Berlin. Der Regisseur spricht über seinen neuen Film, die Deutungshoheit über die DDR und warum sie ein Mekka für Märchenerzähler ist.
Lange schon wollte Leander Haußmann diesen Film machen, bei dem viele schon beim Titel „Stasikomödie“ zusammenzucken: Wie soll man über die Stasi lachen? Lange sah es nicht danach aus, dass der Film- und Theaterregisseur sein Projekt realisieren könnte. Stattdessen hat er es erst mal auf die Bühne gewuchtet, 2018 in der Volksbühne, als „Staatstsicherheitstheater“. Nun aber hat der 62-Jährige, der als Jugendlicher selbst bespitzelt wurde, genau wie sein Vater, der Theatermime Edzard Haußmann, seine schöne Rache am alten Stasi-System doch noch umgesetzt. „Stasikomödie“ startet am 25. Mai im Kino, am 12. Mai ist Weltpremiere im Delphi Filmpalast. Wir haben den Regisseur im Hotel Ritz Carlton dazu befragt.
Herr Haußmann, wie lange haben Sie für Ihr Projekt gekämpft? Und wie ist es doch noch ein Film geworden?
Leander Haußmann Diese Idee kam mir, als ich „Hamlet“ am Berliner Ensemble inszeniert habe. Das muss so vor elf Jahren gewesen sein. Zur Entspannung ging ich gern mal zu Dussmann. Da fand ich ein Buch, das hieß „Top Secret“. Ein Fotoband über die Staatssicherheit. Da waren Fotos drin, deren Komik mir schon auf dem Cover entgegen sprang. Bisher unveröffentlichtes Observations-Material, mit Haustieren drauf, die sie niedlich fanden, und Selbstporträts, meist im Rückspiegel ihrer Fahrzeuge, wohl weil ihnen langweilig war. Soviel banale Menschlichkeit, dachte ich, muss mal erzählt werden. Komisch, dass noch keiner auf die Idee kam, diesen Verein mal in einer Komödie zu porträtieren. Also dachte ich darüber nach, wer der Typ gewesen sein könnte, der während seiner Kundschafterarbeit Katzen fotografiert und Hamster. Und so ist der Film dann das geworden, was er jetzt ist.
Sie haben sich einst selbst in der, wie es im Film so schön heißt, „negativ-dekadenten“ Künstlerszene getummelt, die von der Stasi ausgespitzelt wurde. Wie kann man dann darüber eine Komödie drehen? Weil man die Stasi nie ernst genommen hat? Weil Sie über sie triumphieren, wenn Sie über ihr stehen?
Haußmann: Mir tut der Mensch auch leid, der da unten steht und mich beschatten soll. Wir haben hier oben Spaß, und er muss da unten in einem Auto auf uns warten und vor Langeweile Selbstporträts machen. Das ist hart für den, vor allem wenn er so jung ist wie wir. Es gab kaum Frauen bei der Stasi, das war ein Männerverein, mit jungen Leuten, ich glaube 70 Prozent unter 25 Jahren. Die sahen so aus, sie waren ihr eigenes Klischee. Und wir haben uns über die kaputtgelacht, schon zu DDR-Zeiten, wir fühlten uns ihnen überlegen. Damals habe ich sie gehasst, heute leiste ich mir auch ein bisschen Empathie. Auch wenn es viele anders sehen wollen. Das ist so ein unausgesprochener Kampf um die Deutungshoheit.
Inwiefern Deutungshoheit?
Haußmann: Die Leute im Westen tun immer so wisserisch, weil die DDR ein Unrechtsstaat war, wie der Schüler im Geschichtsunterricht jetzt auch immer dazu sagen muss, ansonsten: Setzen, fünf! Die DDR war scheiße, klar, furchtbar. Aber gelebt haben wir trotzdem. Als Opfer sehe ich mich nicht, wir haben ihnen auf der Nase rumgetanzt. Das gilt bis heute und reicht in alle Diktaturen hinein. Man kann noch so viele Verbotsschilder anbringen oder mit MGs die Straßen patrouillieren: Der Spaß am Leben wird sich immer eine Schneise im Dschungel der Verbote schlagen. Das ist auch eine Art Sabotage, wir waren der Putz, der abgebröckelt ist und irgendwann die Mauer zum Einsturz brachte. Oder wie es in meinem Film „NVA“ heißt: der Rost am Schwert des Sozialismus.
Manche Stasi-Opfer werden das mit dem Spaß aber wohl deutlich anders sehen.
Haußmann: Meine Komödie leugnet nicht die Grausamkeit des Systems, und ich finde auch nicht, dass sie es verharmlost. Ich bin aber auch nicht vom Agitations- und Propagandaministerium, das die immer gleiche Botschaft von Gut und Böse und Schwarz und Weiß zu verbreiten hat. Es kann nicht sein, dass die Welt, gerade, wenn eine Diktatur kaputtgegangen ist, nur Opfer oder Täter kennt. Und dazwischen gibt es nichts. Die meisten Filme feiern ja den Mut. Ich feiere die Feigheit. Ich glaube, dass man feige sein darf.
Noch mal zurück zur Deutungshoheit …
Haußmann: Ich muss oft feststellen, wie wenig doch der Bundesbürgermensch über uns weiß, und dass er darauf auch noch stolz zu sein scheint. Neben pauschalisierenden Witzen über uns, über die wir dann selbsthumorig lachen sollen, ist er doch immer wieder verblüfft, was wir zu erzählen haben, neben den Rennern von Spreewaldgurken und Plattenbau. Der Paragraf 175 wurde in der DDR schon 1968 abgeschafft und Schwangerschaftsabbruch war in der DDR schon ab 1972 erlaubt. Staunen über Staunen! Ironischerweise bin ich erst im Laufe meiner Karriere in der Bundesrepublik zum Ossi geworden.
Das müssen Sie erklären.
Haußmann: Ich war ja eigentlich ein Wessi, solange ich im Osten lebte. In meiner Antihaltung, meiner Identifikation mit der Popkultur, Ostfernsehen war bei uns strengstens untersagt. Da war mein Vater wachsam, dass wir nicht den Feindsender sahen, „Aktuelle Kamera“ oder so. Es ist so schwer, einem, der dort nicht gelebt hat, zu erklären, dass wir uns auch unter den Bedingungen in der DDR frei gefühlt haben. Weil Freiheit ein zutiefst innerer Vorgang ist und auch mit Entscheidungen zu tun hat, die man mit sich selbst ausmacht, nicht mit Neckermann. Sie dürfen nicht vergessen, Leute wie ich sind marxistisch erzogen, das ist immer noch besser, als gar keine Ahnung zu haben. Wir kennen die Definition der Begriffe. Eine Revolution ist in marxistisch-leninistischer Definition blutig. Friedliche Revolution klingt in meinen Ohren wie schwarzer Schimmel. Wie danach jeder was von dem Kuchen abhaben wollte, das war eines Rechtsstaates nicht würdig. Und die Stasileute hat man einfach auf die Straße gesetzt, hat es den Betrieben überlassen, ob man IMs übernimmt oder nicht. Wenn man das Gesetz der Straße überlässt, dann entsteht eine Subkultur, wie wir sie jetzt auf den Straßen im Osten erleben.
Sie sehen da einen direkten Zusammenhang zu Pegida und den Montagsdemonstrationen in Dresden und anderswo?
Haußmann: Aber klar! Wenn du ein Leben lang gearbeitet hast und dann keine Pension kriegst, ist doch klar, dass da Hass entsteht. Ich will die Stasi nicht rehabilitieren. Aber man muss das alles mal in Relation setzen. Unter unser aller Augen wird ein Mensch in einer Botschaft in der Türkei zerhackt. Also sowas hat die Stasi jedenfalls nicht gemacht!
Ihr Film ist lange einer über die Szene, in der Sie sich selbst damals bewegten. Aber mit dem Blick von außen, dem eines Spitzels. Ist das auch eine bewusste Provokation?
Haußmann: Es sollte eigentlich ein Film über die Bohème werden. Aber dann habe ich mir all diese Filme über Künstler und die Künstlerszene angesehen. Und mich gefragt, wer interessiert sich eigentlich für Künstler? So kam ich auf die Idee: Warum die Szene nicht durch jemanden zeigen, der eigentlich nicht dazugehört, sondern sie ausspitzelt?
Wie viel Leander Haußmann steckt eigentlich im Film? Im Abspann liest man etwa „Ich in der Schlange“ und „Mein damaliges Ich“.
Haußmann: Ich stecke vielleicht in mehr Figuren, als ich möchte. Furchtbarerweise auch in dem versoffenen asozialen Stasi-Offizier Siemens, den Henry Hübchen da spielt. Letztlich ist das ja eine Vater-Sohn-Geschichte. Der Führungsoffizier geht ja am Ende gar nicht mehr seinem Beruf nach, der verzettelt sich, indem er diesen Jungen wie einen Sohn betrachtet.
Haben Sie eigentlich einmal Einblick in Ihre Stasi-Akte genommen?
Haußmann: Oh ja. Ich bin sehr stolz auf meine Akte, die bedeutet ja, damals wie heute, gesellschaftliche Akzeptanz. Was denken Sie, wie viele Freunde von mir neidisch auf sie sind. Aber keine Akte ist so aufregend wie die von meinem Vater. In vielen Momenten auch komisch, und ein bisschen peinlich. Er hat alles gesagt, was er denkt. Wie ich hatte er keinen Filter, es musste einfach raus. Und wie ich dem Bericht eines IM entnehme, bat der, von der Zielperson „H“ abgezogen zu werden, weil er dessen Sauftouren nicht mehr mitmachen könne. Dem wurde offensichtlich von höherer Seite entsprochen. Wissen Sie, mein Vater war kein Kostverächter. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten als junger Schauspieler an einem Theater, sitzen in der Maske, bekommen einen Brief von der Geliebten, zerreißen den und werfen ihn in den Papierkorb. Der Maskenbildner, ein IM, klaubt die Schnipsel raus und klebt sie wieder zusammen, man kann ja nie wissen, wozu so ein Beweismittel gut ist. 60 Jahre später findet sich dieser Brief in der Akte. Meine Mutter war not amused. Das musste dann auch in meinen Film.
Andere Szenen erinnern nicht zufällig an „Das Leben der Anderen“. Ist Ihre „Stasikomödie“ eine Parodie auf den Oscar-Film?
Haußmann: „Das Leben der Anderen“ war ja selber schon eine Parodie. Ich hatte mit dem Florian (Florian Henckel von Donnersmarck, die Red.) darüber ein längeres Gespräch. Er hat mir erzählt, dass der Film sogar Stoff in der Schule ist. Ich habe nur gefragt, in welchem Fach denn? Er antwortete voller Stolz: Geschichte. Ich meinte nur, das würde ich mir verbitten. Da gehört der Film nicht hin. Das wäre ja, als würde man „Zwölf Uhr mittags“ zeigen, um die Erschließung des Westens zu erzählen. Es gibt wahrscheinlich 17 Millionen Ansichten von der DDR. Der Film ist eine Metapher auf etwas ganz anderes: wie wir uns so durchs Leben lügen.
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Sie haben „Sonnenallee“ und „NVA“ gedreht. Ist die „Stasikomödie“ sowas wie das Ende einer Aufarbeitung, gar eine Quintessenz?
Haußmann: Nein! Nur 25 Jahre dauerte die Besiedlung des Wilden Westens, danach kehrte Recht und Gesetz ein. Diese 25 Jahre aber werden im Westernfilm wieder und wieder erfolgreich bemüht, es ist das amerikanische Genre schlechthin. Wir hier haben auch ein ureigenes Genre, das ist der Ost-Film. Und ich möchte, dass das eine Spielwiese wird. Mit Figuren, die uns bekannt sind wie der Sheriff oder der Revolverheld: Hier der ABV, da der Stasi-Mann… Ich habe gerade die erste Fassung eines Remakes von „Abwärts“ geschrieben, ein Film aus den 80ern. Da stürzte ein Fahrstuhl ab. Das passiert heute ja nicht mehr, alles ist abgesichert. Ich war also gezwungen, den Film wieder in die DDR zu verlegen. In der DDR kann ich alles kaputtgehen und abstürzen lassen… Denen da traut man doch alles zu, so wenig wie sie wissen. Ein Mekka für Märchenerzähler.