Hamburg. An Fassaden von Docks und Großer Freiheit 36 wurde für KenFM, Wodarg und andere Pandemie-Leugner geworben. “Pressekonferenz“ geplant.

Mit einer Kapazität von jeweils 1500 Plätzen sind die Große Freiheit 36 und das Docks Hamburgs größte und auch international bekannteste Konzertclubs. Doch die Zukunft für Docks und Freiheit und ihre angeschlossenen kleinen Bühnen Prinzenbar und Kaiserkeller ist nicht nur durch das vor einem Jahr verhängte Verbot von Liveveranstaltungen gefährdet.

In einem Offenen Brief wandten sich am Mittwoch nahezu alle Hamburger Konzertagenturen an die beiden Clubs und kündigten an, dort zukünftig keine Veranstaltungen mehr zu organisieren. Unterzeichnet haben FKP Scorpio Konzertproduktionen, Karsten Jahnke Konzertdirektion, STP Hamburg Konzerte, Semmel-Concerts, Reeperbahn Festival, Neuland Concerts, a.s.s. concerts & Promotion, Buback Tonträger und Konzerte, River Concerts, King­star Music, OHA! Music und die Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft IHM.

"Alternative Stimmen" zur Corona-Krise an der Docks-Fassade

Hintergrund für den in Hamburgs langer Clubhistorie einmaligen Schritt sind von Docks und Freiheit seit Juni und Juli 2020 zur Verfügung gestellte Plätze für „Wandzeitungen“ an den jeweiligen Clubfassaden.

„Wir haben festgestellt, dass im Zusammenhang mit der Corona Pandemie über die Gefährlichkeit als auch über die Angemessenheit der Maßnahmen in den Mainstream Medien sehr einseitig berichtet wird. Kritische Stimmen, insbesondere aus der Wissenschaft, kommen nur selten oder gar nicht zu Wort. Wir möchten im Rahmen unserer Möglichkeiten alternativen Stimmen Gehör verleihen“, teilte das Docks damals öffentlich mit und gab an, 20 Euro als Unkostenbeitrag für jeden vier Wochen lang aufgehängten Wandzeitungsbeitrag zu erheben.

Im Sommer 2020 begannen Docks und Freiheit ihre Plakat-Aktionen

Die im Sommer 2020 am Docks angebrachten Texte stellten teilweise die Corona-Maßnahmen, die Berichterstattung der dort so genannten „Mainstream-Medien“, Gesundheitsrisiken oder gleich die Pandemie insgesamt infrage, das Echo war massiv. In den Facebook-Kommentarspalten herrschte überwiegend Enttäuschung und Entsetzen, aber auch unterstützende Beiträge waren zahlreich.

Aus erklärter Solidarität erweiterte die Große Freiheit 36 die Docks-Aktion mit einer eigenen Wandzeitung. In einer „emotionalen Sitzung“, wie es hieß, entließ das Clubkombinat, Hamburgs Interessenvertretung von mehr als 100 Musikspielstätten, Docks-Geschäftsführerin Susanne Leonhard aus dem Vorstand, sie selber distanzierte sich in den sozialen Netzwerken in einer – mittlerweile gelöschten – Mitteilung von extremistischen Ansichten und bezeichnete die Kommunikation der Aktion als unglücklich. Die Wandzeitungen blieben, bekamen jedoch beim Reeperbahn Festival im September 2020 und in den Folgemonaten keine Aufmerksamkeit mehr auf dem menschenleeren Kiez.

Docks wirbt für KenFM, Wodarg und die "Ärzte für Aufklärung"

Neu aufgehängte Plakate an Docks und Großer Freiheit sorgten aber in den vergangenen Tagen für eine neue Eskalationsstufe: „Bewaffnet euch mit Wissen“ war am Spielbudenplatz zu lesen.

Verwiesen wurde dort auf den Blogger und umstrittenen Ex-„Focus“-Journalisten Boris Reitschuster, dem die Gefährlichkeit des Virus leugnenden ehemaligen SPD-Abgeordneten und Mediziner Wolfgang Wodarg und dem nach antisemitischen Äußerungen vom rbb gekündigten Radiomoderator und Verschwörungmythologen Ken „KenFM“ Jebsen. „Corona – ein globaler Staatsstreich“ oder „Halten Sie bitte einen Sicherheitsabstand von mindestens 100 Metern zum Staatsrundfunk, zur gleichgeschalteten Presse (etc.)“ verkündeten weitere Plakate.

Das schreiben die Hamburger Konzertagenturen

Nicht nur für viele Musikerinnen und Musiker, Bühnen- und Tontechnik-Kräfte oder Plattenlabels wie Audiolith Records scheint damit das Maß voll zu sein, sondern auch für die Konzertagenturen, den wichtigsten Partnern des Hamburger Clubbetriebs: „Veranstaltungen unter eurem Dach kommen unter diesen Bedingungen für uns nicht infrage – den daraus entstehenden Schaden für alle Gäste und den Kulturstandort der weltoffenen Stadt Hamburg werden wir dafür in Kauf nehmen“, heißt es in dem Offenen Brief.

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„Mit großer und wachsender Enttäuschung haben wir in den vergangenen Monaten beobachten müssen, dass ihr zunehmend gefährlichem und demokratiefeindlichem Gedankengut ein Forum bietet. Spätestens mit indirekten Aufrufen zur Gewalt und dem Verweis auf rechtspopulistische und verschwörerische ,Medien‘, die diesen Namen nicht verdienen, hat unsere Geduld ihr Ende gefunden.“

Hamburgs Konzertagenturen fordern Docks auf, die Plakate zu entfernen

Die Hamburger Konzertagenturen fordern beide Clubs auf, die Plakate umgehend abzunehmen (am Docks wurden sie bereits entfernt) und künftig persönliche Meinungsäußerungen klar erkennbar als solche darzustellen, „anstatt wie bisher aus der Deckung des Gesamtkonstrukts eurer Spielstätten zu agieren“.

In den Sozialen Netzwerken rollt damit neben Diskussionen um die Grenzen der Meinungsfreiheit die nächste Welle von Kritik, Solidarität, Vorwürfen und Vermutungen aus allen gesellschaftlichen und politischen Richtungen heran. Das ist nicht nur ein Imageschaden für Docks und Große Freiheit, die beide dem Kieler Gastronom Karl-Hermann Günther gehören, der auch in seinem Kieler Veranstaltungsbetrieb „Traum GmbH“ entsprechende Plakate veröffentlichte.

Die umstrittenen „Ärzte für Aufklärung“ haben die Große Freiheit 36 gebucht

Die Geschäftsführenden von Großen Freiheit 36 und Docks sowie die Kulturbehörde haben sich auf Abendblatt-Anfrage noch nicht zum Offenen Brief geäußert. Als nächstes treten jedenfalls nicht wie zuletzt 1987 Die Ärzte in der Großen Freiheit 36 auf, sondern die „Ärzte für Aufklärung“: Das umstrittene Bündnis von Maßnahmen-Skeptischen, Impf-Kritischen und Pandemie-Leugnenden aus Medizin und Heilpraktik lädt an diesem Donnerstag dort zur „Pressekonferenz“. Mit Hygienekonzept.