Hamburg. Endlich hat sie begonnen, die Fortsetzung der Potter-Saga auf der Hamburger Bühne – mit fantastischen Effekten und vielen Anspielungen.
Déja-vu für den pandemiegestählten Zuschauer: Es ist, so kann man es vielleicht formulieren, ohne zu viel zu verraten, eine Art Variante, die Harry Potter neuen Ärger beschert. Eine mutierte Variante des Bösen. Dabei schien das, glaubte man auch unter Magiern und Hexen, gerade so schön überwunden, in Schach gehalten wenigstens, als es von unvermuteter Seite dann doch wieder angreift.
Und so zwingen im Mehr!Theater auf dem Großmarktgelände einerseits Delta und das dahinter lauernde Omikron zum routiniert absolvierten Dreiklang aus Impfpass, Negativtest und Maske, andererseits – auf der Bühne – die Erinnerung an den „dunklen Lord“ zu frischer Wachsamkeit. Voldemort. Man kennt seine Pappenheimer und nennt sie mittlerweile beim Namen.
Theater Hamburg: Harry Potter in opulenter Fortsetzung
Ein wenig Vorwissen sollte schon mitbringen, wer sich – anderthalb Jahre nach der ursprünglich geplanten Premiere – nun also tatsächlich auf „Harry Potter und das verwunschene Kind“ einlässt. Keine Dramatisierung der sieben Romane erwartet das Publikum (das freilich gut durchwirkt ist mit sachverständigen Muggels in Umhang und Hogwarts-Farben), sondern die opulente Fortsetzung der rowlingschen Saga mit den Mitteln des Theaters. In diesem Fall, nach dreimaliger Verschiebung, endlich: die deutschsprachige Erstaufführung.
Fast 20 Jahre sind vergangen nach dem legendären Sieg über Voldemort. Harry Potter – der Junge, der überlebte – muss zwar noch gelegentlich Autogramme auf nackte Bäuche kritzeln, ist aber vor allem ein alerter Aktenfresser im Zaubereiministerium, wo er die Abteilung für magische Strafverfolgung leitet.
Harry Potter mittlerweile mit Ginny verheiratet
Er ist verheiratet mit Ginny, der Schwester seines noch immer besten Freundes Ron, der wiederum mit Hermine (Zaubereiministerin Granger) eine Familie gründete. Harrys Sohn Albus Severus – benannt nach zwei entscheidenden Figuren seines bekanntermaßen nicht ganz unfallfreien Aufwachsens, dem stets gütigen Dumbledore und dem einst fiesen Snape – soll nun den Hogwarts-Express besteigen, um seinerseits im Internat das Zaubern zu erlernen. Und, noch schwieriger, Freunde fürs Leben zu finden.
Das tut Albus, den mit seinem Vater sonst herzlich wenig verbindet. Jedoch auf unerwartete Art: Der sprechende Hut sortiert ihn ins verhasste Hogwarts-Haus Slytherin, Quidditch kann er nicht ausstehen, sein bester Kumpel wird ausgerechnet der nerdige Sprössling von Harrys öligem Gegenspieler Draco: Scorpius Malfoy, ein überdrehter Außenseiter im Dauerstimmbruch, dem das Gerücht anhaftet, Voldemorts unehelicher Sohn zu sein. Es könnte besser laufen.
Harry Potter überwältigt durch das Gesamterlebnis
Stattdessen kommt es schlimmer: Die Jungs ergattern einen illegalen Zeitumkehrer – und schon bald schmerzt Harrys Narbe. Vor allem der Zeitumkehrer ist ein dramaturgisch geschickter Kniff, um die so sentimentalen wie ausgehungerten Potter-Fans mit neuem Stoff zu versorgen und dabei zahlreiche Anspielungen unterzubringen. Fundamentale Schlüsselszenen, entscheidende Requisiten und Figuren: Das trimagische Turnier spielt erneut eine Rolle, die Karte des Rumtreibers, der Tarnumhang.
Ja, „Harry Potter und das verwunschene Kind“ ist ein handlungsgetriebenes Theaterstück. Es erzählt von Vaterkonflikten, von Zusammenhalt und Freundschaft, von den universellen Nöten Heranwachsender. Aber seine enorme Strahlkraft entwickelt der Abend nicht allein aus der Spannung der Geschichte, sondern aus der Überwältigung durch ein Gesamterlebnis.
Mehr!Theater erinnert an den Harry-Potter-Bahnhof King's Cross
Da ist zunächst der Ort des Geschehens, das aufwendig in die Großmarkthallen eingefügte Mehr!Theater. Während die Uraufführungsbühne, das Londoner Palace Theatre, ein nostalgisches Hogwarts-Gefühl vermittelt, erinnert das Hamburger Gebäude – anders, aber nicht weniger passend – eher an den Bahnhof King’s Cross, von dessen Gleis neundreiviertel der Hogwarts-Express seine Reise startet. Die beginnt hier schon in Foyer und Parkett fantastisch: An den Wänden prangen Patronus-Motive, auf dicken, blauen Teppichen das Hogwarts-Emblem, an den Aufgängen halten eiserne Drachenwesen Laternen im Maul. Man betritt – für zweimal zweieinhalb Stunden, die sich mit Pausen auf insgesamt vier Teile strecken – eine andere Welt.
Ein Musical ist die Marathonvorstellung nicht, aber eine sekundengenau durchchoreografierte Produktion. Wie in einem lebendig gewordenen Escher-Gemälde verschieben sich die Treppen und Ebenen und symbolisieren so auch die Ängste und Konflikte der richtungslosen Teenager. In großen Tableaus lässt das Ensemble seine Umhänge flattern und knallen, jeder Schwung ein akustisch untermalter „Swoosh“, der zudem verblüffende Auf- und Abgänge ermöglicht.
Tolle Effekte – aber nichts für allzu junge Potter-Fans
Und die Effekte sind tatsächlich toll, immer wieder reibt man sich verzückt die Augen. Wenn Hermine (resolut und im frauenbewegten Lila: Jillian Anthony) durchs Kaminfeuer saust, scheint tatsächlich Flohpulver im Spiel, im Showdown stürmen die Flammen beängstigend kreuz und quer über die Bühne. Auch im Parkett sollte man darauf gefasst sein, dass einem die Dementoren die Seele aus dem Leib saugen. Das brutale Grauen und der Grusel sind eher nichts für Kinder unter zehn Jahren.
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Aber die Magie, die hier vor allem wirkt, ist der gute alte Theaterzauber. Licht, Sound, Spiel, Vorstellungskraft.
„Harry Potter und das verwunschene Kind“ macht Hoffnung
Das eingespielte Ensemble agiert groß und ohne Scheu vor Pathos. Markus Schöttl ist ein souveräner erwachsener Harry Potter, seinen Sohn Albus gibt Vincent Lang mit Übermut und jugendlicher Spielfreude. Mathias Reiser als Scorpius kiekst sich fantastisch eigenwillig durch seinen Part, verdienten Szenenapplaus erspielt sich auch Glenna Weber als verflucht witzige Maulende Myrte. Und niemand knallt das „P“ in „Potter“ verachtungsvoller als Alen Hodzovic in der Rolle des Draco Malfoy.
Am Ende gibt es Bravos, Standing Ovations – und etwas Hoffnung für die Kälte da draußen. Voldemort hat es wieder nicht geschafft. Bei Omikron ist das Rennen noch offen. Aber auch das ist doch eine Lehre aus weit mehr als 4000 Seiten Potter-Saga: Irgendwas ist immer.
„Harry Potter und das verwunschene Kind“ läuft im Mehr! Theater auf dem Großmarktgelände (Bus 3), Banksstraße 28. Tickets ab ab 49,95 Euro pro Teil (ab 99,90 Gesamtpreis) unter www.harry-potter-theater.de