Hamburg. Imagewandel mit der Brechstange: Das Metal-Rap-Konzept des Hip-Hop-Stars ging in der ausverkauften Barclays Arena voll auf die Nüsse.

  • Alligatoah-Konzert an Gründonnerstag in Hamburg – viele Fans verpassen Vorprogramm
  • Zerstörtes Bühnenbild und Nerzmantel: Hio-Hop-Star wagt sich an Metal
  • Für seinen großen Auftritt hatte er prominente Verstärkung dabei

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Heino auf dem Album „Schwarz blüht der Enzian“ sein Schlager-Erbe von „Ja, ja, die Katja, die hat ja“, „Rosamunde“ und „Hoch auf dem gelben Wagen“ durch den Metal-Fleischwolf drehte. Ein Marketing-Gag, so kalkuliert wie der Auftritt im Jahr davor an der Seite von Rammstein in Wacken. Geschadet hat es keinem, amüsiert haben sich viele, aufgeregt haben sich noch mehr. Ja, es war schlimm. Aber schlimmer konnte es ja nicht mehr kommen, oder? Ach, süßes Sommerkind, du wusstest noch nichts von Ex-Rapper Alligatoah, seinem neuen Album „Off“ und seinem Konzert am Gründonnerstag in der ausverkauften Barclays Arena.

Kurze Rückblende: 2006 veröffentlichte der aus Neuenwalde bei Bremerhaven stammende Niedersachse Lukas Strobel unter dem Pseudonym Alligatoah sein erstes Album „Attntaat“, eine Mischung aus Battlerap-Kunstfigur und humorigem Mittelstand-Rap Marke Fettes Brot. Von „Triebwerke“ (2013) bis „Rotz und Wasser“ (2022) verfeinerte Alligatoah sein maximal ironisches Konzept des Schauspielrappers auf vier Nummer-eins- und Nummer-zwei-Alben, um dann 2022 in Wacken aufzutreten, 2023 auf allen Kanälen sein Ableben zu verkünden und jetzt mit dem vor einer Woche erschienenen Album „Off“ mehr Metal zu wagen – mit Gastbeiträgen von Limp-Bizkit-Frontkeks Fred Durst und Kreator-Boss Mille Petrozza.

Alligatoah in der Barclays Arena Hamburg: Viele Fans verpassen das Vorprogramm

Hamburg ist das zweite Konzert der Tour, demnach wissen viele der 12.000 Fans, die vor der Barclays Arena 400 Meter Schlange am quälend langsam organisierten Einlass stehen und das Vorprogramm verpassen, noch nicht, was sie erwartet. Aber nach einem kurzen Feuerwerk und den ersten sieben Liedern von „Stay In Touch“ über „Niemand“ bis „Ich fühle dich“ sind sie schlauer: ein absolutes Inferno. Gestriges Spät-90er-Riffgewitter zwischen Nu- und Alternative-Metal, zwischen Limp Bizkit, Slipknot und Machine Head auf dem „The Burning Red“-Album. Oder wie Die Fantastischen Vier mit ihrem längst vergessenen Crossover-Projekt Megavier 1994.

Wobei sowohl Alligatoahs Nerzmantel, Texte wie „Küssen“, Gesang und Amateur-Gegrowle als auch das von ihm nach und nach zerstörte Bühnenbild, eine Mischung aus Bürohengst-Stall und TV-Nachrichtenstudio, nicht dazu passen. Es wirkt alles so deplatziert wie Schlagzeuger, DJ und Gitarrist. Ein aus drei, vier verschiedenen Puzzles kombiniertes Metal-Rap-Mosaik, grob zu einer zwei Stunden langen Show zusammengekippt wie von einer besonders unbegabten künstlichen Intelligenz.

Alligatoah in der Barclays Arena: Die No Angels werden akustisch zerhackt

Lukas Strobel hörte schon in jungen Jahren Slipknot und Limp Bizkit, die Seite lauerte immer in ihm. Das nimmt man ihm ab, und auch seine seit vielen Jahren überlieferte Experimentierfreude, frei von jeglichen Berührungsängsten spricht für Alligatoah. Die Fans in der Halle feiern jedenfalls auch die Knüppelversionen der Hits „Monet“ und „Willst du“. Aber das ist eben das aus dem Internet entlehnte Prinzip des Edgelords: Gib dich provokant und tritt mit deiner Meinung, deiner Haltung, deinen Sprüchen maximal vielen Menschen in den beiden großen Musikszenen Hip-Hop und Metal auf die Füße, geh auf die Nüsse und bleib so in der Diskussion, bleibe viral bis zum Wacken Open Air 2024 und bis zum nächsten Konzert in Hamburg am 1. Februar 2025 in der Barclays Arena.

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Aber auch der harte Kern von Strobels musikalischer Seele wirkt nur wie eine weitere seiner vielen Kunstfiguren. Alligatoah. Geradezu beispielhaft ist das wirklich garstige Cover von „Daylight In Your Eyes“ von den No Angels: Ja, guck, der Ex-Rapper dreht den Girl-Band-Klassiker auf Metal, höhö, witzig. Ja, der traut sich was. Dabei wäre ein Cover von „Junge“ von Die Ärzte vielleicht passender gewesen: „Und wie du wieder aussiehst, Löcher in der Nase und ständig dieser Lärm. Elektrische Gitarren und immer diese Texte, das will doch keiner hören.“ Aber auch da kam ihm Heino bereits zuvor.