Hamburg. Großartige Choreografie, fantastische Tänzer in Christopher Wheeldons Version von William Shakespeares leidenschaftlicher Erzählung.

Sprunggewalt, Innigkeit und große Emotionen: Christopher Wheeldons Ballett-Version von William Shakespeares „The Winter’s Tale“ wurde am Premierenabend anlässlich der 47. Hamburger Ballett-Tage in der Staatsoper zum Triumph für den britischen Choreografen und sein Team.

Für das Hamburger Publikum ist es gewiss ungewohnt, eine andere Bewegungssprache zu erleben, als die tiefe psychologische Auslotung von John Neumeier, des langjährigen Intendanten des Hamburg Balletts. Und doch lässt es sich zugewandt darauf ein. Mit Gewinn.

Hamburger Ballett-Tage: Musik zieht in Abend hinein

Der Stoff hat es in sich: Shakespeare erzählt in „The Winter’s Tale“ eine mit Leidenschaft gespickte Geschichte über Eifersucht und Vergebung. Doch Wheeldon entwickelt daraus einen im besten Sinne zugänglichen, kulinarischen Ballett-Abend. Er huldigt der neoklassischen Tradition – und präsentiert sie doch in modernem, kunstvoll komponiertem Gewand.

Das beginnt beim Bühnenbild von Bob Crowley aus wechselnden, wild aufgetürmten Wolkengebirgen. Sie liefern den Hintergrund für große Gemälde, deren romantische Naturansichten ein wenig an Andreas Mühe erinnern. Crowley ist auch verantwortlich für die einfarbigen, fließenden Kleider und zurückhaltend prachtvollen Gewänder. Es setzt sich fort in der fast cinematografisch angelegten Musik von Joby Talbot. Die melancholischen Harmonien mit ihrem dramatischen und bald gegenläufigen Auf- und Abwogen, akkurat gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von David Briskin, ziehen einen unweigerlich in den Abend hinein.

Mensch verliert Bezug zur Realität

Die Erzählung beginnt mit einem schnörkellosen Prolog. Die beiden Könige Leontes von Sizilien und Polixenes von Böhmen sind Freunde seit Kindertagen. Félix Paquet verleiht Leontes ausladende, machtbewusste Gesten. Jacopo Bellussi wiederum gibt Polixenes als selbstbewussten Galan. Leontes‘ Frau Hermione, getanzt von der filigranen Ida Praetorius, verbringt Zeit mit Polixenes.

Die anfängliche Harmonie des Trios weicht nach einem dramatischen Moment. Die Armzuckungen des Félix Paquet deuten an, dass hier ein Mensch den Bezug zur Realität verliert und in den Wahnsinn gleitet. Befeuert vom Gift der Eifersucht wittert er bald Verrat, glaubt, das Kind, das Hermione unterm Herzen trägt, sei das des Freundes. Mit schrecklichen Folgen. Als Hermione eine Tochter, Perdita, gebiert, lässt er sie einsperren und das Kind verbannen. Der ältere gemeinsame Sohn Mamillius übersteht das Drama nicht und stirbt. Hermione wird weggebracht.

Großartige mystische Bilder

Das verbannte Baby strandet nach einer wilden Überfahrt, die Wheeldon gekonnt als großformatigen Film in Szene setzt, mit einem Smaragd und weiteren Schätzen versehen, in Böhmen, wo es ein Schafhirte und sein Sohn Clown (Lloyd Riggins und Aleix Martínez) finden. Bald wächst die von Madoka Sugai in einem Solo hinreißend getanzte junge Perdita fröhlich in einem naturnahen Paradies heran. Ein gigantischer, Moos bewachsender Baum von leuchtendem Grün bildet das Zentrum, über und über behängt mit goldenen und silbernen Talismanen.

Es sind großartige mystische Bilder, die Wheeldon hier findet. Die Schäferwelt ist erfüllt von Dynamik und tänzerischem Feuer. Schon bald verliebt sich ausgerechnet der von Alexandr Trusch gewohnt sprung- und emotionsstark gegebene Prinz Florizel, Sohn des Polixenes, in Perdita. Und Trusch und Sugai tanzen einen vollendeten Pas de Deux mit Hebe- und Drehfiguren voller Hingabe. Beide liefern ein Bildnis überzeugender Innigkeit.

Alle Facetten des Schmerzes werden ausgelotet

Es naht das Frühlingsfest. Hier versammelt sich das Corps de Ballet als Böhmens Gesellschaft in farbigen, dezent folkloristischen Kostümen, zu einem ausladend getanzten Tableau. Doch Polixenes ist die vermutete Liebesbeziehung seines Sohnes mit der vermeintlich einfachen Schäferin ein Dorn im Auge. Und so sprengt er die Verlobung. Die Liebenden flüchten aufs Meer Richtung Sizilien.

Im dritten, dann sehr straff erzählten Akt wird die beklemmende Dunkelheit der Welt Siziliens noch einmal deutlich. Félix Paquets gebrochener, reuevoller Leontes erhält in seiner dunklen, von hohen Säulen und starren Statuen geprägten Einsamkeit Trost von Hermiones Erster Hofdame Paulina, mit unvergleichlicher Anmut gegeben von Silvia Azzoni. Der Kontrast zur Fröhlichkeit der bäuerlichen Schäferwelt in Böhmen ist schmerzlich spürbar. Paquet lotet hier mit großer Wahrhaftigkeit alle Kammern des Schmerzes seiner Figur aus.

Hamburger Ballett-Tage: Stück ist meisterhaft choreografiert

Unverhofft naht doch noch Erlösung. Mit Hilfe von Paulina erkennt Leontes in Perdita seine verbannte Tochter und versöhnt sich mit Polixenes. Schließlich kommt es sogar zur Begegnung mit der tot geglaubten Frau Hermine, die von Paulina verborgen wurde. Und es ist große Kunst, diese Szene, in der Ida Praetorius‘ Hermione aus der Erstarrung als Statue heraustreten darf, nicht in triefender Sentimentalität zu begraben – Christopher Wheeldon hat sie mit Klarheit und Stringenz gemeistert.

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In dem von mystischer Atmosphäre getragenen Ballett scheinen die Figuren am Ende über alle Gräben hinweg auch durch die Magie der Zeit verbunden, nicht nur durch die private Aussöhnung. „The Winter’s Tale“ ist ein von tiefer Dramatik durchzogenes, meisterhaft choreografiert und getanztes Ballett - nicht nur für die Winterzeit.

„The Winter’s Tale“ weitere Vorstellungen 21.6., 1.7., 5.11., 10.11., 11.11., 19.11., jew. 19.30 Uhr, die Hamburger Ballett-Tage laufen noch bis zum 3.7., Hamburgische Staatsoper, Dammtorstraße 28, Karten unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de