Hamburg-Jubiläums, sondern wegen der Veröffentlichung seines zweiten MTV-unplugged-Albums: „Können wir halt doppelt feiern! Will jemand einen Eierlikör?

Ein Jahr Arbeit am Album

Ein Jahr lang haben Udo, seine Freunde aus der Panikfamilie und die Plattenfirma an dem neuen ­ Album gearbeitet. „Das war wie Weihnachten, jeder durfte sich Lieder wünschen“, sagt Udo. Gar nicht so einfach: Rund 700 Titel standen zur Auswahl, zum Teil aus grauester Vorzeit, als „ich ­irgendwie noch nicht so eine Stimme hatte wie heute“. Wer sich etwa „Radio Song“ damals und jetzt anhört, erkennt weder das Lied noch Lindenberg wieder: „Muss ja auch für was gut gewesen sein, all der Whisky“, sagt Udo, um dann ernst zu werden: „Ich singe heute auch anders, weil ich das erlebt habe, was ich erlebt habe.“

Die Story vom Mann mit dem Hut, der nicht nur tief ins Glas, sondern noch tiefer in den Abgrund geblickt hat. 4,7 Promille und dann der „Deal mit sich selbst“: Tausche Alkohol- gegen Bühnenrausch, tausche mitleidige gegen anerkennende Blicke. Wäre der heutige Erfolg möglich gewesen ohne den Absturz von damals? „Nein“, sagt Udo.

 Drei Konzerte auf Kampnagel

Sein erstes MTV-Unplugged-Album hat sich rund 1,2 Millionen Mal verkauft. Es gibt Kritiker, die die Nummer zwei schon jetzt besser finden. Dabei sind die großen Lindenberg-Hits, „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“ und so auf ­Numero uno – sicher war sicher. Teil zwei, „Live vom Atlantik“, ist gewagter, der Versuch, alte Udo-Songs in die neue Zeit zu übersetzen.

MTV Unplugged - Live vom Atlantik.
MTV Unplugged - Live vom Atlantik. © Warner Music | Warner Music

Mit dabei wieder viele Freunde, Jan Delay, Alice Cooper, Gentleman, Marteria, Maria Furtwängler, Andreas Bourani, die australischen Superstars Angus und Julia Stone. Udo hätte gern noch Lady Gaga dabei gehabt hat, doch die konnte an den Aufzeichnungsterminen nicht, und Campino von den Toten Hosen musste wegen seines Hörsturzes absagen. Aber sonst: das volle Programm, drei Konzerte auf Kampnagel, jetzt die CD, DVD.

„Dann sage ich, dass ich ein Udo-Double bin.“

Der Endpunkt eines an Höhepunkten für Udo reichen Jahres: Seine Biografie ist seit Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste, mit seinen Bildern gehört er zu den erfolgreichsten deutschen ­Malern, die Termine für die Konzert-Tour 2019 stehen. „Es könnte nicht besser sein“, sagt der Mann, der im Dienst immer Hut, Sonnenbrille und grüne ­Socken trägt. Und der gern privat im Kapuzenpullover und mit aufgemaltem Schnurrbart durch Hamburg stromert, sich treiben lässt. „Ich liebe das, ich brauche das.“ Und wenn ihn doch einer erkennt? „Dann sage ich, dass ich ein Udo-Double bin.“ Klappt fast immer.

Rastlos ist er geblieben, dabei aber diszipliniert geworden. Raucht fürs Foto Zigarre, sonst aber gern E-Zigarette. Joggt nachts um die Alster, isst wenig und gesund, läuft bei Konzerten gern mal 13, 14 Kilometer auf der Bühne – um sich danach wie ein Profisportler mit Eis behandeln zu lassen. „Soll ja noch weitergehen, immer weitergehen.“

Udo Lindenberg genießt die Anerkennung

Was ihn antreibt? Das Geld ist es nicht mehr, auch wenn zwischendurch mal fast alles weg war, auch so ein Fehler, der ihm nicht noch mal passiert. Udo Lindenberg genießt die Anerkennung, den späten Ruhm, und verfolgt sein altes Ziel: Die Welt mit seiner ­Musik ein bisschen besser zu machen. Auch wenn er sich auf Konzerten oft fragt, wie lange er Stücke wie „Wozu sind Kriege da?“ noch singen muss, sagt er: „Unsere Welt ist heute viel, viel besser als vor 50 Jahren. Wir haben so viel erreicht, und wir können gemeinsam noch so viel mehr erreichen.“

Bleibt die wenig originelle Frage nach seinem Lieblingsstück auf der neuen Platte: „Kleiner Junge“, sagt er. Passt irgendwie zu diesem 13. Dezember, einem ganz besonderen Tag.