Hamburg. Es sollte besinnlich werden. Doch dann ging im Großen Saal doch der Entertainer mit dem kanadischen Tastentausendsassa durch.

Der kanadische Tastentausendsassa Chilly Gonzales ist ein Garant für eine enorme Konzertenergie. Anlässlich seines Sommerfestival-Konzertes in der ausverkauften Elbphilharmonie wollte er nun einmalig einen eher besinnlichen Abend mit Werken aus seinen drei Solo-Piano-Alben geben.

Schöne Miniaturen sind darunter, das aufmüpfig impressionistische „Gogol“ oder das melodische „Overnight“ aus „Solo Piano“ (2004), später wird es lebendiger mit „The Tourist“. Der sonst so redselige Pianist – wie üblich im dunklen Herr-von-Eden-Bademantel mit pinkfarbenen Socken und Hausschuhen - bleibt jedoch lange stumm.

Lieber lässt er eine Video-Projektion von Nina Rhode sprechen, die seine Tastenarbeit in eine elegante Schwarz-Weiß-Nahaufnahme überträgt. Nicht nur für die Pianisten im Saal ist es faszinierend, die Entstehung der Klänge dicht zu verfolgen. Erstaunlich flach gleiten Gonzales’ Finger über die Tasten. Souverän jonglieren seine Hände mit Trillern, Oktaven und komplizierten Akkorden. Mit melancholischen Harmonien und versöhnlichen Enden.

Im Angesicht des immer stärker brandenden Applauses hält Gonzales Papiere mit „Danke“ und „Ich liebe Hamburg“ in die Kamera. In „Solo Piano II“ (2012) werden die Arrangements ausgefeilter, die Sounds opulenter. Ob in dem rhythmischen „White Keys“ oder der dramatischen „Minor Fantasy“.

Der Entertainer bricht durch

Und irgendwann bricht dann doch der Entertainer Gonzales durch, sucht – inzwischen begleitet von der famosen Violoncellistin Stella Le Page – den Austausch mit dem Publikum. Auch wer die letzten fünf Konzerte besucht hat, dürfte keine Anekdote zweimal hören. Fröhlich lästert er über die Ödnis von Tonleitern und über Rapper, die seine Musik benutzen. Aus dem aktuellen Werk „Solo Piano III“ (2018) erklingt „Treppen“ und das verschmitzte „Chico“. Gonzales spickt seine lässige Neoklassik gekonnt mit Jazz-Rhythmen und manch impressionistischem Touch.

Das letzte Konzert im Dezember in der Laeiszhalle war ja schon grandios, fand auch Gonzales. Dieses sollte es für beide Seiten noch toppen. Je konzentrierter und leiser das Publikum, desto ausgelassener und frecher agiert der Künstler. Unermüdlich arbeitend haut er schließlich einen virtuosen Klassiker nach dem anderen raus, „Knight Moves“, „Smothered Mate“ und das ganz frühe, grenzüberschreitende „Take Me To Broadway“. Mit dem John-Cage-„Cover“ „4’33“ und eben so vielen Minuten Stille setzt er einen eindringlichen Kontrapunkt. Das furiose Finale absolviert Gonzales im durchgeschwitzten Bademantel an der Elbphilharmonie-Orgel. Längst ist er eine Klasse für sich. Ein Abend zum Niederknien vor Glück.