Hamburg. Der britische Komponist und Dirigent Sir George Benjamin bot in der Elbphilharmonie beim NDR-Konzert kein joviales Schunkelprogramm.

Der rote Faden dieses Konzerts war nicht
nur rot. Er war kunterbunt und wurde im Verlauf des Abends immer
schillernder, und er hatte ein stets gut durchhörbares Muster, das
sich auf Debussys Klangphilosophie bezog.

Kein joviales
Schunkelprogramm also, das der britische Komponist und Dirigent Sir
George Benjamin
bei seinem NDR-Konzert an diesem Freitag als
Wochenend-Einstieg in der Elbphilharmonie anbot.

Auch bei diesem
Auftritt blieb Benjamin – Stamm-Gast in der laufenden Saison –
seiner Maxime treu, sich nicht unnötig vor Publikum zu
echauffieren. Er befand sich zwar im Mittelpunkt der Bühne, war aber
als Dirigent schnell so gut wie unsichtbar.

NDR-Konzert in der Elbphilharmonie mit Feinschliff

Der Feinschliff hatte
offenkundig in den Proben stattgefunden. Sehr angenehm, indeed:
genau dosierte Anweisungen für die jeweiligen Instrumentengruppen,
genaues Gespür dafür, wie man der Kollektivleistung nicht im Weg
steht.

Derart sicher in die Spur gesetzt, entlockte er sogar
Strawinskys eher spröden „Symphonies d’instruments à vent“ diskret
aufblühenden Charme, waren sie doch, als posthume Verbeugung vor
dem Kollegen Debussy komponiert, auch Einstimmung auf die
Klangfarben-Schattierungen in dessen „Trois Nocturnes“.

Hier hätten
die Tongemälde etwas mehr inneres Glühen vertragen können, doch
Benjamin konnte womöglich nicht ganz aus seiner Komponisten-Haut,
sie wie seinerzeit Pierre Boulez mit analytischer Tiefenschärfe und
nicht unmittelbar schwärmerisch ausholend darstellen zu wollen.

Hauchfeine Harfen-Einwürfe

Kann man so machen; auch das hat seinen dann allerdings coolen
Reiz. Wunderbare Entschädigung für die kleinen Defizite waren die
Aha-Momente, wenn aus der Instrumentationspracht unerwartet
hauchfeine Details wie die Harfen-Einwürfe aufflackerten.

Auch zwei
Jahre nach der Eröffnung ist dieser Saal immer wieder für solche
Akustik-Überraschungen gut. Der NDR-Frauenchor umspielte die vom
Orchester anschaulich dargelegten Strukturen im „Sirènes“-Satz mit
zarten Aquarelltönen, als Lied ganz und gar ohne Worte.

Countertenor Bejun
Mehta bravourös

Mit Text
und in atmosphärischer Nachbarschaft zu Debussys Abstraktionen
folgte Benjamins Gedichte-Vertonung „Dream of the Song“. Solist,
wie immer vorzüglich und mit packender Intensität um jeden Vokal,
jeden Konsonant, jede Silbe bemüht, war der Countertenor Bejun
Mehta
.

Er verwob die Gesangslinien bravourös mit den
Orchesterstimmen, ohne sich darin zu verlieren. Und auch hier kam
der NDR-Frauenchor als effektstark eingesetzte Zusatzfarbe ins
Spiel.

Mit Skrjabins „Le poème de l’extase“, einem Rausch für
großes Orchester, das ständig klingt, als hätte der selbstverzückte
Komponist beim Schreiben eine Überdosis „Tristan“-Akkorde intus
gehabt, ließ Benjamin die Zügel lockerer als bei den „Nocturnes“. Das Tutti genoss den freien Fall in ein Universum aus Farbverläufen
und Ideenschwaden.

Konzert wird wiederholt

Das Konzert wird am heutigen Sonnabend, 20 Uhr,
wiederholt. Am 5. April folgt im Kleinen Saal der Elbphilharmonie
das Gesprächskonzert „George Benjamins Universum“. Für beides evtl.
Restkarten an der Abendkasse.

Am 7. April
zeigt die Staatsoper die deutsche Erstaufführung von Benjamins „
Lessons in Love and Violence“, dirigiert von Kent Nagano und
inszeniert von Katie Mitchell.