Hamburg. An der Staatsoper konnte die Publikumspremiere der Operette von Johann Strauß stattfinden. Ein Augen- und Ohrenschmaus.
So ein Rummelplatz ist ja schon ambivalent. Einerseits: Leichtigkeit, Spaß, Rausch. Und auf der anderen Seite ein Ort, dessen Fröhlichkeitsambiente man ansieht, dass es inszeniert ist. Hinter den bunten Kulissen erkennt man die Sperrholzkonstruktion, hinter jedem Witz stecken Gewalt und Abgrund. Entsprechend: Dass Regisseur Renaud Doucet und Ausstatter André Barbe, bekannt unter dem Label Barbe & Doucet, die Hamburgische Staatsoper für Johann Strauß’ Operettenklassiker „Die Fledermaus“ in einen an den Wiener Prater erinnernden Vergnügungspark verwandeln, ist ein stimmiger Einfall.
Weil auch Strauß’ 1874 uraufgeführtes Stück die Ebenen durcheinanderbringt. Zunächst ist die Operette eine genregerechte Verwechslungskomödie, in sich Paare auf Kostümfesten unter ihrer Maskierung nicht erkennen. Und auf einmal wird die Geschichte zu einer Ehetragödie, in der sich ehemalige Liebende nichts mehr zu sagen haben.
Staatsoper Hamburg: Über den Horror des Ehelebens
„Wenn die Flitterwochen vorbei sind, wo wacht man dann auf?“, fragt Gefängniswärter Frosch (der Schauspieler Jürgen Tarrach in einer Sprechrolle). „In einem Gruselkabinett!“ Der dritte Akt findet folgerichtig in der Geisterbahn „Höllenzug“ statt, die als Thema den Horror des Ehelebens hat, und im Finale wanken düstere Hochzeitszombies über die Szene. Lustig ist das nicht mehr.
Aber die Musik! Mit Verve stürzt sich das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Jonathan Darlington bei der Publikumspremiere (zuvor wurden nur Ausschnitte gestreamt) in Strauß’ Walzerseligkeit, vielleicht sogar mit etwas zu viel Verve.
In der berühmten Csárdás-Szene „Klänge der Heimat“, eigentlich gedacht als Höhepunkt der Leidenschaft, kann Jacquelyn Wagner als Rosalinde gar nicht richtig aufdrehen, weil bis zu diesem Zeitpunkt schon durchgängig auf höchstem Energielevel musiziert und gesungen wurde. Hier entpuppt sich die die Überwältigungsästhetik des Abends als Problem: Wo alles groß ist und beeindruckend, lassen sich wenig echte Spitzen setzen.
„Die Fledermaus“: Zwischen Karneval, CSD und Burlesque
Und groß ist, was Barbe, Doucet und Darlington auffahren. Der komödiantische Einsatz insbesondere von Bo Skovhus (als untreuer Lebemann Eisenstein), Narea Son (als Stubenmädchen Adele) und Oleksiy Palchykov (der bei der Premiere erkältet den Liebhaber Alfred nicht singen kann, wohl aber spielen, während der Gesang von der Seite durch den kurzfristig eingesprungenen Robert Watson von der Deutschen Oper Berlin übernommen wird)! Die wirbelnden Ballettszenen!
Und dann: die Ausstattung! Insbesondere der zweite Akt, die champagnerberauschte Party Orlofskys (Jana Kurucová in einer die Geschlechtergrenzen sprengenden Hosenrolle) ist eine Feier der Entgrenzung zwischen Karneval, CSD und Burlesque.
Die sich aber doch immer wieder als Inszenierung entpuppt. „Sie gehen nicht, sondern stehen immer noch da!“ wirft Rosalinde Alfred einmal vor, und der: „So ist das eben in der Oper!“ Man sieht, dass die Kulissen aus Sperrholz sind – ein Rummelplatz ist Mummenschanz, aber es ist schön, sich diesem Mummenschanz hinzugeben.
„Die Fledermaus“ weitere Termine: 28./31.12., 2./4./12.1., Staatsoper, Karten unter staatsoper-hamburg.de; T. 35 68 68